Zu wenig Zeit, zu wenig Personal Am 12. Mai ist der Internationale Tag der Pflege

Von Margret Fromm-Ehrich

Eine Pflegende hat 96 Minuten pro Bewohner in 24 Stunden zur Verfügung. Für die Hilfe bei der Körperpflege, Unterstützung beim Essen, Mobilisation und Fortbewegung, Medikamentengabe, Verbände und für das Gespräch.

Foto: Augustenstift

12.05.2019 · Schwerin. Zu wenig Zeit, zu wenig Personal. Pflegenotstand. Fast täglich geht es in den Medien um das Thema – weil es alle betrifft. Von „der Kirche“ wird oft erwartet, dass es den Altenpflegeheimen anders zugeht als in privaten: Liebevoller, geistlich. Aber auch dort stehen die Mitarbeiter unter denselben Zeit- und Personalmangelzwängen wie überall. Margret Fromm-Ehrich hat eine Vision.

In diesem Jahr fällt der Muttertag auf den 12. Mai. Am zweiten Sonntag im Mai wird am „Muttertag“ mit besonderen Aufmerksamkeiten an die eigene Mutter gedacht. Es ist kein offizieller Feiertag, sondern vielmehr als Übereinkunft der Floristenverbände, ein alljährlich auf den zweiten Maisonntag festgelegter Gedenktag. Der Internationale Tag der Pflege hingegen findet jährlich am 12. Mai statt. Er wurde 1965 vom International Council of Nurses (ICN), vom internationalen Bund der Pflege, ins Leben gerufen. Seit 1967 wird an diesem Tag auch in Deutschland der Pflege gedacht und das jedes Jahr ein wenig deutlicher und lauter.

Der Tag der Pflege findet am Geburtstag der britischen Krankenschwester Florence Nightingale (1820-1910) statt. Sie gilt als Begründerin der modernen Krankenpflege und hat sich für die Ausbildung in der Pflege eingesetzt.

Pflege wird immer mehr zum Thema. Zum einen weil die Zahl der älteren Menschen auf Grund der demographischen Entwicklung und damit auch die Zahl der Pflegebedürftigen steigt, und zum anderen, weil die Zahl der Fachkräfte in der Pflege abnimmt. Besonders seit den Bundestagswahlen 2017 ist das Thema in die Öffentlichkeit gerückt und wir hören und sehen fast täglich Berichte zu diesem Thema in Nachrichten und Reportagen. In den meisten Fällen wird über Probleme in der Pflege berichtet, über den Pflegenotstand und über die Überlastung der Pflegenden, hier sowohl die Angehörigen, als auch die beruflich Pflegenden.

Alexander Jorde, ein 21-jähriger Auszubildender der Krankenpflege, hat Kanzlerin Angela Merkel bei der Wahlkampfarena am 11. September 2017 vor einem breiten Fernsehpublikum mit seinem Berufsalltag im Krankenhaus konfrontiert. Täglich würden Pflegende aus Überlastung die Menschenwürde der Patienten in deutschen Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen tausendfach missachten. Er hat der Kanzlerin von fehlendem Personal, fehlender Zeit und fehlender Anerkennung berichtet.

Kürzlich hat Alexander Jorde sein Buch „Kranke Pflege. Gemeinsam aus dem Notstand“ veröffentlicht. Jorde hat recherchiert: in Deutschland gibt es etwa 1,7 Millionen Gesundheitsund Krankenpfleger und weitere 600 000 examinierte Altenpfleger. Laut der Gewerkschaft ver.di fehlen mehr als 140 000 qualifizierte Pflegekräfte, 80 000 Fachkräfte werden in der Krankenpflege und weitere 63 000 Fachkräfte in der Altenpflege benötigt. Zukünftig wird dieser Mangel sich auf Grund der demografischen Entwicklung noch massiv verstärken.

In einer Schicht 13 Patienten

Wenn Fachkräfte in der Pflege fehlen, bedeutet das, dass die, die noch mehr zu leisten haben, mehr Patienten oder Pflegebedürftige versorgen müssen. Jorde fragt: „Doch wie viele sind das eigentlich? Und um wie viele Patienten kann sich eine Pflegekraft während einer Schicht kümmern? Ob sie es kann oder nicht: Eine Pflegefachkraft in Deutschland ist in ihrer Schicht für durchschnittlich 13 Patienten verantwortlich.“

Für das Evangelische Alten- und Pflegeheim Augustenstift verhandeln wir jedes Jahr unseren Personalschlüssel mit den Pflegekassen. Die Zahl der Mitarbeitenden ist abhängig von dem Grad der Pflegebedürftigkeit der Bewohner und von der Anzahl der Bewohner. Zur Zeit stehen uns bei rund 46 Vollzeitstellen (40 Wochenstunden) in der Pflege und Betreuung für 126 Bewohner für alle Dienste, 24 Stunden täglich, 365 Tage im Jahr zur Verfügung. Wenn ich Urlaub, Krankheit und Fortbildungen abziehe, sind das rund 202 Stunden Pflege pro Tag, das sind 1,6 Stunden, 96 Minuten pro Bewohner in 24 Stunden. Für die Hilfe bei der Körperpflege, Unterstützung beim Essen, Mobilisation und Fortbewegung, Medikamentengabe, Verbände und für das Gespräch, Notfälle, Sterbebegleitung, Angehörigengespräche, Dokumentation
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Laut einer internationalen Vergleichsstudie aus dem Jahr 2012 wird bestätigt, dass Deutschland bei der Versorgungszahl weit über der von vergleichbaren Ländern liegt. In Norwegen beispielsweise ist eine Pflegekraft für durchschnittlich 5,4 Patienten verantwortlich.

Um für Menschen, die nicht in der Pflege arbeiten zu verdeutlichen, was dieser Mangel bedeutet und welche Auswirkungen er mit sich bringt, beschreibt Jorde in seinem Buch den Pflegealltag sehr eindrücklich.

Dieser Mangel hat nicht nur Auswirkungen auf die Qualität der pflegerischen Versorgung, sondern auch auf die Gesundheit der Pflegenden. Studien unterschiedlicher Krankenkassen belegen, dass Pflegepersonal eine Hochrisikogruppe für arbeitsbedingte Belastungen ist. Die Krankheitstage Pflegender liegen deutlich über denen anderer Berufsgruppen. Und wenn Kollegen ausfallen, steigt die Belastung für die, die im Dienst sind. Jorde schreibt von Ursachen und Hintergründen dieses Pflegenotstandes, aber auch von Lösungswegen und von seinen Ideen, wie die Pflegeberufe wieder zu attraktiven Berufen werden können. Stellen Sie sich vor, Ihr Kind oder Enkelkind sagt: „Ich möchte Gesundheits- und Krankenpflegerin oder Altenpflegerin werden!“

Gute Pflege in Deutschland

Was würden Sie denken oder Ihrem Kind oder Enkelkind raten, das einen Beruf in der Pflege anfangen möchte? Zu schwer, zu viel Arbeit, Schichtdienst, Überlastung, Leid, Sterben und Tod.

Oder: toll, in dem Beruf tust du jeden Tag etwas Sinn- und Wertvolles, du verdienst gutes Geld für anspruchsvolle Arbeit, hast einen geregelten Dienstplan, auch wenn du an Wochenenden und Feiertagen und in Schichten arbeiten musst, du arbeitest mit anderen Berufsgruppen, wie Ärzten und Therapeuten, auf Augenhöhe zusammen … Wenn Sie das sagen, wenn wir da angekommen sind, dann haben wir das erreicht, was für gute Pflege in Deutschland notwendig ist.

Reicht es, einmal im Jahr an seine Mutter zu denken? Ich denke fast jeden Tag an meine Mutter, nicht nur am Muttertag. Und reicht es, einmal im Jahr an Pflegende zu denken? Ich arbeite im Bereich der Pflege und bin gedanklich jeden Tag vielfach bei Pflegenden und zu Pflegenden. Vielleicht begegnen Sie auch an verschiedenen Orten Pflegenden – Begegnen Sie ihnen anerkennend und wertschätzend, jeden Tag.

Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 19/2019