Geschichte Zeitzeugen für friedliche Übernahme Güstrows 1945 gesucht

04.05.2018 · Güstrow.

Für die wissenschaftliche Aufarbeitung der kampflosen Übergabe der Stadt Güstrow im Mai 1945 an die Rote Armee werden noch weitere Zeitzeugen gesucht. Im Auftrag der Kommune erforscht die Universität Rostock seit Jahresbeginn 2018 in einem zweijährigen Projekt die historischen Hintergründe, wie der Güstrower Bürgermeister, Arne Schuldt (parteilos), mitteilte. Dafür stellt die Stadt rund 63.000 Euro bereit. Die Ergebnisse sollen im Jahr 2020 anlässlich des 75. Jahrestages der sowjetischen Besetzung von Güstrow veröffentlicht werden.

Nach Angaben des verantwortlichen Projektbearbeiters an der Universität Rostock, Ingo Sens, stehen bislang zwei historische Fakten verbürgbar fest. Danach wurde Güstrow am Nachmittag des 2. Mai 1945 kampflos von der Roten Armee besetzt, und es gab keine Brandschatzungen.

Sens äußerte jedoch die These, dass Güstrow wohl auch dann nicht gebrandschatzt worden wäre beim Einzug der Roten Armee, wenn es keine vorherigen Verhandlungen mit den sowjetischen Truppen gegeben hätte. Es gebe Beispiele anderer Städte, wo das so gewesen sei, etwa Prenzlau (Uckermark) oder im vorpommerschen Demmin. Außerdem könne derzeit vermutet werden, dass Güstrow wohl auch nicht gebrandschatzt worden wäre, wenn die Einwohner weiße Fahnen rausgehängt hätten.

Verhandelte Landessuperintendent Sibrand Siegert mit?

Geklärt werden müsse im Rahmen der Untersuchungen unter anderem, ob wirklich nur ein deutscher Hautmann a.D. und eine ukrainische Dolmetscherin mit der Roten Armee im Vorfeld über eine friedliche Übernahme der Stadt verhandelten, sagte Sens. Nach Aussage von Zeitzeugen sei es wahrscheinlich, dass zumindest der damalige Güstrower evangelische Landessuperintendent Sibrand Siegert mitverhandelte.

Auch die in einem Vortrag vor einigen Jahren geäußerte Angabe von 493 Suiziden in Güstrow allein in der ersten Woche nach Besetzung der Stadt durch die sowjetischen Truppen müsse er noch untersuchen, sagte der Historiker. Zum jetzigen Zeitpunkt könne er aber schon sagen, dass es in Güstrow damals zu Plünderungen, Vergewaltigungen und willkürlichen Erschießungen kam.

Der Professor für Zeitgeschichte an der Uni Rostock, Stefan Creuzberger, lobte die Stadt Güstrow für ihr Projekt. Es sei ein Novum in Mecklenburg-Vorpommern, dass eine Kommune ihre Geschichte wissenschaftlich solide aufarbeiten lasse durch eine Universität. Er appellierte an andere Kommunen, diesem Beispiel zu folgen, auch im Hinblick auf spätere geschichtspolitische Entscheidungen oder Darstellungen in ihren Museen.

Quelle: epd