Neues Leben im AlterKurzgeschichten

Kurzgeschichte März/April 2024Die lebensrettende Hühnerbrühe


Die Grippewelle schwappte über, sie schwappte schon lange, doch nun erfasste sie vor allem die Schüler, die kurz vor der Zeugnisverteilung einige Tests zu schreiben hatten.

 

Daher ließ sich auch der kleine Lucas sehr gerne von der Grippewelle erfassen. Er hustete sehr stark und zeigte unerklärliche Symptome, so dass die Mutter mit ihm ins Krankenhaus eilte. Nachdem er reichlich mit Medikamenten versorgt war, durfte er daheim auf dem Sofa sein Leiden auskurieren.

 

Leider musste die Mutter ins Geschäft zur Arbeit, und da sie den Knaben nicht ganz allein lassen wollte, beauftragte sie die Großeltern im 15 km entfernten Dorf, ein Auge auf ihn zu haben. Die Oma hatte ein Ohr auf ihn und erkundigte sich also stündlich, wie es Lucas gehe. „Hast du Fieber?“ „Ja“, hauchte er ins Telefon. „Starkes Fieber?“, fragte die Oma. „Ja“, sagte er mit sterbender Stimme, „37 Komma 4“.

 

Die Oma lächelte, aber dann griff sie doch zu ihrem altbewährten Heilmittel: Hühnerbrühe.

Hier musste eine Hühnerbrühe her. Hier konnte nur noch Hühnerbrühe helfen!

In hartnäckigen Fällen half Hühnerbrühe – immer! Sie selbst ist als krankes Kind nur durch Hühnerbrühe gerettet worden. Natürlich nur die von Oma. Alles andere taugte einfach nicht.

 

Also, die Oma schlachtete ein freilaufendes Huhn aus eigener Hofhaltung, dann kochte sie ihre wunderbare berühmte Hühnerbrühe, dann fragte sie den Nachbarn, ob er sie ans Krankenbett fahre (Essen auf Rädern). Auch der Opa fuhr noch mit, voller Sorge, dass die kostbare Suppe nicht überschwappe wie die Grippewelle, sondern dem Fieberkranken zur Genesung verhelfe.

 

Sie erreichten „den Hof mit Müh und Not“ (Erlkönig), der kranke Lucas thronte auf dem Sofa und zappte sich durch die Fernsehsendungen. Medikamente und ein aufgeschlagenes Schulbuch lagen als Alibi auf dem Tisch. Allerdings begraben unter Schokoladenpapier.

Die wunderbare heilende Hühnerbrühe konnte er leider nicht essen, weil sein Bauch weh tat von den Süßigkeiten. Allerdings war das Fieber gesunken.

 

Obwohl die Großmutter den Braten roch, war sie doch sehr zufrieden, dass es dem Patienten besser ging. “Denn”, so erzählte sie mir eindringlich und gestenreich, „es hätte ja sein können, dass Lukas Scharlach hat und Scharlach ist höchst gefährlich weißt du eine Nachbarin in dem Dorf wo meine Kusine wohnt war einmal sehr krank und ist dann gestorben es war Scharlach und als dann meine Kusine auch so krank wurde haben wir alle gleich gewusst wie es behandelt werden muss und der Arzt ist gleich gekommen es war ein sehr guter Arzt er hatte ein schönes Haus weißt du und die Leute vertrauten ihm sehr und er hat sich sofort gekümmert und meine Kusine ist sofort ins Krankenhaus gekommen und ist gerettet worden und Scharlach ist sowas von gefährlich man kriegt davon so roten Ausschlag kennst du das Lucas hatte auch so rote Flecken und wir hatten Sorgen wie damals bei meiner Kusine und Scharlach ist wirklich lebensgefährlich und ich bin froh dass Lukas von diesem guten Arzt behandelt wurde der hat gesagt es ist kein Scharlach aber es hätte ja Scharlach sein können der arme Junge bei dem Doktor waren wir schon öfter der ist wirklich ein guter Mann weißt du früher waren die Ärzte viel besser.”


Beim abendlichen Kontrollanruf war das Fieber dank Hühnerbrühe oder Fernsehen oder was auch immer gesunken auf 37 Komma 2!
Was für ein Glück!

 

Barbara Seuffert