Zwischen Achtung und Ächtung Wie das Gespräch in einer gespaltenen Gesellschaft in Gang kommt

19.02.2020 · Tübingen/Hamburg. Jeder Konservative ein "Nazi", jeder Progressive "linksgrünversifft" - auf diesem Niveau laufen etliche Debatten im Internet ab. Zwei Kommunikationsexperten suchen Wege, wie es wieder zu sinnvollen Gesprächen kommen kann.

Die Ereignisse im Thüringer Landtag haben erneut gezeigt, welch tiefer Riss durch Deutschland geht. Inzwischen müssen sich sogar FDP-Funktionäre als "Nazi" beschimpfen lassen, weil einer aus ihrer Partei mit Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten gewählt wurde. Der Hamburger Kommunikationspsychologe Friedemann Schulz von Thun und der Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen haben ein Buch vorgelegt, das punktgenau in diese Situation spricht. Unter dem Titel "Die Kunst des Miteinander-Redens" widmet es sich dem Dialog in Gesellschaft und Politik.

"Demokratie und Liberalismus basieren auf der Prämisse, dass das Miteinander-Reden Sinn macht und gelingen kann", sagt Schulz von Thun in einem der vier großen Zwiegespräche, aus denen das Buch besteht. Der gute Dialog sei "ein Geburtsort der Vernunft". Doch in "Zeiten der Dauer-Aufregung" (Pörksen) will das Gespräch nicht mehr so richtig in Gang kommen.

An Beispielen mangelt es den beiden Gesprächspartnern nicht - ob es der Umgang mit AfD oder Pegida-Demonstranten ist, die Auseinandersetzung mit Leugnern des menschengemachten Klimawandels oder die Einschätzung von US-Präsident Donald Trump und seiner Unterstützer. In den Sozialen Netzen finden sich dazu fast nur noch Lager, zwischen denen kein Gespräch mehr möglich scheint.

Balance von Achtung und Ächtung

Schulz von Thun wirbt in diesen heftigen Auseinandersetzungen für eine Balance von Achtung und Ächtung. Wer nur vermeintlich falsche Positionen ächte, trage zur Dämonisierung bei und erkläre seinen Gegner für "unwürdig, im demokratischen Orchester mit einer hörenswerten Stimme mitzuspielen". Das befördere Polarisierung und Spaltung.

Wer andererseits nur Achtung zeige, laufe Gefahr, faschismusnahe Gedanken hoffähig zu machen und sie sogar zu stärken. Es müsse auch eine Ächtung von Positionen geben, die der Demokratie entgegenstehen. Achtung und Ächtung richtig auszutarieren, gleiche der Navigation zwischen Skylla und Charybdis, den Meeresungeheuern aus der griechischen Mythologie.

Pörksen und Schulz von Thun spielen die Konsequenzen an mehreren Themen durch, etwa am Streit um die Flüchtlingspolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Sie simulieren ein Gespräch, wie es zwischen Befürwortern und Gegnern laufen könnte, obwohl beide Autoren des Buchs eher auf Merkels Seite stehen.

Einen positiven Kern würdigen

Ein Schlüssel für gelingende Kommunikation ist laut Schulz von Thun, selbst bei abstruser Argumentation des Gegenübers noch einen positiven Kern zu würdigen. Beim Kritiker der Flüchtlingspolitik etwa, dass er sich Sorgen um die Stabilität des Staates macht; ja sogar beim Verschwörungstheoretiker, dass er nicht alles glaubt, was ihm die Mehrheitsmeinung vorgibt. Dann aber sollte man umso entschiedener die eigenen Argumente auf den Punkt bringen und faktenwidrige, demokratiefeindliche oder rassistische Positionen ächten.

Die Würdigung der Position des Gegenübers bietet den Kommunikationsexperten zufolge die Chance, selbst mit denen ins Gespräch zu kommen, mit denen ein Gedankenaustausch zunächst wegen zu gegensätzlicher Positionen unmöglich erscheint. Wer dagegen einen Dialog ausschließlich mit der Absicht beginne, darin zu "gewinnen", lasse sich nicht wirklich auf sein Gegenüber ein.

Die Autoren sind nicht so naiv zu glauben, dass sich alle gesellschaftlichen Konflikte durchs Drüber-Reden lösen lassen. Aber sie halten an der Überzeugung fest, dass Demokratie nur durch Dialog funktionieren kann. Wie Gespräche in Politik und Gesellschaft wieder besser werden, dazu bietet dieses Buch erhellende Einsichten und eine Fülle von Anregungen.

Quelle: epd


Info

Bernhard Pörksen/Friedemann Schulz von Thun: Die Kunst des Miteinander-Redens. Über den Dialog in Gesellschaft und Politik. 223 Seiten, 20 Euro, Hanser (München) 2020.