Zeit des Gedenkens Kirchengemeinden in MV erinnern an die Opfer der Judenpogrome vom 9. November 1938

Von Christine Senkbeil

Johanna Joel. Ermordet im besetzten Polen. Ein Stolperstein in Greifswald.

Foto: A. Goritzka

06.11.2016 · Greifwald/Schwerin/Garz. 9. November 1938. Reichspogromnacht. Auftakt für den Massenmord an sechs Millionen Juden. Die Novemberpogrome stehen im Zentrum vieler Veranstaltungen in MV. An Orten, die geschaffen wurden, um die Gräueltaten nicht zu vergessen.

Kurze kalte Tage. Nebel. Schwarze Nacht. Der Herbst legt sich wie eine Trauer über die Welt. Es ist, als kommentierte die Natur, was vor fast acht Jahrzehnten in Deutschland geschah. 78 Jahre ist es her, dass die Diskriminierung der deutschen Juden in systematische Verfolgung umschlug. Die Pogromnacht war der Auftakt für das, was knapp drei Jahre später in den Holocaust mündete.

In Pommern nahm die Bewegung ihren Anfang

Es ist die Zeit des Erinnerns. „Hier in Pommern nahm die Bewegung ihren Anfang“, sagt Pastor und Historiker Irmfried Garbe. Pommern wurde sozusagen zum Testballon für die Massendeportationen. Zwischen 7. und 13. November 1938 wurden deutschlandweit etwa 400 Menschen ermordet oder in den Suizid getrieben. Synagogen brannten, Betstuben wurden zerstört, tausende Geschäfte zerschlagen, Wohnungen gestürmt und Friedhöfe geschändet. 1400 Orte jüdischen Lebens – einfach zerstört. Um die 30.000 Juden inhaftierte man im Anschluss in Konzentrationslager.

Ihre Spuren sind sichtbar, auch in MV. Dort, wo sie verwischt waren, haben sich in den vergangenen Jahren überall im Land Menschen zusammengefunden, die sie wieder ans Licht holten. Stolpersteine, Denkmale, Tafeln an Gebäuden erzählen heute über einstiges jüdisches Leben in unserem Land.

An vielen dieser Orte wird nun der Opfer der Pogrome gedacht. In Schwerin hat der Arbeitskreis „9. November 1938“ Texte, Musik und Gebete vorbereitet, die an den Massenmord an ukrainischen Juden in Babi Yar erinnern. Vor 75 Jahren begannen dort die systematischen Tötungen in den eroberten Gebieten. „Verschütterungen“ lautet das Thema einer Mahn- und Gedenkstunde gemeinsam mit Landesrabbiner William Wolff und der Jüdischen Gemeinde.

Kirchenhistoriker Ludwig spricht über "Büro Grüber"

In Greifswald lädt der Arbeitskreis Kirche und Judentum zu zwei Veranstaltungen ein. Eine Andacht in der Mühlenstraße 10 am ehemaligen Betsaal gedenkt der ehemaligen jüdischen Gemeinde. Am Abend spricht Kirchenhistoriker Hartmut Ludwig aus Berlin über das Büro Grüber. Unter dieser Bezeichnung arbeitete die Hilfsstelle der evangelischen Bekennenden Kirche für Christen jüdischer Herkunft, die ab November 1938 eine Anlauf- und Beratungsstelle für getaufte Juden war. Der Berliner Propst Heinrich Grüber (1891-1975) organisierte die Emigration von mehr als eintausend der evangelischen Kirche nahestehenden konvertierten Juden.

An die jüdische Kaufmannsfamilie Cohn erinnert die Kirchengemeinde in Garz auf Rügen. Außerdem wirft Pastor Garbe dort einen Blick auf „Luther und die Juden“, denn der Reformator hat sich an vielen Stellen seines Werkes auf befremdliche Weise feindselig gegen die Juden ausgesprochen.

Die Tage werden dunkler. Umso besser sind die kleinen Lichter zu sehen, die auf den Stolpersteinen stehen. Sie beleuchten die Namen ermordeter Juden. Zeit des Gedenkens.

Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 45/2016


TERMINE AM 9. NOVEMBER

Gedenken am Friedhof
Güstrow: 18 Uhr, Gedenken auf dem Jüdischen Friedhof.

Film über Lichtenhagen
Ribnitz: Filme für Schulklassen; 19.30 Uhr: „Wir sind jung. Wir sind stark“ über die Übergriffe in Lichtenhagen.

„Verschütterungen“
Schwerin: 18 Uhr, Mahn- und Gedenkstunde „Verschütterungen“ auf dem Schweriner Schlachtermarkt.

Vortrag Luther und Juden
Garz/Rügen: Gedenken am Stolperstein der Kaufmannsfamilie Cohn; Vortrag im Gemeindesaal, Lange Straße 34, mit Pastor Garbe „Luther und die Juden“ (Startzeit siehe Aushang).

Vortrag Büro Gruber
Greifswald: 13 Uhr, Andacht Mühlenstraße 10; 19 Uhr, Vortrag: „An der Seite der Entrechteten und Schwachen“ über Propst Grüber im Bürgerschaftssaal des Rathauses, Hartmut Ludwig.