Segelschiff „Zuversicht“ soll Jugendliche aus der Nordkirche auf den Umweltschutz einschwören „KlimaSail“ – wenn es eng wird auf der Welt

Von Sybille Marx

Segel reffen, Geschirr spülen: Die Jugendlichen aus Pasewalk, die jetzt auf der „Zuversicht“ mitsegelten, mussten überall mit anpacken. Wie alle rund 1 000 jungen Leute, die bisher eine „KlimaSail“ mitmachten. Diese Törns werden als Umweltbildungstouren vom Jugendpfarramt der Nordkirche mit weiteren Partnern organisiert.

Foto: Johannes von Kymmel

10.08.2014 · Rostock. Auf dem Marstal-Schoner „Zuversicht“, der gerade die Hansesail in Rostock besucht, leben Jugendgruppen aus der Nordkirche eine Woche klimaschonend – und kämpfen an Bord manchmal noch mit ganz anderen Herausforderungen. Der Pasewalker Jugendwart hat’s erlebt.

Viel schöner kann man sich einen Traditionssegler kaum vorstellen: Die „Zuversicht“, 1905 im dänischen Troense vom Stapel gelassen, hat einen Eichenholzrumpf, rotbraune Segel, honigfarbenes Holz überall unter Deck. „Wir haben ganz viel original gelassen“, erzählt die Geographie- und Biologie- Studentin Leona Greve vom Verein „Jugendsegeln“, der das Schiff im Jahr 2000 kaufte und überholte. „Die ‚Zuversicht’ ist eine echte Augenweide der Ostsee“, verkünden die Vereinsleute nun stolz im Internet.

Auch Johannes von Kymmel, der als Jugendwart von Pasewalk gerade zum zweiten Mal mit Jugendlichen auf der „Zuversicht“ unterwegs war, gerät ins Schwärmen, wenn er die Schönheit dieses alten Schiffs beschreiben soll. Und weiß doch, dass der Schein trügt. „Man darf die Enge nicht unterschätzen“, sagt er. 30 Meter lang, 6 Meter breit – auf der „Zuversicht“ schrumpft die Welt für ein paar Tage zusammen auf das Volumen eines Klassenzimmers.

Erlebnispädagogisch gesehen eine Chance. Pastor Christoph Bauch vom Jugendpfarramt der Nordkirche am Koppelsberg, Lehramtsstudentin Leona Greve und weitere Pädagogen nutzen die „Zuversicht“ seit 2011, um mit Jugendgruppen aus der ganzen Nordkirche wochenweise auf die Ost - oder Nordsee rauszufahren. Unter der Überschrift „KlimaSail“ beschäftigen sich an Bord alle mit Klimawandel und Umweltschutz, nehmen Bodenproben aus der Ostsee, gehen schnorchelnd den Meeresleben auf den Grund – und lernen ganz nebenbei, wie das eine mit dem anderen zusammen hängt: der Wind mit dem Segel, das Klima mit der Menschheit, der Einzelne mit dem Co2-Ausstoß.

„Welt im Kleinformat“, nennen die Pädagogen ihre „Zuversicht“ auch. „So ein Schiff ist ja ein relativ abgeschlossenes System“, erklärt Leona Greve, die als „Klima-Teamerin“ inzwischen ein dutzend Klima-Sail-Touren begleitet hat. Die Ressourcen Treibstoff, Wasser, Strom, Nahrung seien begrenzt, „genau wie auf der Welt“. Nur dass die Endlichkeit dieser Ressourcen auf einem Schiff viel direkter erfahrbar seien als auf dem Planeten Erde.

„Auf dem Schiff kann man sich nicht aus dem Weg gehen“

„Welt im Kleinformat“ – der Name passt allerdings auch mit Betonung auf „klein“, wie Johannes von Kymmel erlebt hat. Als der Jugendwart das erste Mal mit jungen Pasewalkern an Bord ging, war er auf Mannschaftsgeist, Wind und Weite eingestellt. Doch für die Jugendlichen war die Enge an Bord ein Problem. Kojen dicht an dicht, der Salon der einzige Aufenthaltsort unter Deck. „Da haben sich Konflikte aufgebaut, die bis heute andauern“, erzählt er.

Wer für eine KlimaSail an Bord kommt, wird nicht wie ein Hotelgast bedient, sondern muss sich einfügen in den Rhythmus einer Segelcrew: Segel hissen helfen, wenn der Wind günstig steht; Nachtschichten schieben, wenn das Schiff in freier Wildbahn ankern soll, für alle kochen und abwaschen, Böden und Toiletten putzen. Begeisterte Mitsegler beschreiben auf www.klimasail.de, eine Fahrt in den glühend roten Sonnenaufgang oder eine Wache unter dem weiten Sternenhimmel entschädige für all diese Mühen.

„Aber das Problem ist, dass man sich auf dem Schiff nicht aus dem Weg gehen kann und zwangsläufig die Eigenheiten jedes Einzelnen sieht – auch die Macken“, sagt Johannes von Kymmel. Bei seiner ersten Tour war das ein Problem. „Da waren ein paar dabei, die immer alles besser wussten“, erzählt er. Sie drängten auch nach vorn, wenn die Klima-Teamer Aufgaben auf dem Schiff verteilten. „So blieben die Arbeiten, die keiner machen wollte, an den anderen hängen.“ Die Folge: Statt dass die Einzelnen zur Mannschaft wurden, wuchs auf der „Zuversicht“ ein Graben.

In diesem Jahr war von Kymmel vorgewarnt. „Ich habe das von vornherein thematisiert“, erzählt er: dass man sich in der Enge auch mal auf die Nerven gehen wird, dass es wichtig ist, die Eigenheiten des Anderen zu tolerieren. Dass man auf einem Schiff nur vorankommen und sein Ziel erreichen kann, wenn alle im Team arbeiten.

„Das hat geholfen“, sagt er. Auch das veränderte Konzept der „Klima- Sail“ kam ihm und der Gruppe wohl entgegen. Die Törns starten inzwischen mit einer mehrtägigen Vorbereitungsphase in einem Haus auf der Lotseninsel, jenem idyllischen Fleckchen Erde, an dem die Schleie in die Ostsee fließt, geschützte Vögel brüten, Segelschiffe vor den Fenstern vorbeiziehen.

„Die sind wirklich zu einer Mannschaft geworden“

Mit Kennenlernspielen und Wünsche- Abfragen fängt dort alles an. „Dann arbeiten wir erstmal zum Thema Klima und Nachhaltigkeit“, schildert Leona Greve. Je nachdem, welche Lernmodule sich die Jugendlichen herausgesucht haben, berechnen sie etwa ihren Co2-Abdruck, um zu erkennen, welche Spuren der eigene Lebenswandel hinterlässt, oder machen sich mit der Lebenswelt der Ostsee vertraut. Nebenbei müssen die Teilnehmer schon selbst kochen und putzen – wie nachher auf dem Schiff, nur noch nicht auf schwankendem Boden.

Für die Gruppe, die Johannes von Kymmel im Juli mitnahm – zehn Jugendliche zwischen 14 und 21 Jahren aus Pasewalk und Ueckermünde – der ideale Einstieg. „Die sind wirklich zu einer Mannschaft geworden“, erzählt er. Drei volle Tage waren sie mit ihm, dem Skipper, einem Bootsmann und Leona Greve als Klima-Teamerin unterwegs zu den kleinen, wilden Inseln vor der Südküste Dänemarks. „Der Skipper hat uns von Anfang an gesagt: Er will, dass wir das Schiff am dritten Tag allein segeln, ohne seine Kommandos“, erzählt Johannes von Kymmel. Dieses Vertrauen habe alle angespornt.

Am dritten Tag startete das Experiment. „Ein tolles Erlebnis“, sagt Johannes von Kymmel. Ein Mädchen, das mit mathematischem Talent aufgefallen war, berechnete mit Kompass und Karte die Position des Schiffs, gab immer wieder den Kurs durch. Ein Junge übernahm die Rolle des Kapitäns. „Der hat am Anfang noch versucht, alles selbst zu machen“, erzählt der Jugendwart. „Dann mussten wir ihm klar machen, dass er Aufgaben verteilen muss, weil er sich sonst auf Dauer überfordert.“ Am Ende seien alle glücklich wieder an der Schleimündung angekommen.

Auch das erklärte Ziel der Klima- Sail, ein Bewusstsein für die Umwelt als Gottes Schöpfung und die eigene Rolle darin zu schaffen, habe die Gruppe erreicht, glaubt er. „Auf dem Schiff haben wir uns ja ganz direkt die Zusammenhänge klar gemacht“: Wieviel Co2 wird weniger ausgestoßen, wenn ich die Bolognese mit Soja-Granulat statt Fleisch koche? Wie viel fossile Brennstoffe spare ich, wenn ich den Wind nutze statt den Motor anzuwerfen? „Ein Klima-Teamer auf der Lotseninsel hatte uns auch erzählt, dass er davon träumt, alle Segel der ‚Zuversicht’ mit flexiblen Sonnenkollektoren zu bestücken“, erzählt Johannes von Kymmel. Vielleicht sei das bei einer nächsten Tour ja schon Realität. „Dann werden wir das Schiff nicht mehr in den Wind drehen, sondern in die Sonne...“

Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 32/2014