Ernst Wellmer über die Arbeit des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge Erinnern an das große Leid

Gedenken an einer der sieben Kriegsgräberstätten Demmins: bei einem Symposium 2015 am Mahnmal auf dem 1945er Gräberfeld.

Foto: Ernst Wellmer

17.11.2019 · Demmin. Volkstrauertag in Demmin: An die tiefen Narben, die die beiden Weltkriege in dieser Stadt hinterlassen haben, erinnert der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge Jahr für Jahr an diesem Tag. Christine Senkbeil hat mit Altbürgermeister Ernst Wellmer darüber gesprochen.

Herr Wellmer, Sie waren von 1990 bis 2012 Bürgermeister der Stadt Demmin. Wie sind Sie mit dem leidvollen Erbe dieser Stadt umgegangen?

Ernst Wellmer: Der Zweite Weltkrieg hat in unserer Stadt besonders große Narben hinterlassen. Wir haben sieben Kriegsgräberstätten, auf denen 2081 Kriegstote ruhen. Weltweit haben die Medien immer wieder über den Massensuizid Hunderter Demminerinnen und Demminer berichtet. Seit ich 1990 Bürgermeister wurde, habe ich mich darum gekümmert, dass die zahlreichen Kriegsgräber auf unseren Friedhöfen als Mahnstätten für den Frieden erhalten bleiben und gepflegt werden. Die Aufarbeitung vieler Schicksale war im Nationalsozialismus und in der DDR ja der Initiative Einzelner überlassen. In unserer Region hatte der damalige Superintendent Herbert Achterberg die schwere Aufgabe übernommen, Kriegsgräberanlagen zu errichten, zu pflegen und dem Suchdienst zuzuarbeiten. Heute kümmert sich der Volksbund gemeinsam mit den Friedhofsträgern und der Kommune darum.

Warum ist Ihnen diese Arbeit so wichtig?


Aus meiner engeren Familie ist zwar niemand durch Kriegshandlungen ums Leben gekommen. Aber ich kenne sehr viele schlimme Einzelschicksale aus Erlebnisberichten, die mich unter anderem anlässlich eines ersten Demminer Symposiums zum 50. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges im Jahre 1995 erreichten, sowie durch zahlreiche Gespräche mit Senioren unserer Stadt, die mir sehr nahegingen. Ihnen zu helfen, Angehörige zu finden, oder ihrer gemeinsam zu gedenken, ist mir ein Bedürfnis.

Sie leiten seit 1991 den Ortsverband Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge. Was leistete der Verein in Demmin?

Hier in Demmin hatten wir 48 Jahre nach dem Kriegsende erst einmal die Aufgabe, alle Kriegsopfer der Stadt aufzulisten. Keine leichte Aufgabe. Gemeinsam mit den Kirchen und ihren Archiven und den Stadtchronisten, dem Ordnungsamt und dem Innenministerium wurde jede Kriegsgräberstätte einzeln erfasst. Alle Kriegstoten wurden, soweit bekannt, mit Geburts- und Sterbedatum, dem Namen und angegebenen Kennzeichen dokumentiert. Dieses Register wird regelmäßig vervollständigt.

Wie sichtbar ist die Arbeit des Vereins?

Die Gräberfelder für die Kriegstoten des Ersten und des Zweiten Weltkrieges wurden saniert, ebenso wie die Stele mit dem Kugelkreuz und das 1945er Gräberfeld. Auch das Ausländergräberfeld auf dem Friedhof in der Jarmener Straße wurde wieder hergerichtet. Am ursprünglichen Kindergräberfeld für die mehr als 400 Kinder und Jugendlichen, die noch zum Kriegsende Opfer von Hunger und Seuchen wurden, konnte ein Gedenkund Erinnerungsstein aufgestellt werden. Einen Informationsund Erinnerungsstein gibt es ebenfalls für die Opfer des Massensuizids. 2015 wurde mit Unterstützung des Volksbundes eine neue anerkannte Gräberstätte für sowjetische Kriegsopfer in der Demminer Woldeforst errichtet. Und wir erarbeiteten einen Flyer über die Kriegsgräberstätten in Wort und Bild. Diese „Liste“ ließe sich weiter fortsetzen.

Wie viel Unterstützung kam aus der Bevölkerung?

Den Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge kannte anfänglich kaum jemand. Auch der Name irritierte. „Wir geben nichts für den Krieg“, hieß es manchmal bei der Straßensammlung. Heute liegen die Spenden bereits parat, wenn wir mit der Sammelbüchse kommen. Die Arbeit ist inzwischen sehr anerkannt. Viel Öffentlichkeitsarbeit und unsere Aktivitäten haben die Menschen von der „Arbeit für den Frieden“, so das Motto unseres Verbandes, überzeugt. Und selbst der Bundespräsident steht dem Volksbund als Schirmherr zur Seite.

Im Mai versammeln sich rechte Gruppierungen ebenfalls zu einem Gedenken für die Kriegstoten in Demmin, dem sogenannten Trauermarsch. Sie schüren damit Hass gegen die alten Feinde. Wie tritt der Volksbund dem entgegen?

Bisher gab es bei unseren Veranstaltungen keine Zwischenfälle oder Störungen vonseiten dieser Szene, und ich hoffe sehr, dass das so bleibt. Wir sind aber auch in der Aufklärungsarbeit aktiv, unterstützen beispielsweise die Kinder- und Jugendarbeit an unseren Schulen. Ich schließe mich dem Wort unseres Landesvorsitzenden Lorenz Caffier an: „Wir haben gelernt, mit unserer Geschichte sensibel umzugehen. Wir bemühen uns redlich, sie auch aus der Perspektive anderer Nationen zu betrachten“, sagte er in seiner Einladung zur diesjährigen Gedenkveranstaltung zum Volkstrauertag im Schweriner Landtag. Demagogie und Ressentiments, rücksichtslose Egoismen und Bereitschaft zur Gewalt dürften nie wieder in Europa die Oberhand gewinnen, das sei die bittere Lehre aus unserer Geschichte. Daran erinnern wir am Volkstrauertag.

Seit 1990 organisiert der Ortsverband dazu Veranstaltungen...

Ja, wir machen das im Wechsel mit der Kirchengemeinde. Nach einer Andacht oder einer Gedenkansprache folgt unter Glockengeläut und Posaunenspiel eine Kranzniederlegung. An den Gräbern wird das Totengedenken gesprochen und aller Opfer von Gewalt und Krieg gedacht.

Wie ist die Zusammenarbeit mit der Kirchengemeinde?

Es gibt ein sehr gutes Miteinander. So auch bei der Pflege der Kriegsgräber oder gegenwärtig bei der Herstellung des „Demminer Trauertuchs“, einer großen Patchworkdecke mit aufgenähten Kreuzen, welche die Suizidopfer unserer Stadt symbolisieren. Das Tuch soll zum 75. Jahrestag des Kriegsendes in der St.-Bartholomaei-Kirche angebracht werden.

Welchen Bezug haben Sie selbst zur Kirchengemeinde?

Einen sehr engen. Ich bin in einem Pfarrhaus aufgewachsen. Zu DDR-Zeiten war ich im Gemeindekirchenrat und Vizepräses der Demminer Kreissynode; nach meiner Amtszeit als Bürgermeister war ich als Mitglied der Synode des pommerschen Kirchenkreises fünf Jahre im Kirchenkreisrat, auch für unsere Gemeinde. Die Entwicklung der Evangelischen Schule und der Kindertagesstätte „Kleine Füße von St. Bartholomaei“ habe ich unterstützend begleitet. Und als Mitglied des Orgelfördervereins, Schirmherr der Orgeltage und Sänger in unserer Kantorei fördere ich mit großer Freude die Kirchenmusik in unserer Region.

Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 46/2019