"Zwei deutsche Leben, Schicksale in West und Ost“ Pastor Riedel aus Penkun lud zwei Männer aus Ost und West zur Debatte

Von Gabriele A. Prodöhl

22.11.2015 · Wollin. Im gleichen Jahr kamen sie zur Welt: 1934. Der eine wurde DDR-Grenzgeneral, der andere Theologie-Professor. In Wollin stellten Otto Gereit und Prof. Karl-Heinz Kuhlmann auf Einladung der Kirchengemeinde nun ihr Buch vor – und erzählten von zwei Leben, die unterschiedlicher kaum sein könnten.

Wenn zwei Menschen aus „gleicher Wurzel“ stammen und gleich alt sind, müssten sich ihre Leben da nicht ähnlich entwickeln? Otto Gereit, geboren in Ostpreußen, und Prof. Karl-Heinz Kuhlmann, geboren in Pommern, wurden beide als Jugendliche konfirmiert. Dennoch entwickelten sich ihre Leben in Ost- und Westdeutschland später total gegensätzlich. Der eine wurde DDR-Grenzgeneral, der andere Theologie-Professor.

Dieses Thema, das die beiden in ihrem Buch „Zwei deutsche Leben, Schicksale in West und Ost“ aufgriffen, war Pastor Bernhard Riedel aus Penkun Anlass für die diesjährige „Wolliner Podiumsdiskussion“ – eine Veranstaltung, die seit 1989 jedes Jahr stattfindet. Im Rahmen der Friedensdekade begonnen, kommen Menschen zu aktuellen und Glaubensthemen ins Gespräch. 33 Besucher kamen diesmal, um die Geschichte der Männer zu hören, die heute im brandenburgischen Strausberg und im niedersächsischen Bohmte leben.

Zunächst wachsen beide Jungen behütet in ihren Arbeiterfamilien auf, besuchen die Oberschule, haben ihre kleinen Abenteuer. Doch schon bald stellt das Kriegsende die beiden Elfjährigen vor extreme Herausforderungen. Otto flieht mit seiner Familie aus Ostpreußen, Karl-Heinz wird mit seiner Familie aus der Heimatstadt Stettin vertrieben.

"Mir begegnete brutale Gewalt“

Otto landet in Finkenkrug bei Berlin, Karl-Heinz in Aligse bei Lehrte in Niedersachsen. Bis dahin waren sie beide gläubig. Doch die dramatische, entbehrungsreiche Flucht aus Ostpreußen in den Berliner Raum verändert den Jungen: „Ich war nach der Flucht nicht mehr derselbe“, beschreibt Otto Gereit. „Angesichts der brutalen Gewalt, die mir begegnete, verlor ich den Glauben an Gott.“ Nach der Schule verpflichtete er sich für zwei Jahre zu den Grenztruppen der DDR, später machte er Karriere, stieg über den Major zum General der Grenztruppen auf. Karl-Heinz Kuhlmann hingegen führten die Kriegsereignisse genau in die andere Richtung. „Ich kann es nur als göttliche Fügung ansehen, dass unsere Familie, die durch die Kriegswirren total auseinandergerissen war, wieder zusammenfinden konnte“, erklärte er. Er studierte Theologie, bekleidete ein Pfarramt, wurde später Theologie- Professor an der Evangelisch-theologischen Fakultät Leuven (Belgien). Aktuell hat er eine Professur in Olivet an der Universität San Francisco.

Diese höchst unterschiedlichen Entwicklungen animierten die Zuhörer im Raum der Wolliner Feuerwehr zu einer lebhaften Diskussion. Die Entwicklung Gereits stieß zunächst auf Unverständnis: Wie konnte er als Grenzgeneral zur Unfreiheit der DDR-Bürger beitragen? Hätte er um die Auswirkungen seiner Arbeit, also auch die Toten an der innerdeutschen Grenze, nicht wissen müssen? Wie konnte er mit diesem Wissen überhaupt seinen Dienst tun? Seine Antwort darauf: „Es war der Schutz der Staatsgrenze vor ausländischen Angriffen.“ Weil er völlig systemkonform lebte, glaubte er alles richtig zu machen, sagte er.

Eine Frau aus dem Publikum, die mit 18 Jahren überzeugtes SED-Mitglied wurde, bestätigte: Auch sie habe geglaubt, immer auf der richtigen Seite zu sein, bis die DDR zusammenbrach. Man könne die Vergangenheit nicht bewältigen, sondern nur daraus lernen, sagte sie.

Viele Erinnerungen

Viele Erinnerungen an die DDR-Zeit, etwa an Zwangsverstaatlichungen, wurden unter den Zuhörern wach. Angeregt durch die Schilderung der Kriegserlebnisse der beiden Redner, erinnerten sich einige Ältere auch an Flucht und Vertreibung und die damit verbundene entbehrungsreiche Zeit. Noch heute reist etwa der 80-jährige Hans Scheffler jährlich nach Kaliningrad in seine alte Heimat, um den Menschen dort, die wie er einst Flüchtlinge waren, mit materiellen Gütern zu helfen.

Otto Gereit, der nach der Wende zu einer Gefängnisstrafe auf Bewährung und Geldbuße verurteilt wurde, erklärte, sein Leben nicht mehr ändern, sondern nur rückblickend daraus lernen zu können. Kennen gelernt hatten er und Karl-Heinz Kuhlmann sich 2010 dadurch, dass Kuhlmann im Buch „NVA – Die roten Preußen“ auf einen Beitrag von Gereit stieß, der ihn neugierig machte. Nach einiger Bedenkzeit lud Gereit ihn in seine Wohnung nach Strausberg ein. Aus dem angeregten Austausch entwickelte sich eine Freundschaft, in der beide Männer eine Menge lernten, wie sie sagen. Später entstand daraus das gemeinsame Buch.

Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 47/2015