Mammutaufgabe von 70 beteiligten Wissenschaftlern Neue Lutherbibel: Zurück zu den Quellen

Von Tilman Baier

Ein Exemplar der neuen Lutherbibel im Großformat verschenkt die Nordkirche an jede ihrer Gemeinden. Simone Kuhfahl in der Schweriner Kirchenkreisverwaltung beim Verteilen.

Foto: Tilman Baier

23.10.2016 · Schwerin. Die komplett überarbeitete Lutherbibel wurde am Mittwoch auf der Frankfurter Buchmesse vorgestellt und ist in den Buchhandlungen erhältlich. Am Sonntag (30. Oktober) wird sie in einem Festgottesdienst in Eisenach für den kirchlichen Gebrauch eingeführt. Einer der Bearbeiter, der Rostocker Alttestamentler Martin Rösel, hatte vorab in einer Veranstaltung von Kirchenzeitung und Bibelgesellschaft MV erzählt, welche Mammutaufgabe die Beteiligten zu lösen hatten.

Wenn Martin Rösel, Hochschullehrer für Hebräisch, Altes Testament und Religionsgeschichte an der Universität Rostock, aus der Arbeit an der nun vorliegenden überarbeiteten Lutherbibel erzählt, dann ahnt auch ein Laie etwas von der Größe dieser Aufgabe. Dabei hatte alles recht harmlos angefangen: Geplant war zunächst nur eine Durchsicht der aktuellen Ausgabe der Lutherbibel mit der Fassung des Alten Testaments von 1964 und des Neuen Testaments von 1984, um die Übersetzung auf den aktuellen wissenschaftlichen Stand zu bringen.

Doch dann empfahl die dafür eingesetzte Steuerungsgruppe im Jahr 2007 eine tiefgründigere Überarbeitung vor allem des Alten Testaments. Denn die Redakteure hätten damals, so der Befund, an vielen Stellen die Grundlage des hebräischen Textes verlassen. Im Neuen Testament war der Befund nicht ganz so dramatisch. Denn hier war die oft als „Eimer-Evangelium“ verspottete Überarbeitung von 1956 bereits 1984 wiederum überarbeitet worden – „Eimer-Evangelium“ deshalb, weil 1956 Begriff e wie „Scheffel“ durch angeblich besser verständliche wie „Eimer“ ersetzt worden waren. Nicht nur der Philologe Walter Jens hatte damals geschimpft, dies sei Mord an Luthers Sprache.

Genau dieses sollte diesmal nicht geschehen. So empfahl die Steuerungsgruppe, sich den biblischen Grundtexten einerseits und andererseits der Lutherübersetzung in ihrer Sprachgewalt wieder anzunähern. Als dann im Jahr 2010 mit der inhaltlichen Arbeit begonnen wurde, stellte sich jedoch bald heraus, dass die Zahl der überarbeitungsbedürftigen Stellen die Prognosen bei Weitem überstieg.

Ergebnis akribischer und mehrfacher Prüfungen

Aus der Durchsicht wurde so eine komplette Überarbeitung, die erstmals seit der großen Revision von 1912 einen einheitlichen Stand der Übersetzungen gewähren sollte, sowohl im Alten und Neuen Testament wie in den Apokryphen, die nicht zum Bibelkanon Luthers gehören.

Für jedes der Bücher der Lutherbibel wurde ein Bearbeiter verpflichtet. Schwierigere Texte gingen an eine Bearbeitergruppe. Wie Martin Rösel erzählt, musste jeder Änderungsvorschlag einer Projektgruppe vorgelegt werden und dort eine Zweidrittelmehrheit finden. Dann musste dieser Vorschlag an den Leitungsausschuss weitergereicht werden. Dieser setzte sich zusammen aus vier Bibelwissenschaftlern, darunter der Greifswalder Professor für Neues Testament Christfried Böttrich sowie Professor Rösel, einem Praktischen Theologen, einem Germanisten und zwei Vertretern der evangelischen Kirche. Auch hier wurde ein Änderungsvorschlag nur bei einer Zweidrittelmehrheit angenommen. Bei besonders heiklen Stellen wurde auch der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland hinzugezogen.

„Unser Beitrag zum Waldsterben“ sei dieser Hürdenlauf im Team der 70 beteiligten Wissenschaftler selbstironisch genannt worden, erzählt Martin Rösel. Denn an rund 15 700 Versen, 44 Prozent des Bibeltextes, haben die Bearbeiter viele kleine und etliche größere Änderungen vorgenommen – bis hin zur kompletten Neuübersetzung der Apokryphen durch Martin Rösel, waren die doch das letzte Mal 1912 noch ohne die Funde von Qumran durchgesehen worden.

Nach fünfjähriger Arbeit lag das Ergebnis bereits 2015 vor, wo es zunächst nur auf einem Datenstick im Pappkarton an den EKD-Ratsvorsitzenden überreicht wurde. Nun ist die gedruckte Ausgabe da. Auch wenn 22 Euro für die Standardausgabe zu zahlen sind – korrekter und poetischer als die Vorgängerin ist sie allemal.

Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 43/2016