Sozialdiakonische Kinder- und Jugendarbeit in Mecklenburg fordert anderen Politikstil Mit Zorn ins neue Jahr

Von Tilman Baier

Berufsfrühorientierung für diese Heranwachsenden bietet das Projekt Tierheimbus der „Sozial-Diakonischen Arbeit - Ev. Jugend“ mit der Neuen Gesamtschule Friedland und dem Tierheim Sadelkow. Doch diese Arbeit ist gefährdet.

Foto: Juliane Sturmhöfel

11.01.2015 · Schwerin. Es ist gute und langjährige Tradition, dass sich in der ersten vollen Woche des neuen Jahres Haupt- und Ehrenamtliche der evangelischen Jugendarbeit Mecklenburgs und seit einigen Jahren auch Pommerns zu ihrer Mitarbeitertagung treffen. Das Programm bot auch dieses Jahr von Mittwoch bis Freitag in Salem bei Malchin Vorträge, Austausch und gemeinsames Feiern – Gelegenheit zum Durchatmen und Auftanken. Doch dieses Jahr fuhren manche an den Kummerower See mit Wut im Bauch.

Axel Markmann ist einer der Zornigen. Der Geschäftsführer der Evangelischen Jugend (Schwerin), Träger von sozialdiakonischer Arbeit im Kirchenkreis Mecklenburg, hat einen Brandbrief an die Redaktion der Kirchenzeitung geschrieben: „Zorn begleitet uns schon seit dem Dezember und auch jetzt in den ersten Arbeitstagen des neuen Jahres schon wieder – neu und anders. Zu viel passiert, was hilflos und wütend macht.“

Da sind zum einen die Negativ-Erfahrungen, die Mitarbeiter des Jugendmigrationsdienstes bei ihrer Arbeit gemacht haben. Auf dem Hintergrund der anschwellenden Pegida-Bewegung, aber auch der Diskrepanz zwischen dem Ruf von führenden Politikern nach einer Willkommenskultur für Flüchtlinge und tatsächlichem politischen Handeln erzählt Diakon Markmann ein Beispiel: So sei bei einem Arztbesuch mit einem jugendlichen Flüchtling, der durch Folterungen Blut im Stuhl hatte, der begleitende Mitarbeiter „laut dragsaliert“ worden, „wie man denn mit Menschen, die auch Ebola haben könnten, einfach in eine Praxis gehen kann.“

Kein Willkommen für Flüchtlinge

Für Axel Markmann ist dies auch eine Folge der Bagatellisierung des Schicksals von Gefolterten nicht nur in Guantanamo. „Beteiligungen des christlichen Abendlandes an menschenverachtenden Handlungen werden geleugnet und heruntergespielt. Und andere bereiten mehr oder weniger öffentlich – auch in unseren Städten – den Boden für die nächsten menschenverachtenden Äußerungen.

Und da sind zum anderen die Negativ-Erfahrungen mit politischen Gremien und Verwaltungen in unserem Bundesland, wenn es um die eigenen Kinder und Jugendlichen geht: „Aktuell werden in dem kinderfreundlichen Mecklenburg-Vorpommern viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Kinder- und Jugendeinrichtungen und in Beratungsstellen seit zwei Wochen vor Heilig Abend völlig verunsichert“, kritisiert Axel Markmann. Weil Landkreise ihren Haushalt nicht beschließen, können keine Förderbescheide ausgestellt werden. Die Träger würden auf das Frühjahr vertröstet. „Was aber, wenn die Gelder nicht in dem benötigten Umfang kommen?“, fragt der Geschäftsführer der Evangelischen Jugend bitter und beklagt fehlende Planungssicherheit.

Jugend braucht Verlässlichkeit

Das betrifft vor allem die Schul- und Jugendsozialarbeit in Neubrandenburg, „wieder einmal“, so Markmann, und im Landkreis Mecklenburgische Seenplatte. Doch nach seinem Bekunden betrifft diese Planungsunsicherheit auch andere diakonische Einrichtungen und in den Regionen alle Jugendhilfeträger, die Jugend- und Schulsozialarbeit anbieten. „Es trifft aber vor allen Dingen die Kinder und Jugendlichen, die sich auf uns einließen und deren Vertrauen wir erarbeitet haben. Denkt denn niemand weiter? Wenn wir die Türen nicht öffnen, kann das zu neuem Verdruss über die Politik führen“, so der Diakon.

Darum hat sich die „Sozial- diakonische Arbeit - Evangelische Jugend“ entschieden, wenigstens erst mal Arbeitsverträge für drei Monate auszustellen – auch wenn das Risiko schwer kalkulierbar sei. Doch das Vertrauen in der Mitarbeiterschaft gegenüber den zuständigen politischen Gremien sei stark angeschlagen: „Was engagierte Kolleginnen alle Jahre wieder durchmachen, und jedesmal härter, ist irre. Wir können dankbar sein, dass sie so treu zu den diakonischen Diensten stehen.“

„Jugendarbeit braucht Kontinuität und Beziehungen brauchen Verlässlichkeit.“ Die fordert Markmann auch von der Politik: „Wir brauchen einen anderen Politikstil – wir brauchen Verlässlichkeit in der Jugendarbeit und im Sozialen insgesamt“, betont der Geschäftsführer. „Wie sollen wir denn Kindern, Jugendlichen und Eltern Perspektiven anbieten, wenn uns die politischen Entscheidungen jegliche Perspektiven für Orientierung nehmen oder vorenthalten?“

Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 02/2015