Berührt von Musik Im Advent hat die Kirchenmusik Hochkonjunktur. Wieso eigentlich?

Von Sybille Marx

Ein Beispiel dafür, wie Musik im Advent die Menschen zusammenbringt: die „Bläsermusik im Kerzenschein“.

Foto: Sybille Marx

01.12.2018 · Greifswald. Die Adventszeit ohne Musik, ohne Lieder oder Konzerte: nicht vorstellbar, sagen viele. Aber woran liegt es, dass gerade diese kirchliche Zeit so eng mit Musik verknüpft ist, viel enger etwa als Ostern?

Das weihnachtliche Gedudel, das im Advent die Besucher auf den Weihnachtsmärkten und in den Geschäften Mecklenburg-Vorpommerns beschallt – „darauf könnten wir gut verzichten“, sagen Rentnerin Rosel Seidel und ihr Mann Hans-Joachim Seidel aus Greifswald. Aber die christlichen Advents- und Weihnachtslieder, die von den Wurzeln des Festes erzählen und in Kirchenräumen zum Klingen kommen: „Die bedeuten uns viel.“ Die Greifswalder „Bläsermusik im Kerzenschein“ zum Beispiel, die am 15. Dezember in drei Konzerten wieder die Marienkirche mit insgesamt 4500 Besuchern füllen wird, „ist für uns das halbe Weihnachtsfest“.

Musik löst im menschlichen Gehirn Ähnliches aus wie eine Berührung auf der Haut, wissen Forscher wie der Leipziger Tastsinnexperte Martin Grunwald. Sie kann „berühren“, Gänsehaut hervorrufen, sehnsüchtig oder glücklich machen, beleben, beruhigen und vieles mehr. Und nicht nur jeden Einzelnen. „Musik ist eine der großen Möglichkeiten, Bindungen und Verbindungen mit Menschen herzustellen“, sagt Professor Eckart Altenmüller vom Institut für Musikphysiologie und Musikermedizin Hannover. Wer schon mal im Chor oder in einer Gottesdienstgemeinschaft mitgesungen hat, dürfte wissen, was er meint. Vielleicht ist das ein Grund, warum der Dezember ohne Lieder kaum vorstellbar wäre: weil Kälte und Dunkelheit die Menschen schneller als sonst in die Häuser und die Vereinzelung treiben. Die Musik dagegen berührt, die Musik bringt zusammen.

"Musik schafft es, die Herzen der Menschen zu erreichen.“

„Die Menschen sind in dieser Zeit auf der Suche“, meint Martin Huss, Landesposaunenwart für Mecklenburg-Vorpommern; auf der Suche nach etwas, das sie aus ihrem Stress heraushole und daran erinnere, dass es noch etwas anderes, Größeres gebe als das immer größere Pensum, das sie auf der Arbeit schaffen müssten. „Irgendwann reicht der Glühwein nicht mehr aus“, meint Huss. „Musik schafft es, die Herzen der Menschen zu erreichen.“ Außerdem sei Weihnachten im Unterschied zu Ostern ein Fest, an dem sich die Familien zusammenfänden. „Und zu Familienfesten gehört Musik einfach dazu.“

Der junge Kirchenmusiker Benjamin Saupe, der an der Heilig-Geist-Kirche in Rostock unter anderem den 10-Uhr-Gottesdienst am 1. Adventssonntag in ein „halbes Konzert“ mit dem Gospelchor verwandeln will, bestätigt: „Es gibt keine andere Zeit im Kirchenjahr, die mit so vielen Melodien und Musikstücken verbunden ist wie die Advents- und Weihnachtszeit.“ Selbst kirchenfernen Menschen seien zumindest ein paar christliche Advents- und Weihnachtslieder bekannt, während sie vermutlich kein einziges Oster- oder Pfingstlied nennen könnten. „In der Advents- und Weihnachtszeit bestimmte Melodien zu hören, ist für viele zentral“, glaubt Benjamin Saupe. „Das gehört für sie zum Kern der Sache.“

"Du singst ein Weihnachtslied und schon bist du drin“

Die Greifswalderin Marion Ehmke, die am Montag wie viele andere in Greifswald Karten für die „Bläsermusik im Kerzenschein“ kaufte, sieht in den klassischen Liedern eine gute Einstimmung auf die Advents- und Weihnachtszeit. „Die Musik bedeutet alles“, sagt sie. „Vielleicht hast du nicht mal einen Tannenbaum, aber du singst ein Weihnachtslied – und schon bist du drin.“

Drin in der Glaubensgewissheit, dass Gott Mensch geworden ist, dass es möglich ist, sich von ihm berühren zu lassen und durch ihn mit allen anderen Menschen auf der Erde verbunden zu sein. Davon singen die Advents- und Weihnachtslieder. Mitten in der dunklen Jahreszeit.

Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 48/2018