Michael Niemann zur Lage im Heiligen Land Israel und Palästina – ein hoffnungsloser Fall?

Von H. Michael Niemann

Rostocker Alttestamentler und Biblischer Archäologe Prof. Michael Niemann

© kirche-mv.de/D. Vogel

23.08.2014 · Rostock.

Palästina gehörte nie nur einer Nation und das wird wahrscheinlich auch immer so sein“ schrieb 1894 prophetisch der britische Bibelwissenschaftler und Geograph George Adam Smith. Seit Jahrtausenden hat der schmale Landstreifen zwischen östlicher Mittelmeerküste und syrisch-arabischer Wüste ebenso oft Streit und Krieg wie friedliche Epochen der Kooperation erlebt. Zwischen zwei Wiegen der Menschheitskultur, Ägypten und Mesopotamien, profitierte er von guten Phasen des Austauschs beider und litt unter verheerenden Streitigkeiten beider „Großmächte“.

Drei Weltreligionen wurzeln in der Region. Die älteste, die jüdische Religion, erzählt treffend, dass fast unmittelbar am Anfang der Schöpfung, zum König und Herrscher der Welt berufen und befähigt, der Mensch seinem Schöpfer widerstrebt, dass zwischen den grundlegenden menschlichen Gemeinschaften, Mann und Frau (1 Mose 3), Bruder und Bruder (1 Mose 4), auch zwischen Völkern (1 Mose 11) Unverständnis, Streit, ja, tödliche Risse existieren. Ist Resignation angesagt?

Wenn wir heute ratlos und tief betroffen auf Israel und den Gazastreifen schauen, scheint es, dass Streit, Unversöhnlichkeit und mangelnde Einsicht unter den politisch Führenden hoffnungslos die Oberhand haben. Und die Bevölkerung muss es ausbaden, dient als Geisel. In Israel gibt es seit 20 Jahren Bunker und einen Schutzraum in jeder Wohnung. Die Hamas-Führung residiert luxuriös im reichen, fernen Qatar am Persischen Golf, fern vom Elend in Gaza. Beide Seiten wollen nicht die Waffen niederlegen, ohne sagen zu können, sie hätten einen Sieg errungen, gleichgültig, ob die Hamas 1 800 und Israel 70 Tote zu beklagen hat. Keiner denkt an Clausewitz´ alte Einsicht, dass ein militärischer Sieg politisch konstruktiv umgesetzt werden muss.

Fast ein Wunder, dass in Kairo wenigstens indirekte Gespräche beider Kontrahenten laufen. Die Hamas fordert einen Hafen für Gaza und die komplette Aufhebung der Abriegelung. Das wäre wirtschaftlich für Gaza sinnvoll. Israel muss dann mit einer Zufuhr neuer Raketen und Waffen rechnen, die die Hisbollah aus dem Libanon liefert und lehnt ebenso wie Ägypten ab. Wahrscheinlich wird dieser und der nächste Waffenstillstand gebrochen, wie die Hamas, oder eine ihrer Gruppen, die die Hamas-Führung nicht mehr kontrolliert, es mehrfach tat.

Mein israelischer Kollege beklagt, dass von keiner Seite konstruktivfriedliche und längerfristige Planungen für die Zeit nach diesem Krieg zu hören seien. Die Rhetorik der Hamas ist kriegerisch. Das macht es Menschen schwer, die an dringend notwendige längerfristige Lösungen denken, etwa dem ehemaligen israelischen Botschafter Stein, der für die Aufhebung der wirtschaftlichen Absperrung des Gazastreifens plädiert.

Aber dann sehen wir – manchmal unausgewogen – in den Medien Bilder der Zerstörung im Gazastreifen, hören kurze Bemerkungen, dass Raketen auf Israel fallen und dass in Jerusalem ein Palästinenser mit einem Bagger Passanten überfährt. Oder dass schwerbewaffnete Stoßtrupps der Hamas durch Tunnel ins israelische Hinterland eindringen. Die Worte vergisst man, die Bilder bleiben. Und mit jedem Tag wächst der Frust und die Radikalität.

Mein Kollege betont, die Lage sei viel komplexer als die Medien es darstellen. Ihn nerven die Vereinfachungen. Es geht seit langem nicht nur um Israel und Palästina. Im Nahen Osten hängt vieles mit vielem zusammen. Der neue iranische Präsident leugnet den Holocaust nicht mehr wie sein Vorgänger, eine positive verbale Entwicklung.

Aber Bilder sind unendlich viel wirksamer als Worte: Wo sind wir hingekommen, wenn ein australischer ISIS-Kämpfer seinen achtjährigen Sohn den Kopf eines enthaupteten Syrers im Internet triumphierend präsentieren lässt? Kommt mein israelischer Kollege dagegen an, wenn er mit israelischen und beduinisch-arabischen Freunden, auch israelische Staatsbürger, in Beerscheva einen gemeinsamen Kindergarten gründete? Er und seine Frau, Mitglieder der israelischen Friedensbewegung, sind nach Jahrzehnten müde und enttäuscht.

Ist die Lage im Nahen Osten hoffnungslos? Der Römer Seneca hat recht: „Nicht weil es schwer ist, wagen wir es nicht, sondern weil wir es nicht wagen, ist es schwer.“

Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 34/2014


Der Autor Michael Niemann ist emeritierter Professor für Altes Testament und Biblische Archäologie in Rostock. Seit vielen Jahren ist er an Ausgrabungen im Heiligen Land beteiligt. Erstmals musste er jetzt eine Grabung mit Studenten in ca. 30 Kilometer Entfernung vom Gaza-Streifen, die er für diesen Sommer vorbereitet hatte, aus Sicherheitsgründen auf unbestimmte Zeit verschieben.