Weichen schon 2000 gestellt Bischof Abromeit über die turbulente Entstehung der Nordkirche

Ganz schön schwierig, dieses Pommernpuzzle: Einige Teile wollten bei Brandenburg andocken, andere zog es nach Mecklenburg, manche nach Nordelbien, und andere wollten einfach für sich bleiben. Bischof Abromeit beim Gründungsfest der Nordkirche in Ratzeburg.

Foto: kirche-mv.de/D. Vogel

08.01.2017 · Greifswald. Als das Buch mit Erinnerungen an den Fusionsprozess zur Nordkirche erschien, gab es wenige, aber heftige Reaktionen aus Pommern. Die gipfelten in dem Vorwurf, die bei etlichen pommerschen Synodalen vorhandene Neigung für einen Beitritt zur Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz (EKBO) sei 2006 durch die Greifswalder Kirchenleitung und vor allem durch ihren Bischof unterlaufen und stattdessen als Joker eine Nordkirche aus dem Ärmel gezaubert worden. Im Gespräch mit Tilman Baier stellt der Greifswalder Bischof Dr. Hans-Jürgen Abromeit klar: Zu diesem Zeitpunkt gab es bereits enge Verflechtungen mit Nordelbien sowie seit gut fünf Jahren einen Kooperationsvertrag der drei Nordkirchen.

Tilman Baier: Vor ein paar Wochen ist das Buch „Gemeinsam auf dem Weg“ über die Entstehung der Nordkirche erschienen. Was lief im Vorfeld in Pommern, bevor die Fusionsverhandlungen richtig begannen?

Hans-Jürgen Abromeit: Kurz nach meinem Dienstantritt als Bischof im September 2001 habe ich gemerkt: In der Pommerschen Evangelischen Kirche (PEK) ist der Leitungs- und Verwaltungsaufwand im Vergleich zur Größe sehr hoch. In jeder Sitzung der Kirchenleitung ging es um Verwaltungsaufgaben. Weil ich wusste, dass die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) schon einmal ein entsprechendes Gutachten erstellt hatte, bat ich die dortigen Oberkirchenräte Helmut Herburg, damals Finanzdezernent, und Detlev Fey, Referent für Organisationsberatung im Kirchenamt, um ein Gutachten zum Leitungs- und Verwaltungsaufwand der PEK. Dies legte uns damals als Hauptkonsequenz den Zusammenschluss mit einer Nachbarkirche nahe.

Waren da noch alle Optionen offen, also auch ein Beitritt zur EKBO?

Nur bedingt. Der Ausgangspunkt für die Verhandlungen über die Fusion zu einer Nordkirche lag ja vor meiner Zeit als pommerscher Bischof. Pommern war bereits am Pastoralkolleg seiner Partnerkirche Nordelbien beteiligt. Und seit Mitte der 90er- Jahre gab es einen Personalaustausch mit der nordelbischen und der mecklenburgischen Landeskirche und eine enge Kooperation in der Rechtssetzung und im kirchlichen Denkmalschutz. Unter meinem Vorgänger Eduard Berger hat die PEK am 29. September 2000 mit diesen beiden Landeskirchen einen Kooperationsvertrag abgeschlossen. In den Vorbemerkungen heißt es unter anderem: „Mit dieser Vereinbarung soll die seit längerem auf verschiedenen Gebieten bestehende partnerschaftliche Zusammenarbeit auf festen Grund gestellt und vertieft werden, und sie soll durch neue Arbeitsfelder angesichts der Herausforderungen, vor denen wir zwar in unterschiedlichem Ausmaß, aber doch gemeinsam stehen, bereichert werden ... Wir sind davon überzeugt, dass wir eine neue Qualität in unserer Zusammenarbeit brauchen ... Unsere Kirchen werden für die Arbeit auf neuen Feldern kirchlichen Handelns ihre Kräfte zusammenführen und neue Wege miteinander gehen.“ Der Begriff Nordkirche fällt zwar nicht, aber die drei Kirchenleitungen hatten sich damit verpflichtet, in bundesweiten Gremien möglichst mit einer Stimme zu sprechen, sich gegenseitig über wichtige Vorhaben zu informieren, eine gemeinsame Nordstiftung für kirchliche Gebäude und andere gemeinsame Werke einzurichten und die Rechtssysteme schrittweise anzugleichen. Die Tendenz zu einer gemeinsamen Kirche war da.

Das klingt schon weitreichend, was die Bischöfe Karl Ludwig Kohlwage für Nordelbien, Hermann Beste für Mecklenburg und Eduard Berger für Pommern als Leiter der Kirchenleitungen unterschrieben haben. Was hat die pommersche Landessynode dazu gesagt?

Da existiert ein Beschluss vom 15. Oktober 2000, also vor meiner Amtszeit: Laut diesem unterstützt sie die Bemühungen um eine enge Zusammenarbeit mit den beiden lutherischen norddeutschen Nachbarkirchen und stimmt dem im Kooperationsvertrag gefassten Anliegen zu. Betont wird aber, dass davon die Zugehörigkeit zur Kirche der Union, ehemals „altpreußische Union“, nicht berührt wird. Gleichzeitig „erwartet“ die Synode, „in stärkerem Maße als bisher an Entscheidungen, die den perspektivischen Weg unserer Kirche betreffen, beteiligt zu werden“.

Da schwingt ein heftiger Vorwurf der Synode gegenüber ihrer Kirchenleitung mit, sie übergangen zu haben. Ist das einer der Gründe für den Widerstand gegenüber einer Kirchenfusion im Norden?

In der Tat sind die Tendenzen, die Kooperation mit den Kirchen im Norden zu verstärken bis hin zu der Idee einer Fusion, in Pommern sehr kontrovers diskutiert worden. Dabei wurden ganz unterschiedliche Erwartungen ins Spiel gebracht. Als dann 2003 das EKD-Gutachten der PEK riet, sich mit einer Nachbarkirche zusammenzuschließen, dauerte die Abklärung entsprechend lange, bis 2004. Dann jedoch gab es eine Mehrheit dafür, mit Mecklenburg konkrete Verhandlungen aufzunehmen. Eine Arbeitsgruppe „Gemeinsame Kirchengestalt“ mit Vertretern beider Kirchen wurde gebildet, die sehr oft tagte. Doch obwohl einiges im Bereich Recht und Finanzen erarbeitet wurde, kamen wir nicht wirklich voran. Nach einer gemeinsamen Tagung beider Synoden 2006 kam dann aus der pommerschen Synode der Antrag, auch mit den Berlinern zu verhandeln.

Und was sagten die Berliner?

Deren Konsistorialpräsident Ulrich Seelemann und Bischof Wolfgang Huber zeigten sich sehr interessiert an schnellen Gesprächen, allerdings, wie sich zeigte, Beitrittsgesprächen, denn die EKBO hatte gerade eine Kirchenfusion hinter sich und wollte die Verfassungsfrage nicht schon wieder aufmachen. Ich habe daraufhin der Lübecker Bischöfin Bärbel Wartenberg-Potter, die den Kooperationsausschuss der drei Nordkirchen leitete, mitgeteilt, dass es nun in Pommern gegenläufige Bestrebungen zur Fusion mit Mecklenburg gibt, aber auch Interesse an einer Fusion mit der pommerschen Partnerkirche Nordelbien. Doch beim Thema „Nordkirche“ winkte Bischof Hans Christian Knuth als Vorsitzender der nordelbischen Kirchenleitung ab: Langfristig gern, aber derzeit habe man mit eigenen Strukturreformen viel zu tun.

Sie standen unter Handlungsdruck.

Die Verhandlungen mit Mecklenburg waren festgefahren. Mir war klar: Wenn noch 10 bis 15 Jahre so vergehen, ist die Chance für die Bildung einer Nordkirche vorbei. Meine Bedenken brachte Bischöfin Wartenberg-Potter in die nordelbische Kirchenleitung ein. Doch Bischof Knuth war das zu unverbindlich. Er schrieb mir am 25. November 2006, er habe gehört, es gebe auch anderweitige Verhandlungen. Ich antwortete ihm am 4. Dezember 2006, dass die pommersche Synode angesichts der festgefahrenen Verhandlungen mit Mecklenburg eine alternative Fusionsvariante geprüft haben wolle und ich also die Verpflichtung habe, dieser nachzugehen. Die Tür für die Bildung einer gemeinsamen Nordkirche sei nicht mehr lange offen. Infolge dieses Briefes hat die nordelbische Kirchenleitung den Mecklenburger Bischof Beste und mich nach Kiel eingeladen. Zudem war eine gemeinsame Sitzung der drei Kirchenleitungen schon langfristig für Mai 2007 beschlossen worden. Nun gewann der Prozess an Dynamik. Am 2. und 3. März 2007 fand auf Usedom eine Klausurtagung der pommerschen Kirchenleitung statt. Nach einem Bericht über die Verhandlungen mit Mecklenburg und der EKBO stimmte die Kirchenleitung mit großer Mehrheit für die Aufnahme von Sondierungsgesprächen zur Bildung einer Nordkirche als beste Lösung für Pommern.

Wie reagierte die pommersche Synode?

Zum Teil sehr emotional. Es war nicht klar, ob sie zustimmen würde. Es gibt eine starke kulturelle Bindung und mentale Ausrichtungen nach Berlin und in die EKBO, auch durch die Mitgliedschaft in der Union evangelischer Kirchen, zu der das lutherisch geprägte Pommern durch seine preußisch geprägte jüngere Geschichte gehört. Greifswald, Anklam und Pasewalk sind näher an Berlin als an Hamburg. Andererseits fühlen sich die meisten Gemeindeglieder als Norddeutsche und benutzen das gleiche plattdeutsche nordelbische Gesangbuch. Und es gab die Angst, nur als Appendix einer zentralistischen EKBO zu enden: als „P“ einer EKBOP. Zudem funkte die Landesregierung von MV an, bei einem Beitritt Pommerns zur EKBO sehe sie den Staat-Kirche-Vertrag infrage gestellt. So gab es nach vielen hitzigen Diskussionen letztlich von der Synode die Zustimmung zur Aufnahme von Verhandlungen zur Bildung einer Nordkirche.

Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 01/2017