Neuaufgelegtes Buch beleuchtet DDR-Vergangenheit "Der Greifswalder Weg": Pommerns belasteter Weg mit der Stasi

Von Nicole Kiesewetter

Rahel Frank

Foto: kirche-mv.de/D. Vogel

04.02.2017 · Greifswald/Schwerin. Die Neuauflage eines Buches über die Kontakte der pommerschen Kirche zur Staatssicherheit in den 1980er Jahren sorgt auch 27 Jahre nach der Wende für Wirbel.

Führende Mitarbeiter der Pommerschen Evangelischen Kirche sind nach Einschätzung der Historikerin Rahel Frank im Umgang mit der Stasi einen grundsätzlich anderen Weg gegangen als in anderen Landeskirchen in der DDR. Es sei nicht nur Konsens unter allen Kirchen gewesen, keine Gespräche mit dem DDR-Geheimdienst zu führen. "Es gab sogar Weisungen, diese Gespräche nicht zu führen, beispielsweise in Mecklenburg und Thüringen", sagte Frank am Donnerstagabend in Greifswald. In der pommerschen Kirche hingegen habe es bereits in den 70er Jahren enge Kontakte zwischen Kirche und Staat gegeben. "Darauf konnte die Stasi aufsatteln."

Frank stellte im Greifswalder Dom ihr neu aufgelegtes Buch "Einsam oder gemeinsam? Der 'Greifswalder Weg' und die DDR-Kirchenpolitik 1980 bis 1989" der Öffentlichkeit vor. Die Historikerin hatte erneut Akten recherchiert und Zeitzeugen zur Kirchenpolitik im Nordosten der DDR befragt. Eingeladen hatten der Greifswalder Dom-Pfarrer Matthias Gürtler und die Landesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen in Mecklenburg-Vorpommern, Anne Drescher. Rund 130 Besucher waren gekommen, belastete Kirchenmitarbeiter waren offensichtlich nicht darunter. 

"Sie glaubten, ihrem Gegenüber gewachsen zu sein"

Franks Fazit ist, dass der damalige Bischof Horst Gienke und einige seiner leitenden Mitarbeiter im Umgang mit der Staatssicherheit einen anderen Weg einschlugen als die anderen ostdeutschen Kirchen. Die betroffenen Kirchenpolitiker hätten alle eine persönliche Telefonnummer zu ihrem Stasi-Kontaktmann gehabt. So sei neben kleinen Gefälligkeiten oder Geschenken vor allem "der direkten Draht zur Macht" als Vorteil gesehen worden. "Sie glaubten, ihrem Gegenüber gewachsen zu sein", sagte Frank. "Das war eine Selbstüberschätzung."

Die Historikerin habe während ihrer Recherchen nicht den Eindruck gewonnen, dass die Greifswalder Kirchenleute zu Stasi-Kontakten gezwungen wurden. Vielmehr hätten sie den Kontakt gesucht, der Austausch sei beiderseits gewünscht gewesen. Frank: "Ich sehe, dass der Bischof und einige seiner Mitarbeiter die Regeln des Systems gespielt haben. Das hat den 'Greifswalder Weg' ausgemacht."

Viele der anwesenden Besucher berichteten in der anschließenden Diskussion im Dom von ihren eigenen negativen Erfahrungen als Christen während der DDR-Zeit. Sie beklagten, dass sie weder vom damaligen Bischof Gienke noch von einem seiner betroffenen Mitarbeiter jemals Worte der Entschuldigung gehört hätten. "Wie sollen wir vergeben, wenn niemand uns darum bittet?", beklagte ein Betroffener.

Bischof Abromeit: Hilfreicher Impuls für die Aufarbeitung

Bereits im Vorwege der Buchvorstellung hatte der pommersche Bischof Hans-Jürgen Abromeit die Nachauflage des Buches als hilfreichen Impuls für die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit bezeichnet. Er kritisierte jedoch, dass es so dargestellt werde, als habe die Pommersche Kirche sich ihrer Geschichte nicht gestellt - "und das stimmt nicht". Er verwies darauf, dass es bereits Anfang der 90er Jahre eine disziplinarrechtliche Aufarbeitung nach rechtsstaatlichen Kriterien gegeben habe, die lückenlos durchgeführt worden sei. Das schlichte Schema in dem Buch "Wer ist Opfer, wer ist Täter?" werde der Problematik nicht gerecht.

Wenn die Selbsterkenntnis eines Fehlverhaltens bisher nicht dagewesen sei, werde sie auch nicht mehr kommen, entgegnete Frank. "Dazu kann man niemanden zwingen." Sie betonte, es gehe ihr mit der Neuauflage des Buches nicht um ein "Nachtreten". Es solle deutlich werden, wo die Entscheidungsspielräume der damaligen Akteure lagen. Sie wolle auch dem Eindruck widersprechen, Gespräche mit der Stasi seien normal gewesen. "Wenn wir das Fehlverhalten einzelner nicht benennen, verlieren wir die Erkenntnis, dass sich Tausende Christen in der DDR anders entschieden haben."

Quelle: epd


Info

Rahel Frank, "Einsam oder gemeinsam? Der "Greifswalder Weg" und die DDR-Kirchenpolitik 1980 bis 1989, Publikation der Landesbauftragten, Schutzgebühr 10 Euro
ISBN 978-3-933255-48-8.
Erhältlich unter post@lstu.mv-regierung.de oder unter Tel.: 0385 734006.

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