Matthias Ortmann im Interview Zwischen Berufung und Beruf - Pastorenvereine in der Nordkirche haben noch nicht zueinander gefunden

Matthias Ortmann: "Das Förderband mit tollen Ideen aus den Diensten und Werken in der Nordkirche läuft oft ins Leere, weil vor Ort vor allem im ländlichen Raum Mecklenburgs und Pommerns die Kraft zur Umsetzung fehlt"

Foto: privat

16.10.2016 · Güstrow. Der jetzige Vorstand des Vereins mecklenburgischer Pastorinnen und Pastoren war angetreten mit dem Ziel, zusammen mit den Pastorenvereinen aus Pommern und Nordelbien einen starken gemeinsamen Berufsverband in der Nordkirche zu schaffen. Doch dieses Vorhaben ist bisher gescheitert. Über das Warum sprach Tilman Baier mit Matthias Ortmann, bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand im August Vorstandsvorsitzender des Pastorenvereins in Mecklenburg und Gemeindepastor und Krankenhausseelsorger in Güstrow.

Matthias Ortmann, vor vielen Jahren schrieben Sie als junger Pastor in Mestlin einen kritischen Brief an den mecklenburgischen Pastorenverein. Worum ging es da?

Matthias Ortmann: Im Großen und Ganzen um das, worum es auch heute noch geht: Wozu soll der Pfarrverein gut sein? Was wollen wir voneinander? Was wollen, was können wir gestalten? Die Frage nach dem Sinn stellte ich mir damals. Es ist ja so, dass der Verein zwar Themen ansprechen kann, auch laut ansprechen kann, aber letztlich gibt es keine geordneten Strukturen, um Anliegen selbst auf den Weg zu bringen. Der Verein ist ein Forum, Veränderungen müssen aber an anderer Stelle angestoßen werden.

Und heute?

Heute stellt sich die Sinnfrage immer noch. Seit der Vereinigung zur Nordkirche gibt es Überlegungen, auch die Pfarrvereine Nordelbiens, Pommerns und Mecklenburgs zusammenzufassen als starken Berufsverband. Hieran wurde in einer Arbeitsgemeinschaft der drei Vorstände auch schon gearbeitet, aber irgendwo auf dem Weg ist das Projekt steckengeblieben.

Woran liegt das?

An bestimmte Dinge traut man sich einfach nicht heran beziehungsweise beharrt auf den jeweils eigenen Ansichten oder Vorgehensweisen. Die Beitragsstrukturen zum Beispiel: Wir Mecklenburger zahlen etwas mehr an Vereinsbeiträgen als die Nordelbier. Mit dem eingenommenen Geld unterstützen wir Projekte und Einrichtungen, etwa das Haus der Stille in Bellin bei Güstrow oder die Finanzierung von Ausbildung und Finanzierung von Pastoren in den Partnerkirchen Kasachstans und Tansanias. Das macht doch Freude, wenn man auch bereit ist, Geld für einen sinnvollen Zweck wegzugeben! Aber damit standen die Mecklenburger allein da.

Hat das auch etwas mit unterschiedlichen Auffassungen vom Pastorenberuf in Ost und West zu tun?

Ich sag es mal so: Der Vorschlag aus Mecklenburg, die Pastorengehälter auf 80 Prozent herunterzufahren und dafür lieber mehr Stellen zu schaffen, ist auf großen Widerstand gestoßen. Aus dem nordelbischen Pastorenverein hieß es: Der Arbeiter müsse seines Lohnes wert sein, Pastor sei ein bürgerlich- akademischer Beruf und müsse vergleichsweise entlohnt werden. Wir Mecklenburger haben uns da nicht durchsetzen können. Die Gehälter steigen weiter. Dabei ist doch die Frage: Besteht der Wert des Arbeiters wirklich darin, wieviel Vergütung er bekommt? Wir könnten vielmehr in der Fläche verteilen, das würde unsere Arbeit wesentlich erleichtern. Es geht doch im Grunde darum, wie man in und mit seiner Kirche lebt. Aber so ist es eben nicht gewollt. Letztlich müsste hier die Kirchenleitung die Richtung vorgeben, sagen, wo hier die Prioritäten liegen sollen.

In Mecklenburg wird immer wieder die Gemeinschaft der (Verkündigungs-)Dienste betont, also das gute Zusammenspiel von Pastorinnen, Gemeindepädagoge, Kirchenmusikern und Küsterinnen in einer Region. Damit soll nicht nur die Zusammenlegung von Pfarrstellen aufgefangen, sondern auch eine Pastorenzentrierung der Gemeinden aufgebrochen werden. Funktioniert das?

Im ländlichen Raum halte ich diese Gemeinschaft der Dienste zwar für nicht sonderlich praktikabel, aber es ist dennoch gut, dass es sie gibt. Doch gerade auf dem platten Land lässt es sich gar nicht vermeiden, als Pastor eben die erste Ansprechperson zu sein. Man lebt schließlich in und mit der Gemeinde und ist den Leuten daher bekannt.

Was, würden Sie sagen, hat sich seit Ihrer eigenen Ordination am Pastorenbild und am Pastorendasein geändert?

Ich selbst würde heute zum Beispiel kein Pastor sein können. Ohne Abitur hätte ich keine Chance. Es gibt nur noch diese eine Linie, den akademischen Weg. Menschen, die über eine andere Sozialisierung, einen anderen Weg in diesen Beruf kommen wollen, haben kaum eine Chance – oder einen viel längeren Weg. Das heißt auch: Es kommt nur noch eine bestimmte Sichtweise im Pfarramt vor. Das bedauere ich. Andererseits sehe ich natürlich auch, welche prächtigen jungen Leute neu zu uns stoßen. Was die gemeinsame Arbeit oder den Austausch angeht, da stelle ich fest, dass wir Pastoren heute aber weiter voneinander entfernt sind. Zum Teil liegt das einfach in der Sache der Dinge, die Konvente sind mitunter riesengroß. Das führt dazu, dass man heute nicht mehr Bruder und Schwester ist, sondern Kollege und Kollegin. Das Persönliche ist uns abhandengekommen. Wenn ich im Landeskirchenamt in Kiel anrufe, dann kann es vorkommen, dass derjenige am anderen Ende noch nie etwas von mir gehört hat. Und ich von ihm ebenso wenig.

Nun sehen manche Pastoren die Öffnung in die Weite der Nordkirche auch als eine Befreiung aus der Enge der überschaubaren Landeskirchen in Mecklenburg und Pommern. Andere dagegen bemängeln, dass in der Nordkirche den übergemeindlichen Diensten ebensoviel Bedeutung wie den Ortsgemeinden beigemessen wird. Wie sehen Sie das?

Mir kommt es manchmal so vor, als würden viele fleißige Helfer permanent ein Förderband mit tollen neuen Ideen und Konzepten beschicken – das landet dann alles bei uns in den Gemeinden, wir werden regelrecht damit zugeschüttet. Aber hier vor Ort fehlen einfach die Kapazitäten zur Umsetzung. Vieles, was an Material erarbeitet und uns zugeschickt wird, ist vergeblich, was schade ist. Denn eigentlich wären solche Ressourcen in der Gemeinde besser nutzbar: Hier gehen die Leute daran kaputt, dass sie sehen, was eigentlich noch alles zu tun wäre – wofür aber die Kapazitäten fehlen. Heute können wir eigentlich kaum noch perspektivisch denken, wir stopfen bestenfalls Löcher. Dabei gilt doch für uns Pastoren ebenso: Du sollst auch Stille halten! Wenn man darauf nicht hört, kann es eben ganz schnell passieren, dass der Brunnen plötzlich leer und alles ausgetrocknet ist.

Wer füllt den Brunnen dann wieder auf?

Gott. Er trägt mich. Er lässt einen zwar manchmal auch rennen, bis man auf die Schnauze fällt, aber dann füllt er den Brunnen irgendwann auch wieder. Wir Pastorinnen und Pastoren müssen eben auf uns aufpassen. Das tut nicht zuletzt auch die Gemeinde. Dass ich das in meinem Berufsleben erfahren durfte – dafür bin ich sehr dankbar.

Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 42/2016