Warum Wolfgang von Rechenberg in seiner Freizeit gegen TTIP zu Felde zieht "Wer 1989 miterlebt hat, kann zu TTIP nicht Ja sagen“

Von Tilman Baier

Wolfgang von Rechenberg streitet für die Demokratie

Foto: T. Baier

27.09.2015 · Parchim. In seinem Berufsleben ist Diakon Wolfgang von Rechenberg (57) Referent für Schulangelegenheiten in der Nordkirche. In seiner Freizeit engagiert sich der Parchimer kommunalpolitisch. Ihm lässt das Thema TTIP auch darum keine Ruhe, weil er weitreichende Auswirkungen auf die Daseinsvorsorge in seiner Stadt befürchtet.

Demokratie ist Wolfgang von Rechenberg kostbar. „Ich weiß vor allem aus der ganz anderen Erfahrung mit der DDR-Diktatur, wie kostbar demokratische Strukturen sind – und dass sie nur halten, wenn Menschen sie verstehen und mit Leben erfüllen.“ Darum hat er 25 Jahre lang nach der Wende in Stadtvertretung und Kreistag als gewählter Vertreter ehrenamtlich mitgearbeitet. Darum bekommt auch, wer ihn nach seinem Engagement gegen TTIP fragt, von ihm eine Antwort aus der Demokratie-Pädagogik: „Ich lasse dich unterwegs liegen, sagte die Demokratie, wenn du mich nicht betankst, die Reparatur-Intervalle nicht einhältst, den Ölwechsels verpasst und das Frostschutzmittel in der Motorhaube nicht nachfüllst!“

Undemokratisch ist für ihn TTIP, weil es hinter verschlossenen Türen verhandelt wird. Und ebenso, weil solche Handelsabkommen die kommunale Daseinsvorsorge auch in seinem Heimatort Parchim gefährden, indem die internationalen Großkonzerne einseitig bevorteilt werden. Gar als einen Frontalangriff auf die Demokratie wertet er die geplanten Schiedsgerichte, die ohne Kontrolle von außen die öffentliche Rechtssprechung und damit auch die Vollmacht des Parlaments als Gesetzgeber unterlaufen. „TTIP ist auch auf Ungerechtigkeit gegenüber Entwicklungsländern ausgerichtet und verstärkt die Fluchtursachen. Wollen wir das alles?“, fragt er.

Nein, er ist nicht gegen freien Handel und Wandel. „Den gibt es ja. Die USA haben zehn Milliarden Dollar in Europa investiert, und Europa in den USA rund 120 Milliarden Dollar.“ Ein Zuviel an Bürokratie kann man abbauen, aber der demokratisch kontrollierte Staat muss seinerseits die volle Kontrolle über die Gesetze und Vorschriften behalten, ist von Rechenberg überzeugt.

"Demokratische Grundlagen sollen zersägt werden"

Der Diakon ist kein Protestler um des Protests willen. Sorgfältig hat er sich mit der Materie beschäftigt. Von seinen Kindern hat er gelernt, wie man im Internet zwischen Verschwörungstheorien und seriösen Aktionsplattformen wie CAMPACT unterscheidet. Und bei der großen Anti-TTIP Demonstration im Januar in Berlin hat er „sehr kluge und verantwortungsbewusste Menschen“ getroffen. Er will erreichen, dass möglichst vielen Menschen die Auswirkungen für ihr Leben vor Ort deutlich wird. So bringt Wolfgang von Rechenberg überall, wo es möglich ist, das Gespräch auf TTIP, so beim SPD-Ortsverein, in der Kirchengemeinde. Auch „der von mir gewählte Bundestagsabgeordnete erhält regelmäßig Post von mir.“

Stolz ist er vor allem darauf, dass sich sein Kreistag mit den Folgen von TTIP auseinandergesetzt und eine kritische Stellungnahme beschlossen hat. „Das haben übrigens in Deutschland außergewöhnlich viele Städte und Landkreise getan.“ Als einen „ungeheuerlichen Vorgang“ bezeichnet er, dass daraufhin „Berlin nervös geworden ist und den Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages dazu missbraucht hat, eine juristische Stellungnahme zu verfassen, dass die Kommunen sich mit diesem Thema nicht befassen dürft en.“ Zwar habe sein Landkreis mit einer juristischen Einschätzung diesen Versuch widerlegt. „Aber ich kann nur empfehlen, dieses einmal nachzulesen – und zu sehen, wie demokratische Grundlagen mitunter zersägt werden sollen.“

Und er macht Mut, sich mit der Materie zu befassen: „Man braucht eine Stunde, um sich einzulesen.“ Hilfreich ist die verständlich geschriebene Stellungnahme von „Brot für die Welt“. Sie verlangt das Aussetzen der Verhandlungen. Sie schlägt vor, zunächst über einen klar begrenzten und transparenten Verhandlungsauftrag für die deutsche Regierung und die Europäische Kommission zu diskutieren, der soziale und ökologische Standards enthält. Vor allem sollen die anerkannten demokratischen Grundlagen zur Teilung und Kontrolle von Machtausübung dabei gesichert werden. „Um es kurz zu sagen: Wer 1989 in der DDR miterlebt hat, kann zu TTIP nicht Ja sagen.“

Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 39/2015