Kirchengemeinde Strasburg Ein Offener Treff in der Uckermark schafft seit Wendezeiten Gemeinschaft

Von Sybille Marx

„Es ist wichtig, dass man nicht nur im eigenen Saft schmort“, findet Eva Paschen, 85, ehrenamtliche Leiterin des Offenen Treffs in Strasburg.

Foto: Sybille Marx

10.08.2014 · Strasburg. Als vor über 20 Jahren viele Menschen in die Arbeitslosigkeit getrieben wurden, gründete die Kirchengemeinde Strasburg in der Uckermark einen „Offenen Treff“. Die Gruppe gibt’s bis heute.

Eva Paschen hatte damals Glück. „Ich musste mich nicht mehr wenden“, sagt die 85-Jährige. 1989/90, als das zerteilte Deutschland sich wiedervereinigte und die DDR sich quasi auflöste, ging die Bankkauffrau gerade in Rente. Doch viele Andere in der uckermärkischen Kleinstadt Strasburg, in der sie seit ihrer Jugendzeit lebt, standen noch mitten im Berufsleben, wurden in die Arbeitslosigkeit katapultiert, als ihre Betriebe schlossen.

„Unsere damalige Gemeindekatechetin Frau Haerter und ich haben gesagt: Wir müssen unbedingt etwas tun, vor allem für die Frauen, die auch noch alleinstehend sind“, erzählt Eva Paschen, die schon damals ehrenamtlich in der Gemeine engagiert war. „Die verloren ja nicht nur den Arbeitsplatz, sondern auch den Kontakt zu ihren Kollegen, die feste Tagesstruktur und das Gefühl, gebraucht zu werden.“ Dem hätten sie als Gemeinde etwas entgegen setzen wollen, ausdrücklich auch für die, die mit Kirche nichts zu tun hatten.

Die Idee eines „Offenen Treff“ unter dem Dach der Kirche war damit geboren: Jeden Montagnachmittag sollten sich alle betroffenen Frauen, die Interesse hätten, im Gemeindesaal des Pfarrhauses hinter der evangelischen Kirche treffen, über Veränderungen in der Gesellschaft informiert werden, die Losung lesen, singen, Bücher besprechen, Ausflüge machen, basteln, stricken, spielen...

Immer wieder montags


Acht Frauen kamen gleich zu den ersten Nachmittagen. Der Zettel, den Gemeindekatechetin Haerter und Eva Paschen damals tippten und als Aufruf in der ganzen Stadt verteilten, ist inzwischen vergilbt, die Katechetin in Ruhestand gegangen und weggezogen. Aber zum „Offenen Treff“ kommen noch immer 16 bis 20 Frauen in den Gemeinsaal, jede Woche wieder.

So wie heute, an einem Montagnachmittag im Juli. Löslicher Kaffe und Kannen mit heißem Wasser stehen auf den Tischen, 13 Frauen sitzen wartend und plaudernd zusammen. Schließlich rauscht eine sommersprossige Dame mit Platten voll gekauftem Kuchen herein, verteilt alles auf den Tischen, lässt sich schnaufend auf den Stuhl sinken. „Ich hatte vergessen, dass ich mit dem Kuchen dran bin“, seufzt sie und rollt die Augen, „mein Blutdruck war auf 180...“ Gelächter in der Runde. Der Kuchen, sonst selbst gebacken, ist ja doch eher Nebensache bei den Treffen. Viel wichtiger ist etwas anderes: „Dass man sich austauscht und nicht nur im eigenen Saft schmort“, wie Eva Paschen es formuliert.

Sie hatte die Leitung des Offenen Treffs übernommen, als Katechetin Haerter wegzog. „Ich hab immer gedacht, bald kommt dann keiner mehr, aber nun gibt es uns immer noch“, sagt sie lachend. Kein Wunder, findet Lydia Pfau. Die heute 77-Jährige hatte jahrelang als Hauptbuchhalterin und Wirtschaftskontrolleurin in der Fleischwirtschaft gearbeitet, war im Jahr 1990 „invalidisiert“ zu der Gruppe gestoßen. Das entscheidende beim Offenen Treff sei die Gemeinsamkeit, sagt sie. Aber auch, dass man hier nicht nur gemütlich Kaffee trinkt, sondern dank Eva Paschen auch gesellschaftliche Entwicklungen im Blick behält – über Zeitungsartikel, Bücher und Gastvorträge. „So verliert man nicht den Faden zur Gesellschaft“, sagt Lydia Pfau, „und das Niveau stimmt.“

Spannende Themen

Wenn Eva Paschen die Kladde durchblättert, in der sie Stichwörter zu den Montags-Treffen in den ersten Jahren notiert hat, stößt sie auf eine lange Reihe spannender Themen: „Mit Religionen haben wir uns zum Beispiel auseinander gesetzt, sehr ausführlich mit dem Judentum und dem Kirchenjahr, auch mal mit Astrologie und Aberglaube“, erzählt sie. Alles Themen, mit denen die meisten im Sozialismus nichts zu tun gehabt hätten. Die Frauen sprachen über Bücher wie Hans Peter Richters Roman „Damals war es Friedrich“, der die Geschichte eines jüdischen Jungen unter den Nazis erzählt. Sie erkundeten in Ausflügen Kirchen und Museen der Umgebung, luden Vertreter der Kriminalpolizei oder Vereine wie den „Weißen Ring“ ein, der Opfern von Gewalt hilft.

Von Anfang an engagierte sich die Gruppe aber auch für Andere, „das war uns wichtig“, sagt Eva Paschen. Jahrelang halfen die Frauen im Frühjahr etwa mit, den Weltgebetstag in Pasewalk vorzubereiten. Im Winter veranstalteten sie Adventsbasare, verkauften in Strasburg und den umliegenden Kirchen und Gemeinden Selbstgemachtes wie gestrickte Socken, Marmeladen, Weihnachtsschmuck. Mehrere hundert Euro kamen oft zusammen, erzählt eine der Frauen, einmal über 1 000. Hilfspakete nach Tschernobyl, aber auch mal Anschaffungen für die Strasburger Kirche finanzierte die Gruppe von dem Geld. „Das war eine schöne Zeit“, seufzt Eva Paschen.

Inzwischen sind viele Mitglieder des Offenen Treffs in ein Alter gekommen, das seinen Tribut fordert. Als Thema wählt Eva Paschen jetzt schon mal Infos zur „Vorsorgevollmacht und Patientenverfügung“, manches Mal steht „Gymnastik im Sitzen“ auf dem Programm. Der Basar, die vielen Ausflüge und die dreitägige Freizeit, die die Gruppe jahrelang im Sommer unternahm, gehören der Vergangenheit an. „Wir sind alle nicht mehr so mobil, die meisten von uns können ja nicht mehr Auto fahren“, erklärt Eva Paschen. Doch eins ist geblieben: Wer kommen will, kann kommen, jeden Montag, auch in den Ferien. Mit der Tageslosung beginnt der Offene Treff. Und auf manchem früheren Erfolg können sich die Frauen heute noch ausruhen, im wahrsten Sinne des Wortes: Stoffkissen, finanziert aus Basar-Einnahmen, liegen auf den Holzbänken in der Strasburger Kirche. Eine der Frauen lächelt und sagt: „Wenn ich da drauf sitze, denke ich immer: Das waren wir.“

Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 32/2014


Offener Treff, montags, 14.30 Uhr bis 16 Uhr, Pfarrstraße 22, Strasburg. Neue Besucher sind willkommen.