Rund 200 Menschen nutzen in der Woche die Bahnhofsmission in Schwerin Dass niemand auf der Strecke bleibt

Von Marion Wulf-Nixdorf

Heike Sobanski und Nicole Ben Ali von der Schweriner Bahnhofsmission warten auf den nächsten Zug.

Foto: M. Wulf-Nixdorf

18.01.2015 · Schwerin. Seit September gibt es in Schwerin eine Bahnhofsmission, die einzige im Touristenland Mecklenburg-Vorpommern. 26 ehrenamtliche Mitarbeiter helfen auf den Bahnsteigen, beraten bei unvorhergesehenen Schwierigkeiten oder bieten Tee und ihr Ohr in den Räumen der Mission an. Es müssen aber gar nicht immer Probleme sein, die einen in die Bahnhofsmission führen. Hier kann man sich mit Kindern auch die Wartezeit verkürzen: Jede Menge Plüschtiere, Kinderbücher und Spiele laden zum Vorlesen und Spielen ein. Es gibt auch Bücher für Erwachsene, es liegen Stadtpläne aus und Gemeindebriefe.

Ein kleines Mädchen unterwegs auf Klassenfahrt – auf dem Bahnhof in Schwerin geht ihr Koffer kaputt. Nicole Ben Ali, 35, die gerade Dienst hat bei der Bahnhofsmission, nimmt ein Dreieckstuch und bindet den Koffer damit zusammen. Inzwischen gehören Gurte zum Bestand der Dienststelle. „Wir lernen täglich dazu“, sagt Nicole Ben Ali, gelernte Kauffrau im Groß- und Außenhandel.

Seit fünf Jahren lebt die Hamburgerin in Schwerin und engagiert sich zwei bis drei Mal in der Woche für viereinhalb Stunden in der Bahnhofsmission. Das sie auch englisch, französisch und arabisch spricht, ist ein besonderer Glücksfall hier – auch wenn Ausländer auf dem kleinen Landeshauptstadt- Bahnhof mit nur vier Bahnsteigen nicht so häufig anzutreffen sind. Aber neulich zum Beispiel, als ein nur englisch sprechender Schwarzafrikaner seine Dokumentenmappe im Zug liegenlassen hatte, da konnte sie mit ihrer guten Sprachkenntnis schnell helfen: Seine Papiere wurden im Zug gefunden und mit dem nächsten zurückgeschickt. Ein gut endender Fall, an den sie sich noch lange erinnern wird.

Oder der tschechische Obdachlose, der am Montag eine Übernachtung brauchte: Mit dem ging sie ins Stadthaus, besorgte den dafür nötigen Schein. Eine Übernachtung kostet wochentags 7,95 Euro, eine Kirchengemeinde übernahm dies. Da an den Wochenenden das Stadthaus geschlossen hat, sind die Übernachtungen dann kostenfrei. Der Tscheche sei sogar gekommen am anderen Tag und habe sich bedankt.

Dass das Schweriner Stadthaus so nah am Bahnhof liegt, ist besonders günstig für die Bahnhofsmission. Geld haben die Mitarbeiter der Bahnhofsmission nicht zur Verfügung – manches Mal ist es aber genau das, was gebraucht wird. Wenn es um Fahrkarten oder Übernachtungen geht für Menschen, die keinen Cent in der Tasche haben, dann ist das Stadthaus Anlaufund Beratungsstelle. Zum Beispiel am Montag morgen: Ein junger Mann hatte in Schwerin gefeiert und wollte nun zurück nach Wittenberg. Auf seinen Scheck bekam er kein Geld. Also fragte er bei Olaf Lüdke nach, der gerade Dienst hatte. Der geht mit ihm vor das Bahnhofsgebäude und zeigt ihm den Weg, nur die Straße runter und dann links. Lüdke, 46, ist erwerbsunfähig und gehört vom ersten Tag des Bestehens der Schweriner Bahnhofsmission zu den ehrenamtlichen Mitarbeitern. „Bevor ich zu Hause rumsitze, mach ich lieber das hier“, sagt er und freut sich, eine Aufgabe zu haben, anderen zu helfen.

Es sind nicht nur die Reisenden, wie der kleine Junge, der seinen Zug verpasst hatte und dessen Handy leer war, oder der Mann, dem schlecht wurde, als er eine Stunde Aufenthalt hatte und in den Rollstuhl gesetzt werden musste, die Hilfe suchen und bekommen. Es sind auch sozial Schwache, die Unterstützung in der Bahnhofsmission finden. Manchmal geht es auch nur ums Zuhören. So erzählt Karin Löhnert (65), die in der Zeitung las, dass hier ehrenamtliche Mitarbeiter gesucht werden und seit sieben Wochen dabei ist, dass neulich mal ein über 80-Jähriger hier saß, der von einer Beerdigung kam und völlig fertig war. Irgendwann landete er in seiner Erzählung in seiner Jugend... Karin Löhnert bot ihm einen Tee an.

Die ganze Spannbreite des Lebens

Die ganze Spannbreite des Lebens erfahren die Mitarbeitenden der Bahnhofsmission. Wochentags von 9 bis 18 Uhr sowie sonnabends und sonntags von 11 bis 18 Uhr sind 26 Ehrenamtliche bei der Bahnhofsmission tätig. Und es kommen immer noch welche dazu, sagt Olaf Hagen vom Trägerverein, der Evangelischen Jugend, zufrieden. Hört sich viel an – ist es aber nicht. Es ist auch schon vorgekommen, dass ein Dienst nicht besetzt werden konnte. Krankheit, Ferien...

Die Mitarbeitenden sind viel auf den Bahnsteigen, gut erkennbar mit ihren blauen Jacken. Alle zwei Stunden kommt der Hanse-Express, der Intercity nach und von Hamburg spült auch Menschenmassen in den Bahnhof.

Um die 200 Menschen sind es pro Woche, schätzt Olaf Hagen, die Kontakt zur Bahnhofsmission haben. Dass die Bahnhofsmission und der Bahnhof Schwerin einen guten Draht gesponnen haben in den letzten Monaten, zeigte die Weihnachtsfeier, zu der die Bahnmitarbeiter Kinder und Jugendliche, die von der Evangelischen Jugend begleitet werden, eingeladen hatten, freut sich Hagen. Ebenso ist er dankbar für die Unterstützung der Kirchengemeinden. Beim ökumenischen Stadtgottesdienst im September war die Kollekte für die Bahnhofsmission bestimmt. Es kamen knapp 1 900 Euro zusammen. „Das hilft“, so Hagen. Denn die ehrenamtliche Arbeit finanziert sich allein aus Spenden und Zuwendungen der Kirche. Die Räume werden kostenfrei von der Bahn zur Verfügung gestellt. Aber für den wärmenden Tee, das Telefonat im Notfall, die Dienstjacken oder die fachliche Ausbildung und Begleitung der Mitarbeitenden sind Spenden und Kollekten nötig.

Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 03/2015