An der Klosterkirche Verchen wurde 750-Jähriges Bestehen gefeiert Vom Gebet durchdrungen

Von Sybille Marx

Wie die benediktinischen Nonnen einst in Verchen lebten, davon erzählte der promovierte Kirchenhistoriker und Pastor Volker Gummelt aus Neuenkirchen zum Auftakt des Festwochenendes.

Foto: Sybille Marx

07.07.2019 · Verchen. Benediktiner-Nonnen aus der Nähe von Altentreptow zogen 1269 nach Verchen an den Kummerower See, bauten die Kirche zum Kloster aus, brachten Arbeitsplätze, Geld und Bildung mit – und eine Frömmigkeit, nach der sich heute noch manche sehnen.

Stille erfüllt die Kirche von Verchen, dann ist Zeit für das Gebet: Pastor Detlev Brick tritt nach vorn neben den Altar, dankt Gott für seine Frau, die Kinder und Enkel, zündet eine Kerze an und steckt sie an den stilisierten Globus. Ein älteres Ehepaar betet für die Tochter, „die uns viel zu früh verlassen hat“, eine andere Frau um Beistand für alle Kranken, weitere aus der Region sprechen vor der Gemeinde aus, wofür sie danken, worum sie bitten.

Verchen am Kummerower See, am idyllischen Westrand des Pommerschen Kirchenkreises: Hier in der alten Klosterkirche, in der einst benediktinische Nonnen beteten, wird an diesem Freitag im Juni mit einer klösterlichen Wochenschlussandacht ein buntes Festwochenende eröffnet: zur Erinnerung daran, dass die Nonnen vor 750 Jahren in die Marienkirche samt neu gebauter Klosteranlage einzogen und bis zur Reformation die Region prägten.

Nonnen strickten Mützen für Bischof

Die Klostergebäude hat ein Brand im 16. Jahrhundert zerstört, doch die Kirche mit ihren prunkvollen Buntglasfenstern ist erhalten geblieben. Außerdem manches Wissen über das, was hier passierte: Aus Marienberg bei Treptow waren die frommen Frauen ursprünglich gekommen, erzählt bei der Andacht Pastor und Kirchenhistoriker Volker Gummelt aus Neuenkirchen. 15, 20 Frauen könnten es gewesen sein, geht man nach der Zahl der Klosterräume. Klingt wenig, finden die Zuhörer, „aber das war ein großes Kloster, denn man hatte ja noch eine Fülle von Bediensteten und Bauern, die den Betrieb aufrecht erhielten“, erklärt Gummelt. 1000 Hühner gehörten zum Bestand, hunderte Schafe, Milchkühe und Schweine. „Und es gab vier Mühlen zum Getreidemahlen, was überdurchschnittlich viel war und dafür spricht, dass das Kloster sehr wohlhabend war.“

Die Ordensregel, nach der sich die Verchener Nonnen richteten, geht auf den berühmten Mönch Benedikt von Nursia zurück. „Ora et labora, bete und arbeite“, wird oft als Kern seiner 73 Kapitel umfassenden Regel zitiert – zu Unrecht, wie Gummelt schmunzelnd erzählt. Erst in späteren Abschriften tauche dieser Vers auf. Aber ur-benediktinisch sei der Gedanke, dass auch die Arbeit Gebet sei.

Von Stundengebeten und Bibellektüre waren die Tage und Nächte der Nonnen so durchzogen, dass sie in einer Woche alle 150 Psalmen durchgebetet hatten, in einem Jahr die ganze Bibel durchgelesen. Ihre körperliche Arbeit diente nicht dem Lebensunterhalt, sondern eher dem Ausgleich, sagt Gummelt. So hätten sie etwa Mützen für den Bischof von Pommern gestrickt, aber auch Menschen aus den Dörfern Latein und Lesen beigebracht.

Auf Keuschheit, Armut und Gehorsam waren sie verpflichtet. Prinzessin Elisabeth von Pommern soll dem Kloster mit ihrem Eintritt dennoch ein paar glanzvolle Jahre beschert haben, teure Umbauten in der Kirche wurden möglich. Der Benediktinerorden, sagt Gummelt, war finanziell nicht von Rom abhängig, sondern von der umliegenden Region: Die Nachbardörfer, die dem Kloster gehörten, mussten ihren Zehnten abgeben. Und jede Nonne brachte bei ihrem Eintritt Kapital mit, wie als Mitgift zur Hochzeit. Ganz gerecht erscheint das Gummelts heutigen Zuhörern nicht, „dann konnten ja nur die Reichen ins Kloster“, sagt einer. Nicht ganz, über den Einkaufspreis sei immer wieder gestritten worden, weiß Gummelt. „Aber es ist schon so: Im Verchener Kloster lebten vor allem adelige Damen.“

„Darin liegt eine große Kraft“

Auch in anderer Hinsicht erscheint manchen heute das Leben dieser Nonnen seltsam unfromm: Im Streit mit einem mecklenburgischen Kloster und anderen sollen sie oft gelegen haben, das zeigen alte Schriftwechsel. „Da ging es um die Rechte: Wer darf wo Holz schlagen, Vieh weiden, wer darf in der Peene und im Kummerower See fischen?“, beschreibt Gummelt. Konkurrenz um Besitz und Versorgung also. Im Zuge der Reformation dürften weitere Unruhen unter den Nonnen entstanden sein. Im 16. Jahrhundert wurde ihr Kloster dann aufgelöst.

Pastor Detlev Brick, der seit 1991 in Verchen arbeitet und heute ein fusioniertes Gebiet mit 800 Gemeindegliedern, 15 Dörfern und zehn Kirchen zu betreuen hat, findet es spannend, sich an die Wurzeln der Marienkirche zu erinnern. „Ein Raum atmet einen bestimmten Geist, das prägt“, meint er. Wie das Singen, Beten und Bibellesen den Alltag der Nonnen strukturierte und durchdrang, findet er beeindruckend. „Darin liegt eine große Kraft“, glaubt er. Darum fahre er auch gern mit Jugendlichen nach Taizé, biete Exerzitien an und lade seit ein paar Jahren immer freitags zur Wochenschlussandacht ein.

Auch die Idee, das alte Kloster von Verchen wieder zu beleben, hatte Brick aufgebracht. Vier Schwestern aus dem evangelischen Selbitzer Orden zogen 2004 tatsächlich dorthin, wohnten zehn Jahre lang mitten unter den Dorfbewohnern, arbeiteten in der Umgebung, boten Exerzitien, meditatives Tanzen, Frauenfrühstückstreffen und anderes an. Doch vor etwa fünf Jahren mussten sie zurück an ihren Stammsitz, aus Alters- und finanziellen Gründen. Bis heute bedauern das viele im Dorf, „die Begegnung mit ihnen hat immer gut getan“, sagt etwa Gemeindeglied Werner Müller.

„Wir sind zusammengewachsen“

Doch immerhin: Dank vieler Ehrenamtlicher in der Kirchengemeinde konnten ein paar Angebote der Schwestern weiter geführt werden, sagt Detlev Brick. Und noch etwas sei in den vergangenen Jahren gewachsen: das Gemeinschaftsgefühl zwischen Kirche und Kommune. Zum Auftakt des Kloster-Festwochenendes hat der Dorfclub Sekt und Schnittchen vorbereitet, nach der Andacht stehen nun alle hinter der Kirche und prosten sich zu.

„Liebe auf den ersten Blick war es nicht zwischen Dorfclub und Gemeinde“, sagt Detlev Brick in die Runde. „Darum finde ich es total geil, dass ihr heute zum Imbiss einladet. Von so einer Gemeinschaft hätte vor 25 Jahren noch keiner zu träumen gewagt!“ Auch Bürgermeisterin Petra Kasch strahlt. „Wir sind zusammengewachsen“, sagt sie. Das Leben auf dem Land lebenswert zu gestalten – das sei zur gemeinsamen Mission geworden.

Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 27/2019