Zehn Jahre Regionalzentren für demokratische Kultur Nora Nübel im Gespräch: Lasst uns reden!

Nora Nübel liebt ihre Arbeit im Regionalzentrum Stralsund

Foto: privat

02.07.2017 · Stralsund. Als 2006 die NPD in den Landtag von MV einzog, beschlossen die demokratischen Parteien in der Landesregierung: Wir richten fünf Regionalzentren für demokratische Kultur ein, die kostenlos über Extremismus in der Region aufklären, beraten, schulen und die Demokratie stärken. Am 30. Juni feierten diese Zentren ihr zehnjähriges Bestehen. Sybille Marx hat mit Nora Nübel vom Regionalzentrum in Stralsund gesprochen, einem von zwei Zentren, die von der Evangelischen Akademie der Nordkirche getragen werden.

Marx: Frau Nübel, ist Ihnen und den anderen Mitarbeitern in den Regionalzentren angesichts der politischen Lage im Land eigentlich zum Feiern zumute?

Nübel: Ja! Klar! Erstmal freuen wir uns, dass es uns seit zehn Jahren gibt, denn das bestätigt, dass wir gute Arbeit leisten. Wenn sich gezeigt hätte, dass wir nichts bewirken können, würden die Landesmittel längst woanders hinfließen.

Was haben Sie denn in den zehn Jahren geschafft?

Wir haben stabile Netzwerke aufgebaut, uns das Vertrauen von Kommunen, Verwaltungen, Schulen, Vereinen, Kirchengemeinden und anderen erarbeitet. Über 200 Anfragen pro Jahr bekommt heute jeder unserer Standorte, das zeigt, dass die Menschen unsere Beratung und Unterstützung schätzen.

Was für Anfragen sind das?

In den ersten Jahren ging es vor allem um die NPD und die Frage, wie gefährlich der Rechtsextremismus in MV ist. Da haben wir etwa über die Strukturen aufgeklärt: dass sich die NPD mit den Kameradschaften verbündet hatte, dass es nebenbei autonome rechtsextreme Gruppen gab und gibt und außerdem die „völkischen Siedler“ im Rostocker Land, die zwar unauffällig, aber nicht weniger gefährlich ihre rechtsextreme Gesinnung leben. In den letzten Jahren hat sich der Schwerpunkt in Richtung Rechts populismus verlagert. Relativ neu ist, dass wir auch mal über religiösen Extremismus wie Salafismus aufklären sollen.

„Schwerpunkt Rechtspopulismus“, heißt das: Sie sehen in der AfD ein größeres Problem als in der NPD?

Wir werten das so nicht, das würde die Gefährlichkeit traditioneller Strukturen wie der NPD unterschätzen. Fakt ist, dass die AfD mit ihren populistischen Thesen viel Zustimmung findet, und das müssen wir ernst nehmen. Durch sie wurde auch ein Teil der Nichtwähler aktiviert, viel mehr Menschen interessieren sich wieder für Politik, das ist doch toll!! Ob Rechtspopulismus das ist, was wir uns für eine Demokratie wünschen, ist eine andere Frage …. es ist auch schwerer, sich von der AfD abzugrenzen. Bei der NPD können wir sagen: Die ist verfassungsfeindlich, das hat das Bundesverfassungsgericht bestätigt. Bei der AfD müssen wir ganz anders in den Meinungsstreit gehen.

Wieso wird Ihr Regionalzentrum von der Evangelischen Akademie getragen, inwiefern ist es Aufgabe der Kirche, Demokratie zu stärken?

Das Land hat damals bewusst entschieden, unterschiedliche Träger für die fünf Regionalzentren zu wählen, und das ist gut, wir tauschen unsere Erfahrungen aus. Demokratie zu stärken, ist aber auch eine ganz originäre Aufgabe der Evangelischen Akademien. Die hatten sich nach 1945 gegründet, um nach dem Versagen der Kirchen im Nationalsozialismus dafür zu sorgen, dass so etwas nicht nochmal passiert. Sie verstehen sich als Ort des Diskurses, der kritischen Reflexion. Und kaum eine andere Institution in MV hat noch so ein dichtes Netz wie die Kirche. Die Gemeinden werden als parteiunabhängig und neutral wahrgenommen, darum können sie bei Konflikten sehr gut in die Vermittlerrolle gehen. Nicht zuletzt wissen wir: Wo ideologische Leerräume sind, können sich andere Ideologien viel leichter verbreiten.

Was sagen Sie Leuten, die klagen: Demokratie ist eh nichts wert, wir können ja nur alle fünf Jahre ein Kreuchzen machen…?

Wenn man Demokratie so versteht, ist es wirklich zu wenig. Wir sagen, es geht um die Frage, wie wir unser Miteinander gestalten wollen. Ein demokratisches Miteinander lebt davon, dass alle im Austausch sind, dass jeder sich beteiligen kann. Darum stärken wir in Workshops, Seminaren und Beratungen die Dialog- und Konfliktfähigkeit, ermutigen und befähigen Menschen, sich zu engagieren.

War Jesus Demokrat, kann er ein Vorbild sein auch dafür, wie wir mit Rechtsextrem umgehen?

Spannende Frage. Ich denke, ja. Jesus hat mit allen Leuten Gespräche geführt, mit Zöllnern, Pharisäern, der Ehebrecherin … also auch Leuten, die nach der damals gängigen Moral und Meinung unten durch waren. Er unterscheidet zwischen Person und Werk, so sollten wir auch vorgehen. Wir sind strikt und entschieden gegen Rechtsextremismus, gegen Gewalt, aber auch Rechtsextreme sind Menschen, das dürfen wir nicht vergessen. Kampagnen wie „Nazis raus“ finde ich schwierig, denn wo sollen diese Menschen hin? Natürlich muss man auch eine Grenze aufzeigen und sagen: Wir dulden keine menschenverachtenden Äußerungen. Im konkreten Fall kann es darum nötig sein, vom Hausrecht Gebrauch zu machen und einen Rechtsextremen von einer Veranstaltung auszuschließen.

Und wie groß ist Ihrer Einschätzung nach das Problem des Linksextremismus im Land?

Gewaltbereiter Linksextremismus ist genauso wenig akzeptabel wie rechtsextremer, gegen beides arbeiten wir präventiv. Aber die Linksextremen sind in MV nicht gesellschafts- und staatsgefährdend. Der Rechtsextremismus ist hier definitiv die größere Herausforderung.

Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 26/2017


INFO

Die Regionalzentren für demokratische Kultur sitzen in Roggentin, Stralsund, Anklam, Ludwigslust und Neubrandenburg. Jedes hat vier volle Stellen. Historiker, Politologen, Pädagogen, Kommunikationsexperten und andere arbeiten im Team.