Eine Erwiderung auf den Versuch von Jürgen Spiess, die Auferweckung Jesu durch Faktensuche zu rekonstruieren Das Ostergeschehen: kein Fall für den Historiker

Von Heinrich Stühmeyer

Heinrich Stühmeyer war u.a. Rektor des Predigerseminars in Schwerin und Landessuperintendent in Wismar und lebt heute im Ruhestand in Schwerin.

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04.05.2014 · Schwerin. Einmütiges Zeugnis des Neuen Testamentes ist: Gott hat Jesus von den Toten auferweckt. Was aber meint das Neue Testament mit Jesu Auferweckung von den Toten?

In der Osterausgabe der Kirchenzeitung (Dann lebt er also doch?) verwendet der Historiker Dr. Jürgen Spiess viel Mühe darauf, den Nachweis zu bringen, dass das Grab Jesu tatsächlich leer gewesen sei, wie es in einigen Ostergeschichten erzählt wird. Das bedeutet dann für ihn, dass Jesus leiblich auferstanden sei. Zusammenfassend stellt Dr. Spiess fest: „Die Autoren des Neuen Testaments lassen allerdings keinen Zweifel an der Leiblichkeit des Auferstandenen.“

Wenn aber alles am leeren Grab hängt, dann verbindet sich zwangsläufig damit die Vorstellung, dass Auferstehung die Wiederbelebung eines Leichnams beinhaltet. Davon aber erzählen die Evangelien gerade nicht. Wie kommt der Historiker Dr. Spiess dazu, Auferstehung als Wiederbelebung eines Leichnams zu verstehen?

Ähnlich deutet er die Himmelfahrt Jesu als ein sichtbares Ereignis in Raum und Zeit: „Durch die Himmelfahrt Jesu kommen die Begegnungen mit dem Auferstandenen zu einem sichtbaren (kursiv vom Verf.) Abschluss.“ Er missversteht die Ostergeschichten als historische Berichte.

Erzählen, wer Jesus heute ist

Die Evangelisten aber waren ca. 40 bis 50 Jahre nach dem Ostergeschehen nicht zuerst an historischen Fakten interessiert. Ihnen ging es vielmehr darum, zu erzählen, wer Jesus in Wahrheit ist. Denn das brauchten die Gemeinden, für die die Evangelisten jeweils ihr Evangelium schrieben.

Geht es in einer Beschreibung um die Fakten eines Ereignisses, dann sind gegensätzliche Aussagen unzulässig. Die begegnen uns aber auf Schritt und Tritt im Vergleich der Texte. Richtet sich aber das Augenmerk auf das Wesen einer Person, dann erfordert diese Aufgabe geradezu unterschiedliche Beschreibungen. Denn wer könnte schon das Ganze einer Person auf einen einzigen Nenner bringen?!

Paul Klee hat einmal über die Kunst gesagt: Sie gibt nicht wieder, was sichtbar ist, sondern sie macht sichtbar. So ähnlich sahen Christen in den ersten Jahrzehnten ihre Aufgabe, wenn sie von Jesus erzählten. Es galt sichtbar zu machen, was unsichtbar zu Ostern geschehen war. Zugleich war sichtbar zu machen, wer der Gekreuzigte in Wahrheit – also von Gott her – war. Religiöse Sprache ist ihrem Wesen nach eine Sprache in Bildern, eine symbolische Sprache. Wie sollte man auch anders von Gott und seinem Handeln reden können?!

Die Ostererzählungen sind nicht geschrieben für Historiker, damit sie sich ein möglichst genaues Bild machen können von dem, was einmal war. Sie sind geschrieben für christliche Gemeinden, um diese zu vergewissern, wer Jesus für sie ist und bleibt. Und deshalb ist genau zu klären, auf welcher Ebene die Texte gelesen werden wollen: Bewege ich mich auf der Ebene der Berichterstattung bzw. des Protokolls oder auf der Ebene, die mich im Lebensvollzug erreichen und mir Orientierung geben will oder auf der Ebene, die mich in einen Hymnus einstimmen will.

Beziehungsgeschehen mit Folgen

Ohne die Klärung dieser Ebenen verfehle ich die Intention des Textes. Wenn mir jemand sein Herz öffnet, ist nicht der Krankenwagen zu rufen, der den Patienten zum Herzspezialisten bringt. Wenn mir unerwartet ein Licht aufgeht, ist das kein Fall für den Elektriker. Wenn der Versucher Jesus auf einen sehr hohen Berg führt und ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit anbietet, dann ist das keine Frage an den Erdkundelehrer, um welchen Berg es sich handeln könnte. Wenn den Emmausjüngern die Augen gehalten wurden, dass sie Jesus nicht erkannten, dann hätte auch eine Brille von Fielmann nichts genutzt. Wenn Lukas eine Himmelfahrtsgeschichte erzählt, ist das keine vorgezogene Weltraumfahrt. Wenn es um die Ostertexte geht, ist nicht der Historiker zu befragen, denn es handelt sich um literarische bzw. poetische Texte.

Die Auferweckung Jesu ist kein Ereignis in Raum und Zeit und in diesem Sinne kein nachprüfbares historisches Ereignis, das man hätte fotografieren können oder das Journalisten – wenn sie denn an Ort und Stelle gewesen wären – wortreich hätten beschreiben können. Ostern ist ein Beziehungsgeschehen zwischen Gott und Jesus. Denn das Wesentliche, das auf der Beziehungsebene zwischen Partnern geschieht, ist nicht darstellbar, wohl aber die Folgen. Das gilt sowohl im Positiven, z.B. in der Liebe, als auch im Negativen.

Das leere Grab beweist nichts

Es ist auch nicht zufällig, dass keiner der Evangelisten die Auferweckung selbst beschreibt. „Das leere Grab beweist überhaupt nichts – dies war den neutestamentlichen Erzählern immer bewusst“ (Andreas Lindemann). Immerhin bedarf es eines Boten aus der himmlischen Welt, der das leere Grab deutet, damit die Frauen verstehen, was geschehen ist. Wenn der Evangelist eine Grabesgeschichte erzählt, dann ist auch hier das Grab eine Metapher, um die Botschaft anschaulich werden zu lassen, wie ja auch letztlich die Begriffe „Auferweckung“, „Auferstehung“ Metaphern für die göttliche Wirklichkeit jenseits der Todesgrenze sind.

Schon der Umstand, dass das Ostergeschehen mit „Auferweckung“ und „Auferstehung“ beschrieben wird, macht ja deutlich, dass die Begriffe nicht exakt das Geschehen wiedergeben können. Sollte es zufällig sein, dass in Mk 16,1-8 der Engel im Grab zur Rechten sitzt? Ich lese daraus: Der Ort, an dem sonst der Tod west, ist von Gott – durch seinen Boten – besetzt. Kann angemessener zum Ausdruck gebracht werden, dass der Tod überwunden ist, keinen Platz mehr an seinem ureigensten Ort hat?

Noch einmal: Nicht der Historiker ist zu befragen, denn es sind literarische Texte, genauer gesagt: theologische Texte, die darauf orientieren wollen, bei wem wir uns festmachen können, um uns in seinen Dienst zu stellen. Hier begegnet uns nicht Historie und nicht dogmatische Rede, sondern erzählte Theologie. Glaubenswirklichkeit wird erzählt.

Fakten sind Kreuz und Bekenntnis

Historisch feststellbar war der Tod Jesu und dann wieder der Osterglaube und die Osterbotschaft der Jünger. Jesus wurde gekreuzigt und irgendwann danach bekannten Menschen, dass dieser Jesus ihnen als Auferstandener erschienen sei. Die Auferstehung selbst liegt jenseits dessen, was feststellbar ist. Für das Verstehen der Erscheinungen kann in diesem Zusammenhang 1.Kor.15,3-8 hilfreich sein:
3 Denn als erstes habe ich euch weitergegeben, was ich auch empfangen habe: Dass Christus gestorben ist für unsre Sünden nach der Schrift;
4 und dass er begraben worden ist; und dass er auferstanden ist am dritten Tage nach der Schrift;
5 und dass er gesehen worden ist von Kephas, danach von den Zwölfen.
6 Danach ist er gesehen worden von mehr als fünfhundert Brüdern auf einmal, von denen die meisten noch heute leben, einige aber sind entschlafen.
7 Danach ist er gesehen worden von Jakobus, danach von allen Aposteln.
8 Zuletzt von allen ist er auch von mir als einer unzeitigen Geburt gesehen worden.

Dieses ist das älteste Zeugnis über Erscheinungen des Auferstandenen. Paulus wurde es bereits überliefert. In der Lutherübersetzung heißt es immer: er ist gesehen worden von… Im Griechischen steht das Verb „sehen“ in einer Passivform, die wir eigentlich nicht übersetzen können. Es handelt sich also nicht um ein objektives Sehen, bei dem der Beobachter hinschaut und ein Objekt erkennt. Im Gegenteil: Es ist ein Sehen, das dem Sehenden / dem Beobachter widerfährt.

Angerührt zu neuem Sehen

Konkret: In diesem Geschehen war Petrus mindestens zunächst passiv und die Aktivität ging von Jesus aus. Petrus ist diese Sicht gleichsam widerfahren. Was gemeint ist, hat Wilhelm Stählin einmal verdeutlicht an der lateinischen Sprache. Dort gibt es einige Verben nur in der Passivform, die aber aktiv übersetzt werden, z.B. misereri – erbarmen. Das Erbarmen beginnt damit, dass die Not des anderen mich anspricht, so dass ich aktiv werde und auf die Not reagiere.

Das Erbarmen beginnt mit diesem Widerfahrnis, das mein Herz angerührt wird. Dieses Sehen unterscheidet sich von unserem gewöhnlichen Sehen. Wir sehen nicht ein anderes Gegenüber, aber wir sehen unser Gegenüber jetzt anders. Umgangssprachlich sagen wir gelegentlich: Das hat mich angesprochen. Das hat mich betroffen. In anderen, aber ähnlich gelagerten Zusammenhängen heißt es dann: Mir ist ein Licht aufgegangen. Es ist mir wie Schuppen von den Augen gefallen. Was in diesem Sehen in Wahrheit geschieht, kann man auch nicht hinreichend beschreiben, schon gar nicht erklären.

Bezeichnend ist, dass solches „Sehen“ recht spröde beschrieben werden kann, obwohl es sich in der Regel um einschneidende Begebenheiten handelt. Ähnlich spröde sind ja auch die Erscheinungen in 1.Kor.15 beschrieben. Denn die dortigen Erscheinungen lassen sich ähnlich deuten. „Er wurde gesehen von…“ bedeutet dann: Es war ein Geschehen, in dem sie diesen hingerichteten Jesus mit anderen Augen sehen, den Hingerichteten als Lebenden, den Gekreuzigten als ihren Herrn. Das war nicht einfach ein Identifizieren oder ein schlichtes Wiedererkennen, sondern ein Anerkennen als Kyrios. Mit Ostern ist dieser Jesus von Nazareth nach neutestamentlichem Zeugnis der Kyrios. In einzigartiger Weise wird das in der Thomasgeschichte deutlich. Er, dem angeboten wird, Jesus zu identifizieren, bekennt: Mein Herr und mein Gott.

Ostern bestätigt das Kreuz

In der Umwelt wurden – so seltsam es klingt – die Christen als Atheisten gescholten. Denn es war eine Beleidigung der erhabenen Götter, einen zum Tode Verurteilten und am Kreuz Hingerichteten göttlich als Kyrios zu verehren. Aber um nicht weniger geht es: „Ostern entschärft nicht das Kreuz, sondern bestätigt es. Die Auferweckungsbotschaft ruft also nicht zur Anbetung eines himmlischen Kultgottes, der das Kreuz hinter sich gelassen hat. Sie ruft in die Nachfolge, sich in glaubendem Vertrauen auf diesen Jesus, seine Botschaft einzulassen und das eigene Leben nach dem Maßstab des Gekreuzigten zu gestalten“ (Hans Küng).

In einer Predigt zu Mk 16,1-8 geht Martin Luther ausführlich auf die Worte des Engels ein: Er ist nicht hier und deutet sie in umfassender Weise. Luther versteht dieses „Nicht hier“ nicht einfach nur in dem Sinne, dass Christus nicht in diesem Grab, an diesem Ort ist. „Nicht hier“ bedeutet für Luther, der Auferstandene ist nicht in unserer begrenzten Wirklichkeit, ist also auch nicht mit unseren Denkkategorien zu erfassen und mit unseren Erlebnis- oder unseren Begegnungsmöglichkeiten zu erfahren. So formuliert Luther dann: „Hier, das ist im Tod, darf man Christus nicht suchen. Es müssen andere Augen, andere Finger, Füße sein, die Christus sehen, greifen oder zu ihm gehen wollen.“

Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 18/2014