Arbeitsleben als Erfüllung eines Jugendtraums Rostocker Alttestamentler H. Michael Niemann verabschiedet

Von Tilman Baier

H. Michel Niemann

© ELKM

02.02.2014 · Rostock. Mit einem wissenschaftlichen Kolloquium ehrte die Rostocker Theologische Fakultät am Freitag ihren scheidenden Lehrstuhlinhaber für Altes Testament, Professor Dr. habil. Hermann Michael Niemann (65), der nun in den Ruhestand tritt. Das eröffnet dem begeisterten biblischen Archäologen noch mehr Freiraum, um seinen Jugendtraum zu leben.

Seit 1972 hat H. Michael Niemann etliche Generationen von Rostocker Theologiestudentinnen und -studenten in die Welt des Alten Testaments eingeführt. Zunächst war es vor allem die Wunderwelt der hebräischen Sprache mit ihren geheimnisvollen Buchstaben, die er als wissenschaftlicher Assistent und Lektor für Hebräisch den künftigen Pastorinnen und Pastoren öffnete. Dazu kam in Proseminaren die Aufgabe, den Erstsemestern die Grundlagen der historisch-kritischen Exegese und damit wissenschaftlicher Arbeit generell zu vermitteln.

Beides tat H. Michael Niemann mit liebenswürdiger Hartnäckigkeit. Für manche Studierenden waren es echte alttestamentliche Aha-Erlebnisse, wenn er in Vertretung des damaligen Lehrstuhlinhabers Klaus-Dietrich Schunck exegetische Vorlesungen hielt. Die Freude an der Arbeit des späteren Professors als Hochschullehrer war hier schon ebenso zu spüren wie seine zweite große Leidenschaft, die biblische Archäologie.

Denn eigentlich wollte Hermann Michael Niemann, am 19. Oktober 1948 in Rostock geboren, Archäologe werden. Doch weil dem Pastorensohn dieses Fach verwehrt wurde, wandte er sich wie sein Vater und Großvater dem Studium der Theologie zu, das er von 1967-1972 an der Universität Rostock und an der Berliner Humboldt-Universität absolvierte. Doch schon in seiner Dissertation, mit der er 1980 zum Doktor der Theologie promoviert wurde, wird diese Liebe zu den Altertumswissenschaften deutlich. Der Dekan der Theologischen Fakultät, Professor Dr. Thomas Klie schreibt dazu:

„Innerhalb der alttestamentlichen Wissenschaft widmet sich Niemann vor allem der Erforschung der Geschichte und Archäologie Palästinas, die er als eine für den sachgemäßen theologischen Umgang mit den alttestamentlichen Texten notwendige Grundlagendisziplin versteht.

Neigung zur Archäologie

Zugleich wird in dieser fachlichen Ausrichtung die seit seiner Jugendzeit bestehende Neigung zur Archäologie wirksam. Steht Niemanns Dissertation über die Geschichte des Stammes Dan (1980) noch ganz im Bann der prominent von A. Alt und M. Noth vertretenen überlieferungsgeschichtlich begründeten Sicht der Geschichte Israels, so folgt seine Habilitationsschrift „Herrschaft, Königtum und Staat. Skizzen zur soziokulturellen Entwicklung im monarchischen Israel“ (1991) einem neuen Forschungsparadigma, das bei der Archäologie und der historischen Anthropologie ansetzt und die biblischen Texte im Licht der Daten auswertet, die mit den Methoden dieser Wissenschaften gewonnen wurden.

Mit der Aufnahme dieses breit aufgestellten Forschungsansatzes hat Niemann international beachtete Beiträge zu dem Umbruch geleistet, bei dem das bis in die 1980er Jahre übliche Bild der Geschichte Israels und der Entstehung der biblischen Texte durch historisch, archäologisch und soziologisch plausiblere Theorien ersetzt wurde.“

Als 1990 mit der Neuordnung der Universität der bisherige Lehrstuhlinhaber Prof. Klaus-Dieter Schunk in den vorzeitigen Ruhestand geschickt wird, wird H. Michael Niemann mit der Lehrstuhlvertretung betraut. Frisch habilitiert, wird er 1992 Akademischer Oberrat und schließlich 1993 ordentlicher Professor für Altes Testament und Biblische Archäologie an der Rostocker Fakultät.

Die Ehre einer Berufung an die Universität Heidelberg schlägt er aus und bleibt seiner Heimatstadt Rostock treu. Und er kann sich seinen Jugendtraum erfüllen: Seine Reputation als Fachmann eröffnet ihm die Möglichkeit, neben seiner Lehrtätigkeit in Rostock auch ganz praktisch als Archäologe in Israel zu arbeiten – eine große Chance auch für Rostocker Studierende, die er zu seinen Grabungen mitnimmt. Seine Arbeit als Forscher bringt ihm auch die Berufung in die Finnische Akademie der Wissenschaften ein.

Doch H. Michael Niemann ist nicht nur in der Welt von universitärer Lehre und Forschung zu Hause. So hat er das Werden der jüdischen Gemeinde in Rostock begleitet und gehört zum Kreis der festen Autoren unserer Kirchenzeitung. Für den Erhalt einer Kirchenzeitung aus und für Mecklenburg-Vorpommern hat er sich immer wieder in der mecklenburgischen Landessynode stark gemacht, in der er die Rostocker Theologische Fakultät vertrat.

Nun geht er nach 42 Jahren Lehre und Forschung an der Rostocker Universität in den Ruhestand. In einer e-mail an die Redaktion schreibt er über seine zwiespältigen Gefühle im Blick darauf: „Soll ich jubeln über die Freiheit? Oder klagen über den Verlust der Kommunikation mit den Studierenden und Kollegen?“ Auf alle Fälle will er weitermachen, als Forscher und auch als Autor der Kirchenzeitung. Ein neues Manuskript liegt schon auf dem Schreibtisch des Chefredakteurs.

Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 05/2014