Wort zum Karfreitag - 10.4.2020
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Hören von Pastorin Anke Kieseler.
Am Abend aber kam ein reicher Mann aus Arimathäa, der hieß Josef und war auch ein Jünger Jesu. Der ging zu Pilatus und bat um den Leib Jesu. Da befahl Pilatus, man sollte ihm ihn geben.
Und Josef nahm den Leib und wickelte ihn in ein reines Leinentuch und legte ihn in sein eigenes neues Grab, das er in einen Felsen hatte hauen lassen, und wälzte einen großen Stein vor die Tür des Grabes und ging davon. Es waren aber dort Maria von Magdala und die andere Maria; die saßen dem Grab gegenüber.
Am nächsten Tag, der auf den Rüsttag folgt, kamen die Hohepriester mit den Pharisäern zu Pilatus und sprachen: Herr, wir haben daran gedacht, dass dieser Verführer sprach, als er noch lebte: Ich will nach drei Tagen auferstehen. Darum befiehl, dass man das Grab bewache bis zum dritten Tag, damit nicht seine Jünger kommen und ihn stehlen und zum Volk sagen: Er ist auferstanden von den Toten, und der letzte Betrug ärger wird als der erste. Pilatus sprach zu ihnen: Da habt ihr die Wache; geht hin und bewacht es, so gut ihr könnt. Sie gingen hin und sicherten das Grab mit der Wache und versiegelten den Stein. (Matthäus 27,57–66)
Jesus ist gestorben.
Was in Nazareth und rund um den See Genezareth so vielversprechend
begonnen hatte, ist an ein Ende gekommen. Die vielen Heilungen, die Predigt am Berg mit den bleibenden Worten.
Die Wanderung nach Süden, Richtung Hauptstadt.
Wie viele haben seinen Weg gekreuzt.
Eine ganze Reihe von Frauen und Männern folgte ihm nach.
Andere verfluchten ihn, stellten ihm nach, waren eifersüchtig, stellten sich ihm in den Weg.
Einige schwärzten ihn an: Der ist gegen den Kaiser. Der lästert Gott.
Einer hat ihn verraten. Alle haben ihn verlassen.
Einer von seinen Nächsten hat ihn verleugnet und gesagt:
Ich kenne den Menschen nicht, von dem ihr da redet.
Die Evangelien berichten, wie römische und jüdische Obere Hand in Hand arbeiteten, kurzen Prozess machen und Jesus zum Tod verurteilen.
Noch vor dem hohen Fest, dem Passah, wird er gekreuzigt.
Manche hingen so – ein, zwei Tage lang sterbend – an den römischen Kreuzen.
Die Römer ließen einmal tausend Kreuze auf einen Schlag aufstellen.
Ein Exempel wurde statuiert. Macht demonstriert.
Nur keine Schwäche zeigen!
Manche hingen sehr lange.
Bei Jesus waren es wenige Stunden. Vielleicht war er schon so geschwächt.
Die Qual war dennoch unendlich groß. Und jetzt ist er tot.
Mit einem unartikulierten Schrei gestorben.
Seine Verwandten sprechen beim römischen Statthalter vor und bitten, ihn noch vor dem Fest beisetzen zu dürfen.
Man legt ihn in das Grab eines Reichen aus der Anhängerschaft Jesu.
So wie man seit jeher die Toten bestattete in Familiengruften, einen zum anderen. Bis dann nur noch die Knochen übrig waren in der trockenen, heißen Luft. So machte einer dem nächsten Platz.
So wurden sie alle „versammelt zu ihren Vätern“, wie es im Alten Testament heißt.
Jesus liegt nicht in der Familiengruft, wenn es überhaupt in Nazareth eine gab. Er liegt im Grab eines Fremden in Jerusalem.
Der Stein, der vor Tieren schützt und die Totenruhe wahrt, wird davor aufgerichtet.
Die Trauernden gehen. Wenige Freunde, die Frauen, die Mutter, Maria aus Magdala, Josef von Arimathäa, eine weitere Maria.
Sie gehen weg vom Grab, weg von der Gruft.
Heute bleibt das Grab unbewacht.
Morgen schon wird man Wächter davorstellen. Man will dem Wunder vorbeugen und damit jede Legendenbildung vermeiden.
Märtyrergeschichten haben eine eigene Dynamik und Rom greift rigoros durch.
Die wenigen gehen weg vom Grab. Verlassen den Friedhof, der vor der Stadtmauer liegt.
Gehen zurück in die Stadt, die sich auf das Passahfest vorbereitet.
Laut und fröhlich ist es dort. Die Händler machen ihre Geschäfte, viele Touristen sind in der Stadt, die Pensionen sind brechend voll, Jerusalem platzt aus allen Nähten. Das Geschäft blüht.
Wie ist das?
Wenn man das erste Mal vom Friedhof geht, auf dem nun ein lieber Mensch ruht?
Wie ist das, wenn jenseits der Friedhofsruhe das Leben dich wieder voll erwischt mit seinem Lärm und seiner gnadenlosen Oberflächlichkeit?
Vor Jahren erzählte mir eine Mutter, wie es ihr ging, nachdem die Ärzte alle Apparate, die ihr 18 Monate altes Kind scheinbar am Leben erhielten, mit ihrer Zustimmung schließlich abgeschaltet hatten.
Das Leben war augenblicklich erloschen.
„Irgendwann, wir hatten kein Zeitgefühl mehr, verließen wir das Zimmer, betäubt, wie im Nebel …, gingen die vielen Treppenstufen hinunter zum Ausgang. Wir fühlten uns unendlich alt, schwer, kaputt, leer, völlig ausgepumpt. Direkt vor der Ausgangstür ist ein kleiner Park mit einem See, Parkbänke drum herum. Wir setzten uns auf eine Bank, sodass wir das Fenster von Martins Zimmer sehen konnten. In unserem Kopf war nur der Gedanke: Nun ist unser kleiner Sohn gestorben, unser Liebstes war nicht mehr da, unser ganzes Glück.
Es war ein strahlend sonniger Tag mit blauem Himmel, wolkenlos – so strahlend, wie unser Martin es gewesen war. Mir kam es grotesk vor, dass die Leute alle ganz normal an uns vorbeiliefen, als ob nichts geschehen wäre. Ich hatte das Gefühl, man muss die Erde anhalten, alles muss zusammenbrechen – unser Kind ist doch gerade gestorben …“
Jesu Mutter, diese einfache Frau aus Nazareth. Hat sie es auch so erlebt?
Welchen Weg gehe ich, wenn ich weggehe vom Friedhof?
Mit Erinnerungen, die schön sind und doch wehtun?
Wohin führt mich der Weg draußen? Zurück in den Alltag derer, die von meinem Schmerz nichts wissen? Zurück in meinen Alltag?
Oder brauche ich Ruhe, weil ich fühle, dass für mich die Zeit irgendwie auch zum Stillstand gekommen ist?
Der Karfreitag erzählt, dass alle Rechnungen durchkreuzt wurden.
Rom konnte noch so viele Wachen vor das Grab stellen.
Die nächsten Freunde konnten davonlaufen in alle vier Winde.
Die Händler konnten am Abend des Karfreitags Kasse machen.
Jesus Christus siegt.
Ich drehe mich um am Friedhofstor und erinnere mich, dass Jesus später zu den Frauen sagen wird: Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten?
Und so gehe ich, setze einen Fuß vor den anderen und denke:
Am Ende der Zeiten, dann wird Jesus Christus gesiegt haben.
Dann ist Leben.
Und wir sind eins – in Gott, der uns sagt:
Geh aus dem Dunkel ins Licht. Das ist dein Weg!
Du hast im Rücken diese schlichte Wahrheit: „Jesus Christus siegt.“
Das ist die Tür zum Leben. Das weitet den Blick.
Dein Weg ist verheißungsvoll und du musst nicht zögern.
Du kannst gehen und musst nicht nach hinten schauen.
Du musst dich nicht absichern.
Du musst keine Wachen vor die Abgründe deiner Seele stellen.
Du mußt die Vergangenheit nicht begraben und die Zukunft nicht fürchten.
Jesus Christus siegt.
So steht es in deinem Rücken.
Trauer heilt. Leben heilt.
Und – lass es dir vom Gekreuzigten und Auferstandenen sagen – dass Gott auch den Tod heilt.