Das Evangelium neu erzählen Vorgestellt: Die Vikare des Pommerschen Kirchenkreises

Von Christine Senkbeil

19.10.2014 · Stralsund. Fünf Frauen und Männer zwischen 26 und 39 Jahren haben sich in einem kleinen Gemeinderaum unterm Dach der Lutherkirche in Stralsund versammelt: Die Vikarinnen und Vikare des Kirchenkreises Pommern. Sie kommen aus unterschiedlichen Gegenden Deutschlands. Und die Impulse, die ihren Lebensweg hierher führten, sind ebenfalls denkbar verschieden.

Ihr Ziel jedoch ist das gleiche. Sie möchten ins Pfarramt: In Zeiten von Stellenkürzungen und Gemeindezusammenlegungen, in Zeiten schwindender Mitgliederzahlen und baufälliger Kirchen. Und trotz des Stöhnens älterer Kollegen unter ihrer stetig steigenden Arbeitsbelastung...

„Aber du willst doch Familie haben“, hatte Friederike Grubes Mutter zu Bedenken gegeben, als die heute 31-Jährige zum ersten Mal „Pastorin“ als Berufswunsch in Erwägung zog. Ja, Familie wollte sie. „Und der Pfarrerberuf ist ja tatsächlich recht unstrukturiert und verlangt auch zeitlich viel Flexibilität“, bestätigt Friederike aus heutiger Sicht. Doch der Wunsch war stärker. Nach ein paar Germanistik-Semestern in Berlin und einem ernsthaften Gespräch mit Pastorin Pilgrim ihrer Heimatstadt Barth zog es Friederike zur Theologie und nach Greifswald.

Wie gut oder schlecht sich Pastorin und Mutter-Sein vereinbaren lässt – das erlebt sie nun als Vikarin an der St. Marienkirche in Greifswald. Inzwischen hat sie zwei kleine Kinder und wohnt mit ihrem Mann 15 Kilometer stadtentfernt in Loissin. „Ich versuche eben, Termine klar zu begrenzen“, sagt die ausgeglichen wirkende junge Frau.

Zirka sechs Jahre Theologie-Studium liegen hinter ihr und den anderen Vikaren hier im Raum. Seit 2013 läuft das zweieinhalbjährige Vikariat, also der praktische Ausbildungsteil. Einmal in der Woche trifft sich Friederike Grube hier mit ihren Vikars- Kollegen. Praktische Erfahrungen, die sie alle in den Gemeinden und im Schuleinsatz machen, werden hier mit dem theoretischen Wissen aus den Seminaren verknüpft. Doch heute ist einmal Zeit, Erwartungen und auch Ängste vor dem Einstieg in die selbständige Arbeit im Pfarramt zu formulieren – im Gespräch mit der Kirchenzeitung.

Mitarbeiter als Multiplikatoren gewinnen

Auf den sonst so unternehmungslustigen Zügen von Geoffrey Holtmann, Vikar der Luthergemeinde, zeigt sich ein schwaches Lächeln auf die Frage, wie unsere Kirche wohl am Ende seiner Dienstzeit aussehen werde. „Man könnte mit ‚ich fürchte‘ oder mit ‚ich hoffe‘ anfangen“, sagt der 26-Jährige.

„Wenn wir als Kirche weitermachen wie bisher, kriegen wir Probleme. Dass nur der Pastor für alles verantwortlich ist, geht eben nicht mehr.“ Ehrenamtliche motivieren, das ist auch der Weg, den Tobias Sarx, Vikar in Damgarten, für gangbar hält für eine Kirche der Zukunft. Mitarbeiter als Multiplikatoren gewinnen. „Ich bin ein großer Fan von Gemeindeentwicklung durch Ehrenamt“, erklärt er entschlossen.

Und auch Friederike Grube hofft auf diese ‚mündige Gemeinde‘, „und nicht, dass ich da meine Ein-Mann- Show machen muss.“ Marie-Luise Schmidt allerdings, sieht die Situation, in der sich viele Landpastoren mit unüberschaubar großen Gebieten befinden, eher als Schreckensvision. Die aus Dierhagen in Mecklenburg stammende 29-Jährige ist selbst auf dem Land Vikarin, in der Gemeinde Gristow-Neuenkirchen, und wohnt „im schönsten Pfarrhaus der Welt“, nämlich in Gristow. „Man merkt ja, es funktioniert nicht mehr mit so wenigen Pastorenstellen. Ich hoffe, dass die Bedingungen, bis wir fertig sind, wieder etwas besser geworden sind.“

Tatjana Eggert, Vikarin in Prohn, hat in ihrer Jugend auf dem Land sehr deutlich erfahren, welch eine wichtige Rolle so ein Landpastor gerade auch für die Heranwachsenden haben kann. Mit Kirche hatte in ihrem Elternhaus nämlich niemand zu tun. Detlef Brick war es, der sie mit 14 Jahren taufte. Er begeisterte durch bunte Jugendarbeit und förderte eine Band, die zu einem wichtigen Teil im Leben der Jugendlichen wurde.

„Persönliche Begeisterung überzeugt mehr als jedes Argument“

Überzeugend sein. Mitreißen. Und zwar durch Taten. Das ist die Devise der Vikare hier am Tisch. Sie alle blicken auf solche „Vorbilder“ zurück, die letzten Endes ihren Lebensweg hierher geführt haben. Ein Professor war es beispielsweise bei Marie-Luise Schmidt. Alttestamentler Hardmeier aus Greifswald verdeutlichte ihr: Pastor und Wissenschaftler sein, das geht. „Das kann ich auch“, hat sie sich damals gedacht – und wurde dann also doch nicht Lehrerin. Es waren lebendige Menschen, die sie zu ihrem Berufswunsch führten, keine geschriebenen Bücher. „Persönliche Begeisterung überzeugt mehr als jedes Argument“, sagt Geoffrey Holtmann.

„Argumente haben wenig Kraft, wenn das Herz nicht berührt wird“, unterstützt auch Friederike Grube. Solche Berührung hat sie in zwei Semestern in Südafrika erfahren. „Dort sprachen auch Jugendliche so offensiv über ihren Glauben, das hat mir gut getan“, schwärmt sie. Man müsse eben weniger offensiv predigen. Sondern mehr vom Glauben vorleben. Auch hier seien Menschen auf der Suche. Ihnen Räume eröffnen, Futter für die Seele bieten, „das sind die Möglichkeiten, die wir als Kirche haben.“

„Ich möchte die kognitive Seite stark machen“, mischt sich allerdings Tobias Sarx ein. Sechs Jahre arbeitete er nach seinem Studium bereits als Kirchengeschichtler in Marburg. „Wenn man das Herz erreicht, möchte man den Glauben ja auch verstehen“, meint der 39-Jährige. Ein wenig sieht er sich im Pfarramt auch als Aufklärer. Zu zeigen, „man kann in die Kirche gehen UND den Verstand gebrauchen.“ Eine „neue Übersetzungsleistung des Evangeliums“ sei die Aufgabe der neuen Pastorengeneration. „Es ist den Menschen auf der Straße einfach nicht mehr so plausibel.“

Ob mit Herz oder Hand oder Kopf – an Motivationen mangelt es hier in der Runde also keineswegs. Was ihnen zwar allen vor Augen steht, ist die wirtschaftliche Seite ihres Jobs – die Büroarbeit erledigen, das Bauen und Verwalten. „Darauf sind wir null vorbereitet“, sagt Tatjana Eggert. „Ein massiver Kritikpunkt an der Ausbildung“, findet Tobias Sarx. „Ich frage mich, wieviel Geld wir sparen könnten, wenn wir dafür ausgebildet wären“, betont Geoffrey Holtmann.

Die Mentorin ist optimistisch, dass ihre Vikare ihre Sache meistern werden – auch am Schreibtisch. „Das Profil ihres Berufes ist so vielseitig und sie sind so flexibel ausgebildet“, sagt sie und schickt die energiegeladene Runde wieder auf ihre Entdeckungsreise in die Gemeinden.

Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 42/2014