Interview Silvia Giesecke liebt ihre Rolle als Pfarrfrau auf Rügen – und wehrt sich gegen Klischees

Seit 21 Jahren lebt Sylvia Giesecke (49) mit ihrem Mann Pastor Bernhard Giesecke im Pfarrhaus Garz auf Rügen.

Foto: privat

05.03.2017 · Greifswald. Über Grenzen, den Alltag und ihren Glauben haben sich 17 Pfarrfrauen aus dem Pommerschen Kirchenkreis vor Kurzem bei einer Rüste in Lubmin ausgetauscht. Sybille Marx hat mit Leiterin Sylvia Giesecke vom Pommerschen Pfarrfrauendienst gesprochen – und nach der Rolle der Pfarrfrau im 21. Jahrhundert gefragt.

Frau Giesecke, das Thema der Rüste lautete Grenzen. Welche Grenzen darf eine pommersche Pfarrfrau denn heute ziehen, um Raum für sich zu haben?

Sylvia Giesecke: Grundsätzlich darf heute doch jede Frau unserer Gesellschaft ihre Grenzen in dem Rahmen ziehen, wie es ihre familiäre, berufliche oder finanzielle Situation zulässt. Wie sie dabei auf die berufliche Situation ihres Partners Rücksicht nimm, liegt in ihrem Ermessen. Die Frage nach dem Dürfen ist schon etwas schräg. Es ist ja nicht mehr so wie früher, dass die Frau eines Pastors automatisch ihren Beruf aufgibt, um für ihren Mann und die Gemeinde da zu sein. Die typische Pfarrfrau gibt es heute kaum noch, die meisten sind selbst berufstätig. Über den Beruf des Partners oder der Partnerin definiert zu werden, ist antiquiert.

Aber gibt es keine Erwartungshaltung von außen?

Natürlich erwarten viele Gemeindeglieder auch heute noch, dass ein Pfarrhaus ein offenes Haus ist, dass sie praktisch jederzeit kommen können. Da muss sich die Pfarrfamilie aber auch ein Stück weit schützen und Grenzen ziehen.

Wie geht es denn den pommerschen Pfarrfrauen, wie frei oder belastet sind sie derzeit?

Das werde ich so nicht beantworten, das ist individuell sicher sehr unterschiedlich. Aber eins weiß ich: Das Thema, dass die Arbeitsbelastung steigt, weil Nachbarpfarrstellen frei oder nicht mehr besetzt werden und der Partner sie in der Vakanzzeit mitzuversorgen hat oder gar übernimmt – das kennen wir Frauen von Pastoren fast alle, das erleben wir hautnah als Belastung des Partners und oft der ganzen Familie. Man muss neu ausloten: Wie kann man die Arbeit organisieren, wo bleibt Zeit für Erholung und die Familie? Der Pommersche Kirchenkreis hat darauf aber auch schon reagiert, etwa, indem er Vertretungspfarrstellen geschaffen hat.

Manche jüngeren Pastoren schreiben Arbeitszeiten an die Tür und signalisieren: Nur in Notfällen darf man außerhalb klingeln. Wie finden Sie das?


Es ist schon so, dass sich das Berufsethos gewandelt hat, viele der jüngeren Pastorinnen und Pastoren sagen: Ich bin nicht mehr permanent im Dienst. Wie jedoch die Präsenz im Pfarrdienst rund um die Uhr gehandhabt wird, ist individuell unterschiedlich, das ist auch zu respektieren. Die Entscheidung meines Mannes, die auch ich richtig finde, ist: Zu jeder Zeit sollten Menschen, vor allem wenn sie in einer Notlage sind, zu unserem Pfarrhaus kommen dürfen – es gibt keine Sprechzeitenregelung. Wenn möglich, halten wir aber am freien Montag, dem Pastorensonntag fest. Dies hat mein Mann gleich bei Dienstbeginn kommuniziert, und die Gemeindeglieder haben vollstes Verständnis. Mir fällt es auch nicht schwer, das montags am Telefon freundlich, aber bestimmt durchzustellen – mit der Info, wann mein Mann wieder im Dienst ist. Niemals habe ich da in den letzten 21 Jahren Unverständnis gehört.

Aber bleibt nicht automatisch Gemeindearbeit an der Partnerin oder dem Partner hängen, wenn das Pfarrhaus immer off en steht?

Da bauen Sie schon mit ihrer Frage ein fast bedrohliches Szenario rund ums Leben im Pfarrhaus auf und suggerieren stetige Belastung – das riecht mir zu sehr nach Klischee. Ein Pfarrhaus, das immer offensteht und alles rein lässt, dient niemandem. Es muss unterschieden werden zwischen dem privatem Refugium im Pfarrhaus und -garten und der Begegnungs- und Arbeitsstätte Pfarrhaus von Berufs wegen. Der Privatmensch Pastorin oder Pastor braucht den Rückzugsort, ebenso der Partner und die Familie – dann ist die Tür auch mal zu und Anrufe stranden im Anrufbeantworter. Das Verständnis dafür ist aber groß, vor allem dann, wenn die Menschen wissen, dass sie grundsätzlich, besonders in einer Notlage, im Pfarrhaus willkommen sind. Dass automatisch Gemeindearbeit an der Partnerin oder dem Partner hängen bleiben kann, vor allem, wenn der Pastor oder die Pastorin abwesend ist, damit ist im Pfarrhaus zu rechnen, weil Dienst- und Wohnsitz unter einem Dach liegen. Also: Die Anliegen der Besucher anhören, Telefonate entgegennehmen, Termine arrangieren, Anliegen der Mitarbeitenden vermitteln und die vielen „tausend Handgriffe“, die keiner sieht… hier muss die Pfarrfrau oder der Pfarrmann das gesunde Maß ausbalancieren.

Angenommen, ein Pastor heiratet eine Frau, die mit Kirche gar nichts am Hut hat – oder eine Pastorin einen Mann, bei dem das so ist. Kann das funktionieren?

Ich würde sagen: schwierig. Wenn man das berufliche Dasein des Partners nicht mitträgt, sondern sogar ablehnt, lehnt man auch ein Stück seiner Persönlichkeit ab. Damit das gemeinsame Leben im Pfarrhaus gelingt, ist ein gewisses Maß an Identifikation mit dem pastoralen Dienst nötig. Der Pfarrberuf ist sehr zeitintensiv und beansprucht Tage, an denen andere frei haben. Wenn man dafür kein Verständnis entwickeln kann, ist das ein Dauerkonflikt. Tragend sind in der Partnerschaft doch auch die gegenseitige berufliche Anerkennung und ebenso die Wertschätzung der religiösen Überzeugung des anderen.

Wie wichtig ist Ihnen der Austausch mit den anderen Pfarrfrauen?

Sehr wichtig. Ich kenne manche der Frauen schon seit 20 Jahren, es sind meine Weggefährtinnen. Das ist ein absolutes Highlight, wenn wir uns jährlich zu unserer Rüste treffen. Wir können in großer Runde ganz offen und vertrauensvoll miteinander sprechen, das empfinde ich als etwas Besonderes – wo gibt es das sonst? Wichtig sind uns immer auch religiöse Elemente zur Stärkung und Begleitung: Morgenandachten, Bibelarbeiten mit einer Referentin, Zeit zum Singen, zur Meditation, zum Gebet – und unser gemeinsam gestalteter Gottesdienst zum Abschluss.

Und würden Sie sich noch einmal auf ein Leben als Pfarrfrau einlassen?


Ja. Mein Mann und ich sind uns einig: Wir verleben im Garzer Pfarrhaus auf Rügen die schönste Zeit unseres Lebens. Ich stehe voll und ganz hinter dem Beruf meines Mannes, weil es für mich selbst so wichtig ist, Kirche Christi mitzugestalten. Ich gestalte gerne unser Leben im Pfarrhaus und liebe mein Werkeln im Pfarrgarten, das ist mein Ausgleich. Es gibt so vielfältige, kreative, dankbare Möglichkeiten, sich in unserer Kirche zu engagieren, dass ich im Moment nicht sehe, wo ich lieber sein möchte oder besser meine Begabungen unterbringen könnte. Immer kann ich auch das, was ich als Diplom-Sozialpädagogin beruflich erlernt und erfahren habe, einsetzen.

Aber Sie und andere Pfarrfrauen, die sich ausschließlich ehrenamtlich einbringen, haben keine finanzielle Unabhängigkeit – stört Sie das nicht?

Diese Frage möchte ich keineswegs für andere Frauen beantworten. Ich persönlich empfinde keine finanzielle Abhängigkeit im Rahmen unseres Familieneinkommens und sehe mich auch nicht dadurch bedroht, ausschließlich ehrenamtlich tätig zu sein. Unsere Konstellation – er berufstätig, ich im Ehrenamt – haben wir bewusst zusammen entschieden.

Aber was bedeutet dieses Modell im Fall einer Scheidung?

Dieses Thema kann man nicht mal eben nebenbei abhandeln. Pfarrpartner, die ihre Familie zerbrechen sehen, stehen vor großen Problemen – vor allem dann, wenn sie selbst nicht berufstätig waren oder ausschließlich ehrenamtlich tätig gewesen sind. Hier kann ich nur exemplarisch einige Schlüsselthemen nennen: Die Betroffenen müssen aus der Dienstwohnung ausziehen und bezahlbaren Wohnraum finden. Sie verlieren oft die Anbindung an die bisherige Gemeinde, brauchen finanzielle Unterstützung, wenn juristischer Beistand benötigt wird. Es drohen Arbeitslosigkeit und Abhängigkeit vom Unterhalt des Ex-Partners und eine Eintrittssperre in die gesetzliche Krankenversicherung, wenn man über den Ehepartner versichert war. Ein Fortschritt ist aber, dass das Thema Ehekrisen im Pfarrhaus heute überhaupt öffentlich zur Sprache kommt. So wird es enttabuisiert.

Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 09/2017