TV-Film "Gott" von Ferdinand von Schirach Gedanken von Bischof Tilman Jeremias zum Themenabend in der ARD

Von Bischof Tilman Jeremias

26.11.2020 · Greifswald.

Selten war Film so viel Theater und selten war Theater so aktuell: GOTT von Ferdinand von Schirach war dicht, anspruchsvoll und kontrovers. Ein unvergleichlicher Fernsehabend. Der Autor des Stücks stellt im Interview zum Film die Fragen, um die es geht: „Wem gehört unser Leben? Wer darf darüber entscheiden, wie wir sterben wollen? Der Titel ergibt sich aus dem Stück: Sind Ärzte die Götter, die das entscheiden? Sind es Juristen? Sind es die Kirchen mit ihrem biblischen Gott? Oder ist der Mensch selbst Gott über seinen Tod?“

Das Faszinierende: Fernsehen wird interaktiv. Mehr als 70% der Zuschauenden bejahen die Frage, dass Herr Gärtner, der als gesunder 78- Jähriger sterben möchte, legal einen tödlichen Cocktail erhalten sollte. Sie folgen damit dem Bundesverfassungsgericht und dem Autor, der sich im von Lars Eidinger kongenial dargebotenen Rechtsanwalt Biegler selbst verkörpert.

Und hier geht das Problematische dieses vermeintlich offenen ethischen Diskurses los. Das Kammerspiel „Gott“ soll einen ergebnisoffenen Diskurs im Ethikrat abbilden, wir Zuschauenden erleben jedoch ein Tribunal. Der sterbewillige Herr Gärtner mit seinem redegewandten und umfassend informierten Anwalt sind überzeugende Kläger in einem Prozess, der ohne eine sichtbare Anklagebank auskommt. Auf dieser unsichtbaren Anklagebank sitzt die Heteronomie, die Fremdbestimmung des Menschen. Der Ärztekammerpräsident wie der Bischof werden als Sachverständige zu aussichtslosen Verteidigern, die den nach Autonomie strebenden modernen Menschen vermeintlich bremsen wollen.

Ihre Mission, wenn auch nicht ohne starke Argumente unterfüttert, ist zum Scheitern verurteilt. Sie ist inszeniert als letztes Aufbäumen einer überholten, rückwärtsgewandten Moral.

Nicht nur das eindeutige Urteil der Fernsehgemeinde spiegelt das Setting des Stücks; in der „hart, aber fair“- Runde bei Plasberg verlängert sich das Schauspiel; ärztliches Ethos und kirchliche Moraltheologie auf verlorenem Posten gegenüber dem unbegrenzten Freiheitsdrang des modernen autonomen Menschen, der Gott sein will auch über den eigenen Tod.    

Natürlich, im Stück wird dicht an der Sache gestritten, informiert und engagiert. Dennoch wird die Qualität der Parlamentsdebatte, die 2015 zur Einführung des §217 geführt hat, weit verfehlt. Das liegt sicherlich vor allem an der kühlen Gerichtsatmosphäre des Films. Leben und Sterben werden verhandelt wie juristische Sachverhalte in einem Nachbarschaftsstreit, die wesentliche emotionale Dimension des Themas bleibt nahezu unbeleuchtet. Sie taucht erstmals am Schluss der Plasberg-Runde auf, als der allzu blass argumentierende Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz zu erkennen gibt, dass er Herrn Gärtner gern fragen würde, wie seine Enkel heißen.

GOTT traut sich in einer für eine Mehrzahl der Zuschauenden überzeugenden Weise, menschliche Autonomie absolut zu setzen. Wer jedoch Gott sein möchte über das eigene Leben und Sterben, dem ist nichts mehr heilig.

Alle, die an diesem Abend auf dem Bildschirm agieren, waren völlig unbeteiligt an der Entscheidung, geboren werden zu sollen. Elterliche Zeugung ist maximale Heteronomie, der Glaube ergänzt, Gott habe uns gebildet im Mutterleib. Gewiss jedenfalls nicht wir selbst! Wie könnte unser Leben uns selbst gehören, wo wir nichts dazu unternommen haben, um ins Leben zu kommen? Ja, mehr noch, nur ein paar Stunden hätten wir überlebt in den ersten Wochen unseres Lebens, ohne gefüttert und umhegt zu werden- hilflose, ausgelieferte Neugeborene.

‚Das ist lange her!‘, rufen die Verfechter*innen der Autonomie. Jetzt sind wir erwachsen und völlig selbstbestimmt, Konstrukteur*innen unseres eigenen Lebens. Wirklich? Hat postmoderner Individualismus gänzlich vergessen, dass wir als Menschen immer schon soziale Wesen sind, vom ersten Atemzug an angewiesen aufeinander, bezogen aufeinander, auf Gemeinschaft gepolt? Und dass es immer einen erheblichen Anteil von Mitmenschen geben wird, die ohne regelmäßige Hilfe nicht leben können, Kleinkinder, Menschen mit Beeinträchtigung, Kranke, Betagte? Dass jede wesentliche Entscheidung, die ich für mein eigenes Leben treffe, immer Auswirkungen auf andere hat, eben gerade und besonders auch mein Sterben?

Die Rede von der Heiligkeit des Lebens besagt für den Glaubenden den Charakter des eigenen Lebens als Gottesgeschenk; sie bleibt aber auch religionslos anschlussfähig, wenn sie zum Ausdruck bringt, dass eigenes Leben immer mehr ist als das, was ich steuern kann, was in meiner Verfügung oder Machbarkeit liegt. Der in Coronazeiten so gefährdete Atem steht für die Unverfügbarkeit meines Lebens- ich kann ihn mir schlechterdings nicht selbst schenken.

Das Provozierende am Sterbewunsch von Herrn Gärtner ist, dass er ihn äußert ohne Schmerz oder schwere Krankheit. Er will nicht mehr, da seine Frau verstorben ist und er ihr qualvolles Sterben erlebt hat. In seiner Traurigkeit fehlt ihm die partnerschaftliche Beziehung und so wählt er die völlige Beziehungslosigkeit des Todes. In einem letzten Akt vermeintlicher Autonomie setzt er jedoch jeglicher autonomen Lebensmöglichkeit ein jähes Ende. Das selbstbestimmte Sterben bedeutet wie jedes Sterben das völlige Aufhören jeder Selbstbestimmung. Ist unbegrenzte Autonomie schon im gesunden Leben eine Illusion, stürzt sie im Sterben in ihr Gegenteil.

Niemand muss gläubig sein, um zu erkennen, dass Leben seine Schönheit und seinen Wert darin hat, in Bezogenheit und Resonanz zu anderen Menschen und Lebewesen zu stehen. Wir sind und bleiben Teil des Großen und Ganzen der Schöpfung. Als solcher Teil leben wir mit jedem Atemzug in vielfältigsten Abhängigkeitsverhältnissen, angewiesen auf Nahrung und Wärme, Anerkennung und Liebe.

Sie brauchen nicht Gott über Ihr Sterben zu sein, lieber Herr Gärtner. Überlassen Sie das getrost Gott.