Prof. Michael Herbst zieht ernüchterndes Fazit Extra Gottesdienste für Kirchenferne?

Prof. Dr. Michael Herbst

© R. Neumann

02.02.2014 · Greifswald. Kirchen und Gemeinden sind stark in bürgerlichen und traditionsorientierten Bevölkerungsgruppen. Doch wenn die Wünsche dieses tragenden Milieus zu sehr die Gemeindearbeit und die Gottesdienste bestimmen, werden Schranken errichtet, die andere abschrecken. Einer, der immer wieder die Kirchengemeinden zu Milieuüberschreitungen auffordert, ist der Greifswalder Professor für Praktische Theologie Dr. Michael Herbst.

Als Leiter des dortigen Instituts zur Erforschung von Evangelisation und Gemeindeentwicklung hat er auch vor zwölf Jahren die „Greifbar“-Gottesdienste in Greifswald mitbegründet, zu deren großen Unterstützern auch Bischof Dr. Hans-Jürgen Abromeit zählt.

Diese Gottesdienstreihe wendet sich an Kirchenferne. Eine Gaststätte als Raum soll die Hemmschwelle eines Besuchs senken. Solche „Sucher-orientierte“ Gottesdienste wurden in den 90er Jahren von der US-amerikanischen Willow-Creek-Gemeinde und deren Gründungspastor Bill Hybels (South Barrington bei Chicago) angestoßen. Sie sollen mit moderner Musik, Theaterstücken, Themenpredigten und einem Bistro nach dem Gottesdienst vor allem Kirchendistanzierten den christlichen Glauben näherbringen. In Greifswald gab es nach einiger Zeit sogar unter dem Protest von örtlichen Kirchengemeinden das Bestreben, eine eigenständige Personalgemeinde aus den Besuchern aufzubauen.

Doch nun hat Michael Herbst ein ernüchterndes Fazit bei einer Tagung zum Thema „Evangelisation“ der Arbeitsgemeinschaft Missionarische Dienste (AMD) gezogen, die vom 14. bis 16. Januar in Berlin stattfand. Nach seinen Beobachtung von Herbst wird die Zahl solcher Gottesdienste kleiner. Zwar hätten bei den „Greifbar“-Gottesdiensten Menschen mit einem nichtchristlichem Hintergrund zum Glauben gefunden. Doch geschehe dies in den letzten Jahren immer seltener.

Fünf Gründe

Michael Herbst sieht dafür fünf Gründe: Ehrenamtliche Mitarbeiter sind erschöpft, da alternative Gottesdienste besonders arbeitsintensiv sind. Ferner gerät der Charakter der Veranstaltung als Gottesdienst ins Wanken. Die Teilnehmer sind häufig eher „Publikum“ und zu wenig „Gemeinde“; die Beteiligung ist entsprechend schwach. Außerdem haben Nicht-Christen keine schlechten Erfahrungen mit der Kirche, sondern gar keine Erfahrung. Sie sind neugierig zu erfahren, was und wie Christen ihre „richtigen“ Gemeinde-Gottesdienste feiern.

Laut Michael Herbst besitzt der Inhalt von Sucher-orientierten Gottesdiensten nicht genug Tiefe, um nachdenkliche Zeitgenossen zu erreichen: „Wenn es letztlich immer darum geht, zu sagen, dass Gott unsere tiefen emotionalen, sozialen, leibbezogenen, existenziellen Fragen kennt, versteht und in Jesus überaus freundlich beantwortet, dann ist zwar die Kontaktfunktion der Predigt stark, aber ihr Informationsgehalt zu schwach, auf Dauer vorhersehbar und darum nicht überzeugend.“

Letztlich wird, so die Beobachtung des Theologie-Professors, der Graben zwischen Gästen und Gemeinde durch Sucher-orientierte Gottesdienste oft nicht überwunden. Auch der Sprung in weiterführende Angebote wie Glaubenskurse gelingt oft nicht.

Gottesdienst sollten verständlich sein

Wichtig sei darum die Öffnung der traditionellen Gemeindegottesdienstes. Nicht-Christen brauchten verständliche Gottesdienste mit musikalischer Vielfalt und mit Predigten, die „sowohl erbauen als auch erwecken“. Herbst: „Wir sollten in jedem Gottesdienst mit der Anwesenheit unkirchlicher oder entkirchlichter Menschen rechnen. Christen sollten ihren Gottesdienst so ‚spannend’ finden, dass sie ohne Fremdschämen Menschen gerne einladen und mitbringen.“

Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 05/2014