Pastor Karl-Martin Schabow in den Ruhestand verabschiedet „Ich hinterlasse ein Chaos“

Von Marion Wulf-Nixdorf

„Wir haben Gemeinde gelebt“, sagen Christel und Karl-Martin Schabow.

Foto: M. Wulf-Nixdorf

08.11.2015 · Bützow. Kirche saniert, alles wohl geordnet übergeben – so hatte sich Pastor Karl-Martin Schabow in Bützow seinen Abschied aus dem Berufsleben gedacht. Und dann kam innerhalb weniger Minuten alles anders: Der Tornado Anfang Mai verwüstete die Stadt, die Kirche, das Pfarrhaus, die Friedhöfe – und am schlimmsten: Er hinterließ Spuren bei den Menschen, die bis heute nachwirken.

In Bützows Straßen sieht es aus wie in den 1990er-Jahren: Bauboom; an vielen Häusern stehen Gerüste. Nur ist das, was dahinter zu sehen ist, nicht ruinös wie in den 90ern, sondern man erkennt, dass es schon saniert worden war vor nicht allzu langer Zeit. Jetzt sind Löcher in den Häuserwänden, an den Fenstern... Die große Stiftskirche, nationales Kulturdenkmal, ist eingerüstet. Obwohl der Tornado mehr als ein halbes Jahr zurück liegt – der Stadt sieht man die Schäden noch an. „Was meinen Sie, wie es noch vor vier Wochen aussah“, sagt Pastor Schabow. Er hofft, dass am Pfarrhaus die Gerüste bis zum 10. November gefallen sind. An dem Tag will er mit seiner Frau umziehen nach Waren. Wenn die Gerüste noch am Haus stehen, können die großen Möbel nicht herausgetragen werden, befürchtet er.

„Nichts hinterlassen wir in Ordnung“, sagt Schabow. Die Decken sind schwarz vom Regen. „So ist meine Stimmung auch.“ Staub, Staub, wenigstens regnet es nicht mehr durch, es liegt kein Lehm mehr auf den Möbeln. Er habe nur funktioniert in den letzten Monaten, sagt der erfahrene Pastor. Und es ging ja auch nicht nur um das Gemeindeleben, es ging auch um gesellschaftliche Aktivitäten wie die Demos gegen Rechts, bei denen Schabow dabei ist. Dass ein Spruchband ganz oben auf dem Kirchturm mit der Aufschrift „Kein Platz für Nazis“ angebracht werden konnte, war das einzig Gute.

Viel Solidarität und Spenden

Gleichzeitig ist da aber etwas ganz anderes: Die Freude, das Staunen, die Sprachlosigkeit über den Zusammenhalt der Bützower, die viele Hilfe von überall her. „Die Solidarität war regelrecht erdrückend“, sagt Schabow. „Wir konnten gar nicht begreifen, dass es so etwas gibt...“ Schüler des Gymnasiums kamen, um Schutt und Bäume auf dem Pfarrhof wegzuräumen. Andere brachten Essen und Trinken für die Helfer in der ganzen Stadt. Von überallher, aus dem ganzen Land, kamen die Helfer, die Bauern mit schwerer Technik. Und man sprach viel miteinander, auch die, die viele Jahre lang nicht miteinander geredet hatten...

Die Versicherungen zeigen sich großzügig. Geld wurde gespendet, Benefizkonzerte veranstaltet, eins sogar in Hamburg. Bischof Andreas v. Maltzahn aus Schwerin kam zu einem Gottesdienst „Besinnen und Danken“ drei Wochen nach dem Tornado, denn „Trauer braucht einen Raum und die Menschen müssen einen neuen Halt finden“, wie er damals sagte. Es brauchte Hoffnung, Gebet. Genau dies versuchte Schabow, versuchte Kirche zu geben. Eine kleine „Linde der Hoffnung“, die Schabow auf dem Kirchenplatz zeigt, wurde im Mai gepflanzt. Sie ist gut angewachsen.

Aber all die Kraft, das Geld – Millionen, die in den letzten Jahren in die Kirchensanierung geflossen sind – weg. Das große Kirchendach, das vor wenigen Jahren neu gedeckt worden war, wurde ein Trümmerhaufen. Besonders der Turm, der regelrecht aus den Angeln gehoben war, sich in sich gedreht hat, ist sanierungsbedürftig. Der Bützower Architekt Hartmut Böhnke, der die Bauarbeiten seit Jahren begleitet, wird dies auch weiter tun – auch wenn Schabows ab 10. November nicht mehr da sind, die Pfarrstelle vakant sein wird.

Aus der Schule in Lübz rausgeschmissen

Karl-Martin und Christel Schabow ziehen zwei Tage nach dem Abschiedsgottesdienst nach Waren, in der Nähe ist Christel aufgewachsen, dort haben die beiden sich auf Schabows erster Pfarrstelle kennengelernt. Er will sich im Ruhestand im Ehrenamt engagieren, vielleicht als Seelsorger in einem Altenheim oder in der Notfallseelsorge. Er will das machen, was ihm immer am meisten am Herzen lag: Seelsorge. Außerdem will er sich für die Bewahrung der Natur einbringen, in der Hege und Pflege. Damit schlägt er den Bogen in seine Kindheit, „da konnte ich das ausleben“, sagt er. In Techentin ist er groß geworden, der Vater war Pastor, hatte mit 41 einen Schlaganfall, hat noch neun Jahre gelebt, gepredigt im Sitzen. Als Karl-Martin 14 Jahre alt war, sind die Eltern beide innerhalb von vier Wochen gestorben. Karl-Martin kommt mit zwei Geschwistern und der Großmutter zur ältesten Schwester nach Parchim. Schnell ist ein Foto von der liebevoll aussehenden alten Dame in seiner Hand. Als Karl-Martin 1976 heiratet, sagt die Großmutter, nun könne sie sterben, er sei versorgt. Und stirbt hochbetagt.

Dann der Rausschmiss aus der 11. Klasse der Erweiterten Oberschule in Lübz, den er bis heute als „mittlere Katastrophe“ beschreibt. „Mein liebster Lehrer, Latein, Deutsch, Musik, dem ich vertraut habe, der sich mir immer als Vertrauensperson zeigte – der hat dafür gesorgt, dass ich wegen meiner Einstellung fliege... Zu mir hatte er gesagt, wie gut er es fände, dass ich meine Meinung sage...“ Die Verwundung, der Verrat sitzt bis heute tief.

Eigentlich wollte Karl-Martin Schabow Förster werden oder Sport studieren. Aber nun, ohne Schulabschluss, geht er nach Leipzig an das Theologische Seminar. Der spätere Magdeburger Bischof Werner Krusche ist gerade Prorektor, „der hat mich mit offenen Armen empfangen“. Nach dem Theologiestudium absolviert er sein Vikariat bei Pastor Günter Pistor an St. Johannis in Rostock.

„Ich werde missionieren!“

Als erste Pfarrstelle sollte Schabow 1976 Kirch Grubenhagen übernehmen. Vorher kam die Einberufung zur Nationalen Volksarmee. Der für ihn zuständige Landessuperintendent Rüdiger Timm meinte: „Dann muss ich Sie vorher ordinieren...“ und Schabow konnte beim Wehrkreiskommando sagen: „Sie ziehen einen Pastor ein... ich werde missionieren...“ Er hörte nie wieder etwas von denen.

13 Jahre lebten die Schabows mit ihren drei Kindern in Kirch Grubenhagen und sagen heute, es sei eine tolle Propstei gewesen. „Wir waren Brüder und Schwestern und haben uns in schwierigen Situationen getragen“, sagt Schabow. Und davon gab es genug: „In Kirch Grubenhagen eskalierten die Auseinandersetzungen zwischen Kirche und Staat häufig, bis dahin, dass wir nach einem Urlaub unsere Wohnung geöffnet und durchsucht vorfanden“, erinnert er sich.

Nächste berufliche Station wurde im Sommer 1989 Eldena. „Da gab es eines Nachts einen Knall und das Haus fiel uns auf den Kopp“, sagt Schabow. Also musste die Pfarrfamilie anderthalb Jahre im Container leben, während das alte Pfarrhaus nach westlichen Maßstäben aufgebaut wurde, nur die Fachwerksegmente blieben stehen. Das Gemeindehaus wurde saniert und erhielt Jugendräume, die Pfarrscheune wurde saniert, um dort in Perspektive einen großen Raum für größere Veranstaltungen zu schaffen.

Mit 54 Jahren, 2004, kam dann der letzte Umzug in eine neue Pfarrstelle: Bützow. Frau Schabow war in Eldena als Gemeindepädagogin glücklich gewesen – in Bützow gab es für sie keine bezahlte Arbeit. Das traf sie hart. Zu tun gab es genug – aber keine Anstellung.

Krisensitzung – Bauarbeiten

Wie geht’s weiter in Bützow, werde immer wieder gefragt, sagt Schabow. Die noch verbliebenen Schäden an der Kirche müssen behoben werden, auch über die beiden Pfarrhäuser wird nachgedacht werden müssen. Eins war vermietet, steht leer, „vermodert so langsam“. Das, in dem Schabows gewohnt haben und in dem im Winter der Gemeinderaum für Gottesdienste genutzt wird, ist für Gehgeschädigte und ältere Menschen mit den Treppen unzumutbar.

Die Kirchengemeinde ist auch verantwortlich für das ehemalige Hospital in Bützow, eine Stiftung, in das drei altersgerechte Wohnungen eingebaut worden sind und die Sozialstation Räume hat. Vor fünf Wochen ist in dem sanierten Gebäude Schwamm großflächig entdeckt worden. Krisensitzung – Bauarbeiten, redet Schabow nur noch in Stichworten.

„Wir haben Gemeinde gelebt“, sind sich Christel und Karl-Martin Schabow einig. So waren die vielen kleinen Abschiede in den letzten Wochen in den verschiedenen Gruppen wie Männerkreis, Posaunenchor und vor allem in den fünf Altenheimen, die Schabow betreut hat ... mit viel Wehmut. Im Frauenkreis, den Frau Schabow geleitet hatte, gab es Tränen. „Ich habe den Frauen gesagt, sie müssen nun allein weiter machen...“, sagt sie und hofft, dass das funktioniert.

Die Pfarrstelle wird von der Landeskirche besetzt, die 1070 Mitglieder zählende Kirchengemeinde hat auf ihr Besetzungsrecht verzichtet. Aber nun ist erstmal die Verabschiedung. Schabows Satz: „Ich bin gern Pastor gewesen. Die Menschen haben mich in ihre Herzen und Häuser gelassen“, zieht dann doch ein positives Fazit, das leicht relativiert wird: „Ich hinterlasse ein Chaos, aber mir ist auch viel geschenkt worden.“

Pastor Schabow und seine Frau wurden am Sonntag im Gottesdienst verabschiedet. Am 15. November um 17 Uhr werden sie noch einmal zurückkommen: Sie wollen bei der Hubertusmesse mit den Parforcehörnern aus Berlin dabei sein. „Diese volkstümliche Begegnung hat mich schon immer hingerissen“, sagt Karl-Martin Schabow.

Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 45/2015