Siedler aus Westfalen begründeten einst das Kirchspiel Die Gläubigen von Dirsikow

Ein imposanter Anblick: der Ostgiebel der Dorfkirche von Dersekow. Als Schaugiebel wurde er gegen Ende des 15. Jahrhunderts errichtet – zu einer Zeit, als die Kirche noch der unbestrittene Mittelpunkt im Dorf war. Die Feldstein- Grundmauern der Kirche dagegen sind weit älter: Um 1300 begann ihr Bau. Ursprünglich sollte sie noch größer werden.

Foto: Irmfried Garbe

27.05.2018 · Dersekow. Vor 800 Jahren wurde Dersekow bei Greifswald erstmals urkundlich als „Dirsikow“ erwähnt. Aber wann kam die Reformation ins Dorf, warum blieb der Kirchbau unvollendet und wie ging 1739 ein Streit über die Kirchenbänke aus? Kirchenhistoriker und Gemeindepastor Irmfried Garbe hat spannende Details in der Geschichte entdeckt.

Das älteste Schriftzeugnis im Dersekower Pfarrarchiv ist ein beidseitig beschriebenes Pergamentblatt. Es entstammt einer Abschrift des Gesetzbuches Kaiser Justinians (†565), versehen mit einem juristischen Kommentar des 12. Jahrhunderts. Sachkenner datieren die Seite auf die Zeit um 1250, die Schrifttype ordnen sie einer Schreibstube der Universität Bologna zu. Doch warum und wie dieses Buch nach Pommern kam, ist unbekannt. Erhalten blieb nur eine Seite: Der Ortspastor oder sein Buchbinder schnitten sie kurz nach dem Dreißigjährigen Krieg zurecht und verwendeten sie als Schutzumschlag für das 1657 neu angelegte Kirchenrechnungsbuch. So umhüllt ein fast 800 Jahre altes Blatt mit einem 1500-jährigen Text die Dersekower Kirchenrechnungen von 1657 bis 1776. Mag das abgegriffene Blatt für das Dorfleben keine direkte Bedeutung gehabt haben: Es ist symbolische Erinnerung an die hintergründigen Verbindungen ferner Zeiten und Räume zur Ortskirchengeschichte.

Das pomoranische Dorf „Dirsikow“ wurde zum ersten Mal 1218/19 in einer lateinischen Besitzurkunde des Klosters Eldena erwähnt. 1250 bestätigte Papst Innocenz IV. den Besitz. Das Dersekower Kirchspiel gab es da noch nicht, bis 1280 war der Gützkower Pfarrer zuständig. Dann ging das Patronat ans Eldenaer Kloster über. Inzwischen waren niederdeutsche Siedler gekommen. Neue Ortsnamen wie Hinrichshagen deuten den sich vollziehenden Sprachwechsel an. Die „Niedersassen“ brachten ihre Vorstellungen von Kirche aus Westfalen oder Holstein mit. Mit ihnen entstand das Dersekower Kirchspiel.

Das älteste erhaltene Sachzeugnis dafür ist der Taufstein, geschaffen um 1300. Die damals angelegte Feldstein- Saalkirche bestimmt noch heute den äußeren Rahmen. Eigentlich sollte der Gottesraum noch größer werden, aber die Pest um 1349/50 verhinderte das vorgesehene Westwerk. Noch heute ragen die Anschlusssteine funktionslos in die Luft.

Dreißigjähriger Krieg zerstörte den Wohlstand

Die ersten überlieferten Namen aus dem Dersekower Kirchspiel stammen vom Ende des 14. Jahrhunderts: die Geistlichen Ludolf Cracow (†1396), Rudolf Langhals (1398) und Gottfried Hecket (bis 1406) amtierten hier als Plebane oder ließen sie sich von Vikaren bei den Feiern der damals noch lateinischen Messe vertreten. Die Kirche bildete den Mittelpunkt des Dorflebens. Mitte des 15. Jahrhunderts wurde sie eingewölbt, gegen Ende des Jahrhunderts erhielt sie ihren Schaugiebel. Vielleicht spielte das in den Veruntreuungsprozess gegen den Eldenaer Abt Gregor Groper (1490) hinein. Denn auch das Kirchspiel Dersekow wurde 1490 bis 94 in den Bann getan.

Der letzte katholische Priester wird 1521 erwähnt, der erste lutherische Pastor erst 1579 greifbar. Wann kam die Reformation aufs Dorf? Wichtigste Folge: Der jetzt plattdeutsche Gottesdienst wurde von den Dorfbewohnern verstanden. Eine Visitation von 1618 belegt ein wirtschaftlich starkes Dorf. Der Pastor konnte sogar ein Studierstübchen erhalten, der Küster einen neuen Stall und die Einwohner begannen sich Kirchenbänke zu bauen. Am Kirchturm wies ein großes Ziffernblatt die Zeit. Doch der Dreißigjährige Krieg zerstörte den Wohlstand: zwölf von sechzehn Dersekower Höfen wurden bis 1633 verwüstet, in Pansow sieben von elf, in Subzow wie in Hinrichshagen blieb nur jeweils einer von bisher sechs übrig. Das kirchliche Leben lag längere Zeit am Boden. 1671 notierte Pastor Silmer die Reparatur des wiedergefundenen Kelches. Er war vor dem Pfarrhaus vergraben, hatte seinen Fuß verloren.

Soldaten in Dersekow

Das Patronat war mit dem Ende des Herzogtums an die Greifswalder Universität übergegangen. Einkünfte zur Erhaltung des Kirchenbaus wurden aus der Vermietung der Kirchenbänke bezogen. Doch 1739 kam es zum Streit: Ein Drittel der Westempore war den Handwerkern und freien Dorfbewohnern zugewiesen worden, zum Verdruss der bisher dort sitzenden Mittel- und Jungknechte. Als einer von ihnen, Pagel Dannemann, Krakeel anzettelte, bestellten die Patrone Soldaten nach Dersekow. Dannemman entrann ihnen, darauf „ließen die übrigen den Muth sincken und gaben sich zur Ruhe“. So hielt es Pastor Droysen im bis heute fortgeführten Memorabilienbuch fest.

Mitunter finden sich Nachrichten an überraschender Stelle: 2003 kam im Turmknopf eine kleine Plastikdose zum Vorschein. Pastor Beckers berichtet vom 4. Janaur 1959 und der damaligen Turmsanierung, „in einer Zeit, in der wieder die Kirche in schwerer Anfechtung steht. Die kommunistische Staatspartei versucht mit allen Mitteln den Atheismus durchzusetzen“, auch in der Schule sowie durch „Jugendweihe, Namensgebung und Eheweihe“. Der Pastor sah nicht jeden bereit zum „tapferem Bekenntnis“, deutete die Herausforderungen als „Gottes gnädige Heimsuchung, der seine Kirche wieder tüchtig machen will, daß sie Licht der Welt und Salz der Erde sei“.

Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 21/2018