10.000 Zimmer mit Meerblick Vor 80 Jahren errichteten die Nazis das kolossale "Seebad Rügen"

Von Dirk Baas

Der kolossale 4,5 Kilometer lange Gebaeudekomplex wurde ab 1936 als Ferienanlage der NS-Organisation "Kraft durch Freude" (KdF) geplant, aber nie vollendet.

Foto: epd-bild

03.05.2016 · Prora/Rügen. Die idyllische Küste zwischen Mukran und Binz auf Rügen war bis 1936 nahezu unberührte Natur. Dann stampften Tausende Arbeiter an der Prorer Wiek das gigantische "Seebad der 20.000" aus dem Boden. Als die Rohbauten fertig waren, begann der Krieg.

Mit einem Handschlag fing alles an: Im Juli 1935 besiegelten Robert Ley, Führer der Deutschen Arbeitsfront, und das NSDAP-Mitglied Malte von Putbus auf der Terrasse des Saßnitzer Hotels "Fürsten" ein ungeheures Bauprojekt: eine Ferienanlage mit 10.000 Zimmern. Putbus stellte für das "Seebad Rügen" sein Land kostenlos bereit. Der Spatenstich vor 80 Jahren, am 3. Mai 1936, wurde pompös inszeniert: "In dieser Feierstunde beginnt die Arbeit an einer Riesenanlage, wie sie einzigartig in der Welt dasteht. Hier wird einst das Gewaltigste an Gemeinschaft herrschen, was man überhaupt kennt", sagte Ley.

Prora sollte der Auftakt mehrerer Großbauten unter der Ägide der NS-Organisation "Kraft durch Freude" (KdF) sein, einer Unterabteilung der Deutschen Arbeitsfront. Ferienanlagen für je 20.000 Gäste waren unter anderem auch an der Ostsee am Timmendorfer Strand und bei Kolberg in Hinterpommern geplant. Sie sollten jährlich 1,5 bis zwei Millionen Gäste für je zehn Tage beherbergen.

Ziel sei es gewesen, die Freizeit der Bevölkerung gleichzuschalten, zu gestalten und zu überwachen, erläutert Autor Martin Kaule: "Jeder Bereich der Gesellschaft sollte im Sinne des Nationalsozialismus beeinflusst und wo nötig umgeformt werden" - parteigesteuerter Massentourismus im Zeichen des Hakenkreuzes.

Acht Wohnblöcke mit je sechs Stockwerken

In Prora enstanden nur 150 Meter vom Strand entfernt acht Wohnblöcke mit je sechs Stockwerken. Die gesamte, leichte geschwungene Anlage maß 4,5 Kilometer und sollte im Endausbau 10.000 Zimmer zählen. Deren Ausstattung war für heutige Verhältnisse eher bescheiden: zwei Betten, eine Sitzecke, ein Schrank, Waschbecken. Sanitäre Einrichtungen befanden sich in den Treppenhäusern. Aber jedes Zimmer hatte Meerblick.

Urlauber kamen allerdings nie in die gewaltige Anlage: 1939 nach dem deutschen Überfall auf Polen wurden die Arbeiten umgehend eingestellt. Kinos, ein Theater, Schwimmbäder, eine Festhalle, zwei Kaianlagen für Bäderschiffe - all das existierte nur auf dem Reißbrett.

Die Anlage ist neben dem Nürnberger Reichsparteitagsgelände die größte geschlossene architektonische Hinterlassenschaft aus der NS-Zeit - mit all ihren Problemen der Nachnutzung. Zwar steht Prora seit 1992 unter Denkmalsschutz, doch dessen Grenzen interpretierten die örtlichen Behörden als recht durchlässig. Anders wären die Bauten kaum für Investoren interessant gewesen - schließlich soll die Zukunft an der Ostsee doch noch dem Massentourismus gehören.

Doch es regt sich Widerstand gegen den Verkauf: Innerhalb von nur wenigen Tagen haben mehr als 14.000 Bürger eine Online-Petition für den Verbleib des letzten Blockes, Block V, in öffentlicher Hand unterzeichnet. "Die einmalige Historizität des letzten Gebäuderiegels von Prora" müsse erhalten bleiben, fordern sie. Die Immobilie gehört dem Landkreis Vorpommern-Rügen.

Die sowjetischen Besatzer nutzten das Areal um Prora bis 1953 militärisch, später folgte die Nationale Volksarmee (NVA). Sie erklärte das Gelände zum militärischen Sperrgebiet und drillte hier zeitweise bis zu 10.000 Soldaten. Darunter waren auch Tausende Bausoldaten, junge Männer, die den Dienst mit der Waffe in der NVA verweigerten und deshalb schikaniert wurden. Die "Spatensoldaten" wurden vor allem beim Bau des Fährhafens in Mukran auf Rügen eingesetzt.

Mit dem Untergang der DDR wurde Prora wieder öffentlich zugänglich. Doch lange blieb unklar, was mit dem Komplex geschehen sollte. Auch der Abriss wurde diskutiert, er hätte jedoch Millionen verschlungen.

"Prora ist modern, gigantisch und neu"

Inzwischen sind alle erhaltene Blöcken verkauft, der Umbau zu Hotels oder Ferienwohnungen kommt voran. Der parteilose Bürgermeister von Binz, Karsten Schneider, sah in der Eröffnung der Jugendherberge mit ihren 418 Betten im teilsanierten Block V im Jahr 2011 ein wichtiges Zeichen: "Das war der Beweis, dass man mit der Ruine etwas machen kann", sagte er der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung": "Prora ist modern, gigantisch und neu".

Auch Ulrich Busch, Eigentümer von Block II, schwärmt. 50 Fünf-Sterne-Appartements hat der Investor soeben in die Vermarktung gegeben, 50 weitere sollen im Laufe des Jahres folgen. "Mit Prora fördern wir eine versteckte Perle zutage. Das Interesse an diesem Standort geht über die Landesgrenzen weit hinaus. Wegen seines einzigartigen Sandstrandes und seiner Geschichte."

Im rechten Winkel zu Block III steht der sogenannte Querriegel. Einst als südliches Empfangsgebäude mit Restaurant, Theater und Verwaltungstrakt geplant, hat hier auch das Dokumentationszentrum Prora sein Domizil. Es zeigt die Dauerausstellung "Macht Urlaub" - und ist Anlaufpunkt für Geschichtsinteressierte.

Doch die Zukunft des Museums ist offen, denn der Umbau von Block III zu einer Hotelanlage berührt auch den Querriegel. Uwe Neumärker, Vorsitzender des Vereins "Dokumentationszentrum Prora": "Ohne den Verkauf wäre Prora wohl eine Ruine geblieben. Dass allerdings der Denkmalsschutz weitgehend auf der Strecke geblieben ist, kann man bedauern." Es habe zu keiner Zeit einen übergeordneten Plan für einen angemessenen Umgang mit diesem Erbe gegeben. Wünschenswert wäre es gewesen, einzelne Bereiche der Anlage im Original wieder herzustellen.   

Derzeit sieht es laut Neumärker nicht so aus, als ob das Museum in einem der verbliebenen Blöcke unterkommen kann. Dann müsse man "über alternative Konzepte" nachdenken. Denn für ihn steht fest: "Dieser einmalige Ort bedarf historischer Informationen."

Quelle: epd