Blick vom Turm zurück in die Zeit Grimmener Kirchgemeinde erzählt mit Ausstellung ums evangelische Pfarrhaus eigene Geschichte

Von Christine Senkbeil

Die Kirche in der Mitte der Stadt – über St. Marien und das Leben ringsherum geht es in einer zweimonatigen Vortragsreihe und einer neuen Publikation aus Grimmen.

Foto: C. Senkbeil

30.08.2015 · Grimmen. Zwei Jahre tourt die Ausstellung zur Kulturgeschichte des Pfarrhauses inzwischen. Auch Grimmen zeigt sie nun. Doch die Gemeinde nahm die Gelegenheit zum Anlass, ihre eigene Geschichte daran aufzurollen. Und zwar von A bis Z. Eine 500-seitige Publikation ist daraus entstanden. Und eine Veranstaltungsreihe mit elf Fachvorträgen in vier Wochen.

Er hatte keinen leichten Stand in Grimmen, der Pfarrer Bruno Paul Nathanael Krause. Seit 1933 bestand sein Gemeindekirchenrat praktisch aus Nazis. Mit ihm gehörten nur noch drei Älteste der Kirchengruppierung „Evangelium und Kirche“ an. Die Mehrheit von sechs Ältesten jedoch stellte die von Hitler propagierte Gruppe „Deutsche Christen“ (DC). In der Februarsitzung kam es mal wieder zum Eklat: Krause und seine Männer blieben sitzen, als die Deutschen Christen aufsprangen, ein dreifaches „Sieg Heil“ schmetterten und das Horst-Wessel-Lied anstimmten. Krause und Männer sangen nicht mit. Die DC-Patrioten verließen den Saal, der Rat war nicht mehr beschlussfähig. Eine Nacht in Haft brachte dem Pastor die „Missachtung des Führerheils“ ein.

Historische Belege wie diese traten zutage, seit Pastor Wolfgang Schmidt und seine Mitstreiter vor zwei Jahren intensiv herangingen, das Grimmener Kirchenarchiv nach Geschichte und Geschichten aus der Kirchengemeinde zu durchforsten. An seiner Seite: Haik Porada. Der gebürtige Grimmener ist Historiker. Er arbeitet inzwischen im Leibniz-Institut für Landerkunde in Leipzig und nutzte sein „enormes Netzwerk an Kontakten“, wie Schmidt bewundernd sagt, um weitere Fachleute bei den Forschungen zu gewinnen. In erster Reihe dabei außerdem der Greifswalder Theologe Norbert Buske, jahrelanger Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft fur pommersche Kirchengeschichte.

Ein 18-köpfiger Kreis von Wissenschaftlern „ermittelte“. Zahlreiche Quellen wurden erstmals umfassend ausgewertet und dokumentiert, angefangen von Inschriften und dendrochronologischen Daten bis hin zu Siegeln und Wappen der Stadt. Und was da nicht alles der Vergessenheit entrissen wurde. „Wir haben jetzt auch eine lückenlose Aufstellung aller Geistlichen, die hier gewirkt haben, seit 1270“, sagt Schmidt, seit vier Jahren Pastor der Gemeinde.

„Die Marienkirche in Grimmen und ihre Gemeinde“

Das 500-Seiten schwere Ergebnis der Mühe ist nun die Publikation „Die Marienkirche in Grimmen und ihre Gemeinde“. Wissenschaftliche Beitrage der 18 Autoren sind darin enthalten, wie der der Archäologin und Kirchenmusikerin Ina Altripp, der Greifswalder Universitätskustodin Dr. Birgit Dahlenburg oder dem Kunstgeschichtler Dr. Michael Lissok. Gebäude und Gemeinde erhalten hier „eine Würdigung aus Sicht der Kirchen-, Landes und Rechtsgeschichte sowie der Architektur-, Kunst und Musikgeschichte“, so die Herausgeber Schmidt, Porada und Buske. Die Einbindung der Grimmer Geschichte in die des Fürstentums Rügen, des Herzogtums Pommern, der schwedischen Großmachtzeit und des preußischen Staats wird ebenso thematisiert wie die widersprüchlichen Entwicklungen im 20. Jahrhundert.

Doch nur mit der Herausgabe des Buches enden die Bemühungen um die Gemeinde-Historie nicht. „Der Ursprung der Idee war, dass wir die Ausstellung über die ‚Kulturgeschichte des evangelischen Pfarrhauses‘ nach Grimmen holen wollten“, sagt Pastor Schmidt. „Aber sie sollte nicht für sich stehen, sondern verwoben werden mit unserer Geschichte hier vor Ort. Damit deutlich wird, wir sind ein Teil.“

Seit zwei Jahren tourt die Pfarrhaus- Ausstellung „Leben nach Luther“ durch Deutschland. In Grimmen nun wird sie um zehn Tafeln ergänzt, die hier angefertigt wurden. Eine der Tafeln erzählt die angedeutete recht nachdenklich stimmende Biografie des aufrechten Pfarrers Krause, der von Präsident i.R. Dr. Friedrich Winter vorgestellt wird. Krause gehörte der Bekennenden Kirche an und wurde in Grimmen auser Dienst gesetzt, weil „kein gedeihliches Wirken“ möglich war.

Die zehn Tafeln bestückte Schmidt mit Material aus dem Buch, damit das Wissen nicht „nur“ zwischen den Buchdeckeln bleibt. Denn dieses wird, wie Schmidt vermutet, zu einem Verkaufspreis von 34,90 Euro vielleicht nicht in jedem Grimmener Bucherschrank landen. 22 000 Euro Produktionskosten galt es jedoch, zu decken. Bei der Finanzierung machten verschiedene Geschichtsvereine mit, die Nordkirche, der Pommersche Kirchenkreis. 10 000 Euro blieben offen, die aus dem Erlos der 400 gedruckten Exemplare zustande kommen sollen.

Vortragsreihe in der Grimmener Kirche

Und noch etwas haben er und seine Mitstreiter sich ausgedacht, um die Geschichten rund um den Kirchturm unter die Leute zu bringen. Eine Vortragsreihe von beeindruckender Lange und Dichte wird vom 5. September bis 2. Oktober in der Grimmener Kirche laufen – da muss einfach für jeden etwas dabei sein. Nach der festlichen Eröffnung am Sonnabend erläutert Haik Porada gleich am folgenden Montag, 7. September, 17 Uhr, anhand zweier im Archiv entdeckter Stockholmer Urkunden „Grimmen: das mittelalterliche Kirchspiel und seine Frömmigkeit“.

Über einen streitbaren Prapositus an der Grimmener Kirche, nämlich Magister Brunst, spricht Freitag, 11. September um 19 Uhr Dr. Nils Jörn, Leiter des Stadtarchivs Wismar. Brunst hatte es mit wohl pommerscher Sturheit nämlich geschafft, die Stadt Grimmen wegen Nichteinhaltung ihrer Patronatspflichten bis vors Wismarer Tribunal zu schleifen: und er hat gewonnen.

„Wir haben versucht, ein gemischtes Programm zu schaffen“, sagt Schmidt über die Veranstaltungsreihe. Wissenschaftliche Vortrage, die, so hofft der Pastor, auch Publikum von weit außerhalb Grimmens heranziehen werden, wechseln mit Themen, die besonders für die Anwohner von lokalem Interesse sind. So geht es am 18. September mit Bauforscher Torsten Rutz hinauf in den Dachstuhl von St. Marien.

Nicht alle der Vortragenden sind dabei auch Autoren der neuen Publikation. So wie Anja Würzburg, die 2005 ihr eigenes Buch „Ich – Pfarrerskind“ herausgab, mit elf Interviews von Pfarrerskindern, wie Johannes Rau oder Margot Käßmann. Daraus liest sie am 25. September. Oder Christoph Ehricht, der über die Bedeutung des Dienstsitzes für ein Berufsbild im Wandel spricht: „Pfarrhaus – Pfarramt – Pastorat“.

„Ich hoffe, dass die Veranstaltungsreihe weit hineinwirkt in die Stadt Grimmen und auch Menschen wieder in die Kirche lockt, die keine Bindung mehr verspuren“, sagt Schmidt. 5000 Flyer mit dem Programm sind verteilt.

Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 35/2015


Flyer mit Programm