Zuzügler aus dem Westen bereichern das Gemeindeleben im ehemaligen Sperrgebiet Rübergemacht in den Osten

Von Marion Wulf-Nixdorf

Horst Schrecke und Horst Simon (v.l.) vor der Schwanheider Kapelle, die 1955 als Christenlehrekapelle eingeweiht worden war. Viermal im Jahr wird hier Gottesdienst gefeiert.

Foto: Marion Wulf-Nixdorf

12.07.2015 · Schwanheide. Für den Neubau des Glockenturms in Schwanheide haben sich besonders Horst Schrecke und Horst Simon eingesetzt. Ein Zugezogener und ein Alteingesessener. Sie haben sich viel zu erzählen.

„Wir sind rübergemacht“, sagen Horst Schrecke und Heidi Huhn lachend. Rübergemacht – ein Wort, das im allgemeinen Sprachgebrauch im Osten bedeutet: Von Ost nach West zu DDR-Zeiten, „abgehauen“. Aber Herr Schrecke und Lebensgefährtin Heidi Huhn meinen: Von West nach Ost und das erst vor ein paar Jahren.

Das Wort „rübergemacht“ kennen sie aus ihren zahllosen Gesprächen mit den in Ostdeutschland sozialisierten Nachbarn. Konkret in ihrem neuen Ruhestands-Wohnort Zweedorf im ehemaligen nicht zugänglichen 500-Meter-Streifen. Mit den „Ossis“ also. Aber das Wort „Ossi“ wie auch „Wessi“ löst bei vielen – in West und Ost – Empörung aus: Es erinnert an nach der Wende häufig gemeint „Besserwessi“ und „Jammerossi“.

Schade, denke ich. Wessi und Ossi sagt in jeweils einem Wort viel aus, erspart so manche Erklärung, zumindest in meiner Generation 50 Plus. Wenn ich sage: Ich bin Ossi, dann heißt das: Ich bin im Osten Deutschlands, in der DDR, zur Schule gegangen, hätte so gern einen Pelikan-Füller und Filzstifte gehabt und sowieso eine Jeans. Ich habe Ärger wegen Christenlehre und Konfirmation gehabt, habe hier studiert, kam als Germanistin kaum an Westbücher und habe immer gedacht, ich könne erst nach der Rente den anderen Teil der Welt kennenlernen. Ich bin eine Ossi – aber keine Jammerossi.

„Ihr habt euch nicht für uns interessiert"

Horst Simon, Ossi, sagt – freundschaftlich – zu den Wessis Huhn und Schrecke: „Ihr habt euch nicht für uns interessiert. Horst Schrecke zuckt leicht zurück“ und sagt dann: „Stimmt.“ Das Paar Schrecke/Huhn, er aus Hessen, sie aus Hamburg, beide ehemals Unternehmer, kamen 2005 nach Zweedorf, wo sie den idealen Platz für ihren Ruhestand gefunden hatten. Auch nach zehn Jahren taucht das Wort Grenze in vielen Gesprächen auf, die sie mit Nachbarn haben.

Horst Simon hat die Zeiten im Sperrgebiet erlebt. Geboren 1941 im Nachbarort Nostorf, von dort nie weggegangen, hat als Eisenbahner gearbeitet. Noch gut erinnern kann er sich an den Tag im Jahr 1978, als die Kirche in Zweedorf von der DDR-Obrigkeit zusammen geschoben wurde. „Wenn die Kirche weg ist, ist das Dorf auch bald weg“, hieß es damals. Bevor das passieren konnte, kam der Mauerfall. Den Ort gibt es weiter, die Häuser, der Friedhof sind schön anzusehen. Alles ist renoviert, viel Neues kam dazu, selbst eine neue Kirche.

Beide Männer, Horst Simon und Horst Schrecke, sind im Kirchengemeinderat. Sie können sich gut leiden und freuen sich, dass die Kapelle in Schwanheide seit kurzem einen neuen Glockenturm für die knapp 400 Jahre alte Glocke hat. Der noch gar nicht so alte Glockenturm aus den 1990er-Jahren musste abgerissen werden – er war bereits marode. Die rund 300 Kilogramm schwere Glocke, die bis zum Abriss der Kirche 1978 in Zweedorf geläutet hatte, war schon drei Jahre zuvor ausgehängt worden. Es hatte die Gefahr bestanden, dass sie herunter fällt.

Rückblende

Zwölf Jahre hatte die Glocke schweigen müssen – vom Abriss der Zweedorfer Kirche bis 1990 war sie erst im Pfarrhaus gelagert worden. Als auch das abgerissen wurde, fristete sie ihr Dasein neben der Schwanheider Kapelle. Bemühungen, sie zu DDR-Zeiten aufzuhängen, waren gescheitert. Angeblich, weil die Zollabfertigung im Ort nicht von Glockengeläut gestört werden wollte, erzählt man im Dorf. Horst Simon kam Anfang der 1990er darauf zu, als ein Schrotthändler aus dem Westen die Glocke abholen wollte. „Da haben wir sie angekettet.“

Dann endlich, Anfang der 1990er, konnte die Gemeinde einen Glockenstuhl bauen. Zur Einweihung kamen der damalige Landessuperintendent Hans de Boor und Bischof Ray Rasowe aus Papua- Neuguinea, der gerade zu Gast bei der Nordelbischen Kirche war. Finanziert – 8000 DM kostete das Projekt vor 25 Jahren – hatten den Glockenstuhl und die Aufhängung zur Hälfte der Kirchenkreis Herzogtum Lauenburg. Weitere Gelder steuerten die Gemeinde Büchen und Büchen-Pötrau zu – lange vor der Vereinigung zur Nordkirche. Die noch nötigen 1000 DM konnte die Gemeinde Schwanheide selbst aufbringen. Für den Neubau in diesem Jahr lag der Preis weit höher. Geplant waren der Bau des neuen Glockenstuhls mit Kupferdach und Aufhängung für rund 17 000 Euro. Horst Schrecke ist stolz: „Durch unsere Eigenleistungen konnte die Summe mehr als halbiert werden.“

Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 28/2015