Professor Michael Herbst und Psychologin Anja Granitzka über das Burnout Würden Sie es wieder tun?

Von Christine Senkbeil

Professor Michael Herbst und Psychologin Anja Granitzka: Nur eine gute Balance aus Arbeit und Ausgleich verhindert Burnout.

Foto: Christine Senkbeil

03.01.2016 · Greifswald. Innere Leere. Verzweiflung. Immer mehr Menschen haben das Gefühl, ausgebrannt zu sein. Was läuft falsch? Ein Theologe und eine Psychologin gingen auf Spurensuche. Sie befragten Pastoren aus Vorpommern nach ihren Belastungen. Und was sie herausfanden, gilt nicht nur für die Seelsorger.

Einmal im Jahr sollte sich jeder die folgende Frage stellen, meint Professor Michael Herbst von der Universität in Greifswald: „Was von all dem, was wir heute tun, würden wir nicht mehr neu beginnen, wenn wir es nicht schon täten?“

Vielleicht ist ja der Jahresanfang tatsächlich die beste aller Zeiten, mit sich selbst darüber ins Gericht zu gehen. Denn nichts Geringeres als unser Seelenheil hänge davon ab, ob uns noch genügend der Dinge blieben, die wir gern tun, meint Herbst. „Der Tank mit Freude und Lebensmut muss immer gut gefüllt werden“, behauptet er entschieden. Und das ist nicht etwa eine graubärtige Lebensweisheit aus dem spirituellen Adventskalender – es ist eine wissenschaftliche Erkenntnis.

Den Theologen beschäftigt die Frage schon lange, was der Mensch zu seinem Seelenheil so alles benötigt. Oder, umgekehrt: Welche Faktoren denn eigentlich dafür verantwortlich sind, wenn es verloren geht. „Burnout“ ist das große Stichwort – oder Modewort?

Das Thema bewegt die Menschen. Und zwar ‚brennend‘ – um im Bild zu bleiben. Das zeigte schon der voll besetzte Bürgerschaftssaal, als Professor Herbst und Psychologin Anja Granitzka Ende des eben vergangenen Jahres in Greifswald zur ‚Uni im Rathaus‘ einluden. „Warum Menschen ausbrennen: Seelsorgerliche Überlegungen zum Burnout“ lautete der Titel ihres Vortrags.

„Burnout ist ja in aller Munde“, sagt Herbst. Jemand ist ausgebrannt, total erschöpft. Der Druck von außen und innen ist zu groß. Auch mit noch mehr Einsatz und Selbstorganisation geht es einfach nicht mehr. „50 neue E-Mails gaben den Anstoß, dass sie zusammenbrach“, erzählt Herbst über eine Karrierefrau – mit Burnout.

"Depression klingt weniger appetitlich“


Eigentlich aus der Kernenergie stammend – das Durchbrennen der Brennstäbe durch Überhitzung wird so genannt – ist der Begriff heute gar nicht mehr so einfach zu fassen. Oft sei ein vermutetes Burnout auch eine Depression, so Michael Herbst. Die gesellschaftlich allerdings nicht halb so anerkannt ist: „Depression klingt weniger appetitlich“, meint er. Schließlich setze ein Burnout voraus, jemand habe für seine Arbeit gebrannt: eine gute Legitimation.

„Es gibt so viele Burnout-Forscher wie Definitionen“, erläutert Psychologin Anja Granitzka. Dennoch gäbe es klare Unterschiede. So beträfe die Depression global alle Lebensbereiche. Ein Burnout „nur“ die Arbeit: das Gefühl, gegen Windmühlen zu kämpfen. „Depressive muss man aktivieren“, sagt sie. Was beim Burnout gerade den Zusammenbruch bedeuten würde.

Es ist weniger die medizinische Diagnose, die Herbst interessiert. Längst nicht mehr nur in Pflegeberufen, gerade auch in der Pastorenschaft ist das Burnout ja keine Seltenheit mehr. Carl Spitzwegs Pfarrer, „er liest und raucht sein Pfeiffchen“ – das war gestern, sagt er.

2011 startete er vom Institut für Evangelisation und Gemeindeentwicklung eine Befragung unter der Pastorenschaft in Vorpommern, die ergab, dass zwei Drittel die Arbeitsbelastung als gestiegen empfanden. Und er machte sich daran, die Faktoren dieser Unzufriedenheit näher einzukreisen.

„Dabei spielen soziale und strukturelle Faktoren zusammen, es ist immer eine Mischung, die letzten Endes zur Krankheit führt“, sagt Herbst. Aber welche inneren Faktoren sind es denn nun, die dazu beitragen, dass Menschen ein Burnout entwickeln?

"Am Ende steht eine überwältigende Erschöpfung“

„Gefahrengruppen sind zum Beispiel Maximalisten, bei denen das Wasser heißer als 100 Grad kochen muss“, sagt er. Perfektionisten, Kontrolleure, aber auch Pessimisten oder Harmonisten. „Daraus resultieren Lebensstile, die gefährlich sind“, so Herbst.

Denn der Verlauf ähnele sich immer. Eine übertriebene Hingabe führe dazu, dass viel mehr Energie abgegeben wird, als zurückkommt. Jemand arbeitet wie irre, bekommt aber kaum Anerkennung. Frust darüber setzt ein. Warum merkt es denn keiner? „Ich muss mich noch mehr anstrengen“, ist die Schlussfolgerung. Neuer Frust. „Warum geben sich die anderen eigentlich keine Mühe?“, fragt man sich. Menschenfreundlichkeit kippt in Zynismus.

Strukturelle Faktoren, vom Charakter nicht beeinflussbar, kommen hinzu. Bei Pastoren sind dies die gewachsenen Anforderungen, etwa durch die Last des Kirchenbaus. Oder die Erwartungen an sie, für alles verantwortlich und überall präsent zu sein. Doch vom Krankenbesuch zum nächsten Kaffeekranz sind es auf dem Land leicht 40 Kilometer. Und dann das Gefühl, allein zu sein, kaum ähnlich gebildete Menschen zum Austausch zu finden.

„Am Ende steht eine überwältigende Erschöpfung“, sagt Herbst. „Wenn positive Gefühle hinter den negativen zurückbleiben, wird man krank“, sagt er. Im Sinne unseres Gottesbildes sei eine solche Totalverausgabung nicht. „Der Gott der Bibel ist kein Sklaventreiber“, ist Herbst überzeugt. Der Sabbat gelte als Gebot und gute Ordnung. Eine Selbststeuerung sei die beste Vorbeugung. Wer bin ich?, müsse hinterfragt werden. Was will ich? Wie erreiche ich es? „Es ist wie im Flugzeug“, sagt Herbst. „Setzen Sie zuerst selbst die Sauerstoffmaske auf, und dann helfen Sie anderen.“

Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 01/2016