Lutheraner unter Muslimen Nordkirchenpartner in Kasachstan erwarten Verständnis für ihre Kirchenpolitik

Von Tilman Baier

Lange wurde verhandelt, damit die lutherische Gemeinde von Astana für ihre vom Abriss bedrohte kleine Kirche die Genehmigung für einen Neubau an anderer Stelle bekommt – mit Erfolg. Nun wächst das lutherische Zentrum mit Kirche und Verwaltungsbau.

Foto: Olaf Pleban

24.11.2016 · Astana/Schwerin. Eine der vielfältigen Partnerbeziehungen, die die Nordkirche pflegt, ist die zur zahlenmäßig kleinen, aber großflächigen lutherischen Kirche in Kasachstan. Diese versucht sich trotz aller Umbrüche in dem autokratisch regierten, moderat-islamischen Land Mittelasiens zu behaupten. Im Herbst waren wieder zwei Delegationen aus der Nordkirche vor Ort.

Juri Nowgorodow, Bischof der lutherischen Kirche von Kasachstan, ist ein gewiefter Taktiker. Dies sei auch notwendig, um die noch junge lutherische Kirche in Kasachstan durch unruhige Zeiten zu steuern, ist der ehemalige Offizier der elitären sowjetischen Fallschirmjäger überzeugt. Die Herausforderungen sind groß: Es ist noch nicht einmal ein halbes Jahrhundert her, dass der damalige mecklenburgische Landesbischof Heinrich Rathke begonnen hatte, die in der weiten Steppe verstreuten lutherischen Gemeinden zu besuchen und zu sammeln. Diese waren, zumeist jahrzehntelang im Verborgenen existierend, dadurch entstanden, dass Stalin während des Zweiten Weltkrieges die einst von den Zaren an die Wolga geholten deutschen Siedler nach Sibirien und Mittelasien deportiert hatte.

Doch diese neue lutherische Kirche hatte gleich nach ihrer Gründung Anfang der 90er-Jahre mit einem massiven Mitgliederschwund zu kämpfen. Denn viele der Deutschstämmigen nutzten die Möglichkeit, in die Bundesrepublik auszuwandern. So wird zwar auch heute noch das durch die Generationen tradierte, meist aus dem 19. Jahrhundert stammende deutschsprachige Liedgut gepflegt. Doch die Umgangssprache in den Gemeinden ist nach manchen Debatten längst Russisch geworden. Zur Pastoren- und Mitarbeiterschaft gehören inzwischen längst Russisch- und sogar Kasachischstämmige – und mit Juri Nowgorodow hat diese Kirche seit 2005 auch einen russischstämmigen Bischof.

Eine weitere Herausforderung ist das im Herbst 2011 vom autokratisch regierenden Präsidenten Nursultan Nasarbajew unterzeichnete Religionsgesetz, das sich zwar vor allem gegen islamische fundamentalistische Gruppen richtet, die die Macht des Präsidenten gefährden könnten, aber auch die kleine lutherische Kirche unter Druck setzt. Denn es wird unter anderem eine Mindestzahl von 50 Mitgliedern gefordert, um als Gemeinde vor Ort anerkannt zu werden. Zwar leben in Kasachstan noch etwa 150 000 Deutschstämmige, von denen nach Schätzungen des Bischofs etwa zwei Drittel lutherisch sein könnten. Doch nur 10 000 stehen als Getaufte in den Taufbüchern. Und nur 2500 Gemeindeglieder und 24 Gemeinden sind nach dem neuen Religionsgesetz offiziell registriert.

Kirche als Brücke in den Westen

Umso mehr versucht die Kirchenleitung, die Brüdergemeinden der Mennoniten in die lutherischen Gemeinden zu integrieren. So werden die zweimal jährlich in Astana stattfindenden theologischen Seminare, die der Mecklenburgische Pastorenverein unterstützt, auch von Geistlichen der Brüdergemeinden besucht.

Juri Nowgorodow setzt auch darauf, für den Staat seine Kirche als Brücke nach Europa und den USA interessant zu machen – über die Partnerschaft mit der Nordkirche als auch über den Lutherischen Weltbund (LWB). Immerhin hat er so erreicht, dass der Neubau eines lutherischen Zentrums in der aus der Steppe gestampften Hauptstadt Astana recht repräsentativ ausfallen darf.

Noch steht das „alte“, Anfang der 90er-Jahre errichtete Gemeindezentrum, das damals am Rand der ehemaligen russisch geprägten sowjetischen Garnisonsstadt Zelinograd errichtet worden war. Doch seit gut zehn Jahren ist es wie die alten russischen Holzhäuser und die Wohnblocks aus sowjetischen Zeiten den Plänen des Präsidenten im Weg, sich mit dem Neubau der pompösesten Metropole Mittelasiens unter dem Namen Astana ein Denkmal zu setzen.

Neben hypermodernen Einkaufstempeln, Bürotürmen und Magistralen wie in Shanghai wird das Stadtbild auch durch vier neue große Sakralbauten geprägt, die jeweils nach Willen des Präsidenten die größten Zentralasiens sind, um sich als weltoffener und toleranter Staatsmann und gleichzeitig als guter Moslem zu empfehlen: So wurde die Nur-Astana- Moschee mit 60 Meter hohen Minaretten und einer Kuppelhöhe von 40 Metern als ein „Geschenk des Präsidenten“ an das moslemische Staatsvolk eröffnet – mit Platz für 5000 Gläubige und nochmals 2000 auf dem Hof. Bereits ein Jahr früher eröffnete die Synagoge für die kleine jüdische Gemeinde – mit einer Kuppelhöhe von 25 Metern und 5600 Quadratmetern Innenraum. 2010 wurde der 68 Meter hohe Neubau der russischorthodoxen Kathedrale mit Platz für 4000 Menschen geweiht. Der erste Sakralbau im neuen Astana, die katholische Kathedrale, musste allerdings 2012 den Titel „Größte römisch-katholische Kirche Mittelasiens“ an einen Neubau in Karaganda abgeben.

Imposantes Gemeindezentrum

Doch von diesem Größenwahn profitieren nun auch die Lutheraner. So berichteten Hans-Heinrich Jarchow vom mecklenburgischen Helfer- und Spenderkreis Kasachstan, der zusammen mit Claus Röschmann aus Schleswig-Holstein im September die Lutheraner in Kasachstan besuchte, dass schon der Rohbau des Gemeindezentrums imposant sei. Und Tilman Jeremias, Ökumene-Pastor im Kirchenkreis Mecklenburg, der mit einer weiteren Delegation des Helfer- und Spenderkreises Mitte Oktober zur Synode in Astana angereist war, berichtet: „Der Rohbau für das dreistöckige Verwaltungsgebäude steht; es ist ein großzügiger Bau, der neben den Büros für die Mitarbeitenden Gästezimmer und Gemeinderäume für die lutherische Gemeinde Astana beherbergen soll. Hier kann im Winter mit dem Innenausbau begonnen werden. Bei der Kirche stehen nur die Außenwände, das Dach fehlt noch.“

850.000 Euro kostet der Neubau ohne Innenausstattung. Davon gaben die Nordkirche und der Kirchenkreis Mecklenburg samt Helfer- und Spenderkreis rund 80.000 Euro. Laut Nowgorodow sind selbst kasachische Muslime gebefreudig, wenn sie hören, dass ein Gotteshaus entstehen soll. Es würden allerdings noch rund 300.000 Euro fehlen.

Nicht überall stößt der Wille des Präsidenten, Astana zur Drehscheibe zwischen Europa und Asien zu machen, auf Begeisterung. Heinrich Jarchow berichtet nach seiner Reise auch von herber Kritik, die er gehört hat: „Dafür ist Geld da, aber das Volk lutscht auf dem Daumen.“

Kritik aus der Nordkirche

Bischof Juri Nowgorodow indessen scheint mit seinem Kurs, der kleinen lutherischen Kirche einen wichtigen Platz in der kasachischen Gesellschaft und damit eine Zukunft zu erringen, Erfolg zu haben. Immerhin ist es schon gute Tradition, dass zur Eröffnung der Synode neben dem deutschen Botschafter auch der katholische Erzbischof und der orthodoxe Metropolit ein Grußwort sprechen. Und auch diesmal hob der Abgesandte des Religionsministeriums die Rolle der lutherischen Kirche für den Religionsfrieden im Land ausdrücklich hervor.

Und so hält er vorsichtiger Kritik aus der Nordkirche, sein Führungsstil sei zu staatsnah, zu autoritär und zu konservativ, entgegen, dass die kulturellen Unterschiede zu Europa sehr groß seien. Mit diesem Argument verteidigt er auch, dass nun, im Gegensatz zu den Aufbruchzeiten um 1990 und dem Fakt, dass seine Frau Swetlana die Gemeinde von Astana leitet, jetzt keine Frauen mehr zum Pfarramt ordiniert werden. Und dass inzwischen die Synode nur noch alle zwei Jahre zusammentritt und die Kirche wesentlich von einem Konsistorium unter seiner Führung geleitet wird, hätte vor allem Gründe in den riesigen Entfernungen des Landes.

Immerhin dürfen die Gemeinden diakonisch arbeiten – keine Selbstverständlichkeit in muslimischen Ländern. So werden in Koktschetau, rund 300 Kilometer nördlich von Astana, Obdachlose versorgt, die an den im Freien verlaufenden Fernwärmerohren versuchen, den eisig kalten Winter zu überleben. Auch davon konnten sich die Besucher aus der Nordkirche überzeugen. Und selbst missionarische Arbeit ist begrenzt möglich: So kommen zu den großen Kinder- und Jugendfreizeiten auch Nichtchristen.

Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 47/2016