Ein mittleres Wunder Pilgerkloster Tempzin feiert 25-jähriges Jubiläum

Von Sophie Ludewig

Joachim Anders

Foto: Sophie Ludewig

10.06.2019 · Tempzin. Im 13. Jahrhundert wurde das Kloster Tempzin gegründet. Hier lebten Mönche des Antoniter-Ordens und kümmerten sich um kranke Menschen aus der Umgebung. Während der Reformation fiel es in fürstlichen Besitz und geriet bald in Vergessenheit. 1994 gründete sich ein Verein, der die verfallene Anlage zu einem Pilgerzentrum umbauen wollte. Das gelang mit viel Enthusiasmus, Engagement und dem ein oder anderen kleinen Wunder.

Ohne den Kirchentag würde es das Pilgerkloster Tempzin bei Sternberg heute vielleicht nicht geben. Denn in der Vorbereitungsgruppe für die „Liturgische Nacht“ bei den Kirchentagen in Rostock 1983 und 1988 lernte der damalige Pastor Joachim Anders den Jesuitenpater Peter Kegebein kennen. Diese Begegnung war von entscheidender Bedeutung, weil jener Pater seinen evangelischen Kollegen 1988 zur Teilnahme an einer Wallfahrt von Magdeburg ins Eichsfeld bewegte. „Hinterher habe ich mir gedacht: So was könnten wir doch auch in Mecklenburg anbieten“, blickt Joachim Anders zurück.

Im Sommer 1989 luden Pastor Anders und seine Frau Magdalene zum ersten Mal zu einer ökumenischen Pilgerwanderung in Mecklenburg ein. Zwei Jahre später war die anfangs noch recht kleine Pilgergruppe bereits auf rund 40 Personen angewachsen. „Da kamen Leute aus ganz Deutschland mit, zum Beispiel aus Baden und München, und ungefähr gleich viele Katholiken und Evangelische“, erzählt Joachim Anders. Besonders in den ersten Jahren seien die Pilgergruppen immer eine sehr bunte Truppe gewesen mit Teilnehmern aus allen Ecken des wiedervereinten Deutschlands, verschiedenen Altersstufen und konfessionell gemischt. Katholische Priester und Ordensleute waren ebenso dabei wie Mitglieder evangelischer Ordensgemeinschaften.

Da die Teilnehmerzahlen stetig wuchsen, mussten ab Mitte der 1990er zwei Wanderungen pro Jahr angeboten werden, damit man alle Interessierten unterbringen konnte. „Die Begeisterung der Leute, die jedes Jahr wieder mit dabei waren, hat uns sehr gutgetan“, sagt Pastor i. R. Anders. Einige Stammgäste übernahmen auch gerne verantwortungsvolle Aufgaben auf den Pilgerwegen. So war zum Beispiel der „Streckenmeister“ dafür zuständig, den Weg vorab zu testen, nach Übernachtungsmöglichkeiten zu gucken und zu überlegen, wo man die Pausen für die Tageszeitengebete und Gespräche machen könnte. Eine wichtige Aufgabe übernahm der sogenannte „Zeitgeist“, erzählt Anders: „Der trug die Verantwortung für den zeitlichen Ablauf. Unterwegs musste er die Truppe von oft 50 oder 60 Leuten am Ende der Pausen dazu bringen weiterzulaufen und abends dafür sorgen, dass Ruhe im Schiff ist und am Morgen alle rechtzeitig aufstehen.“

Egal, ob katholisch oder evangelisch

Im Laufe der Jahre entwickelten sich unter den Pilgern echte Freundschaften, man sprach sich als „Pilgerbruder“ und „Pilgerschwester“ an. „Dabei war es ganz egal, ob einer nun Katholik oder Protestant oder ganz ohne Konfession war – es war eine Gemeinschaft“, erklärt Joachim Anders. Dieses enge ökumenische Miteinander sei in der Anfangszeit nicht überall auf Zustimmung gestoßen, führt er aus: „Von der Landeskirche haben wir damals gar keine Unterstützung bekommen. Es hieß: Pilgerwege mit Tageszeitengebeten sind was Katholisches, so was wollen wir bei uns nicht. In den Augen einiger leitender Personen waren wir ‚katholisch infiziert’, weshalb sie unser Projekt abgelehnt und zum Teil auch behindert haben.“ Eine Änderung sei eingetreten, als Hermann Beste Landesbischof wurde: „Bischof Beste hat sich sehr für Tempzin interessiert und sich für unsere Sache eingesetzt.“

Im Jahr 1993 wünschten sich einige Pilger ein festes Pilgerzentrum in Mecklenburg, wo Treffen das ganze Jahr über möglich wären. Im Dezember 1993 stand der erste Besichtigungstermin in der ehemaligen Klosteranlage in Tempzin an. Allen Beteiligten schien dies der richtige Ort für die geplante Pilgerherberge zu sein, obwohl sich einige Probleme auftaten. „Die beiden potenziellen Wohngebäude – Gutsverwalterhaus und Warmhaus – befanden sich in einem sehr desolaten Zustand“, erinnert sich Anders. „Außerdem war das Gutsverwalterhaus damals noch ein Mietshaus, da wohnten noch mehrere Parteien drin. Jemand sagte damals: Na, wenn der liebe Gott will, dass ihr daraus ein Pilgerzentrum macht, dann werden die Leute da schon ausziehen. Und ein Jahr später waren tatsächlich alle ausgezogen, und wir konnten das Haus von der Kommune kaufen.“

Auch der äußerst baufällige Zustand des 1496 gebauten Warmhauses konnte den Enthusiasmus des 1994 gegründeten Vereins „Pilgerherberge Kloster Tempzin“ nicht bremsen. „Da mussten wir unglaublich viel reinstecken, damit man das vernünftig nutzen konnte. Die Sanierung hat etliche Jahre gedauert, und dass wir das finanziell und organisatorisch gewuppt haben, ist wirklich ein mittleres Wunder“, meint Anders.

Es musste dauerhaft jemand vor Ort sein

Für ihn und seine Frau Magdalene war der Aufbau des Pilgerklosters einige Zeit lang quasi das einzige Hobby. Nachdem die beiden als Pastor und Katechetin von Sternberg nach Neustadt-Glewe gewechselt waren, wurde das Pilgern auch mehr ein Teil ihrer Gemeindearbeit. Um sich aber ganz dem anspruchsvollen Projekt widmen zu können, ließen sie sich 2001 vom Dienst in der Landeskirche beurlauben und zogen auf das Gelände in Tempzin. „Es war einfach nötig, dass da jemand dauerhaft vor Ort ist, um die Sache gut am Laufen zu halten“, sagt Joachim Anders rückblickend. Für Kost, Logis und ein Taschengeld von 300 Euro im Monat übernahm das Ehepaar die Aufgabe der Projektkoordinatoren. „Das hat uns all die Jahre viel Freude bereitet. Es gab nie die Frage: Halten wir das noch weiter durch?“

Nach 20 Jahren gaben Joachim und Magdalene Anders die Leitung des Pilgerklosters 2014 an Doris Mertke ab. „So einfach ist der Abschied nicht gewesen, denn wir hatten da ja lange unser ganzes Herzblut reingesteckt. Aber wir haben uns dann auch erst mal ganz bewusst zurückgezogen, um unserer Nachfolgerin die Chance zu geben, ihren eigenen Weg zu gehen“, betont Pastor i. R. Anders. Die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an ihn und seine Frau 2017 empfand der heute 75-Jährige als eine „tolle Überraschung“: „Wir haben uns sehr gefreut, dass das ganze Projekt damit so große Anerkennung bekommen hat.“ Vieles, was das Ehepaar Anders und die anderen Pioniere in den ersten Jahren angestoßen haben, gibt es heute noch im Pilgerkloster, wie die ökumenischen Pilgerwege, die Mitmach-Aktion „Ora et labora“ oder die Gottesdienste in der Klosterkirche.

Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 23/2019