Wir brauchen Trauerorte Thomas Klie kämpft für einen Erhalt der Friedhofs- und Erinnerungskultur

Von Tilman Baier

Thomas Klie: Friedhöfe verändern durch neue Bestattungsformen ihr Gesicht.

Foto: Uni Rostock/Julia Tetzke

20.11.2016 · Schwerin. Seit Jahren ist die Friedhofs- und Bestattungskultur in einem rasanten Wandel begriffen: Besonders in den Großstädten verfügen immer mehr Menschen, nach ihrem Tod anonym bestattet zu werden. Doch auch die großen ungenutzten Flächen für Erdbestattungen auf den Dorffriedhöfen künden von diesem Wandel. Nun häufen sich auch Vorstöße, den Friedhofszwang ganz aufzuheben. Doch es gibt gute Gründe, davor zu warnen.

„Die Urne gehört nicht in den Bücherschrank.“ Thomas Klie, Professor für Praktische Theologie an der Universität in Rostock, gebraucht plastisch-drastische Worte, wenn er für den Erhalt der traditionsreichen Friedhofs- und damit auch der Erinnerungskultur eintritt – so wie kürzlich auf einer Veranstaltung der Kirchenzeitung und der Bibelgesellschaft MV in Schwerin oder bei der hochkarätigen Tagung „Funerale6“ an der Rostocker Universität Anfang November zum Thema „Friedhofspflicht/Friedhofsflucht“.

Es ist nicht so, dass Klie den Wandel im Umgang mit dem Tod in der heutigen Zeit verdammt. Immerhin gilt der Professor als Experte für die Erforschung dieser Umbrüche. So hat er für einiges Aufsehen gesorgt als er vorschlug, die Rostocker Universitätskirche wie im Mittelalter für zu Lebzeiten verdiente oder gut betuchte Rostocker als Begräbnisort zu öffnen – in einem Kolumbarium, einer Gedenkwand mit Nischen für die Urnen.

Kritisch sieht er allerdings die Bestrebungen, dass recht strenge deutsche Bestattungs- und Friedhofsrecht aufzugeben. Nordrhein-Westfalen und der Stadtstaat Bremen haben es bereits aufgeweicht, und auch in Mecklenburg-Vorpommern gab es schon Vorstöße von den Linken im Landtag, hier liberaler zu verfahren, die allerdings erst einmal abgewiesen wurden. Eine Urne im Bücherschrank wird es also in MV zunächst nicht geben. „Gut so“, meint Thomas Klie. „Stellen Sie sich bitte vor, was damit geschieht, wenn irgendwann die Erben nichts mehr mit der Urne anfangen können und sie entsorgen.“

"Trauer braucht einen Ort“

Doch dem Professor geht es nicht nur um einen pietätvollen Umgang mit sterblichen Überresten. Ihm ist es auch wichtig, dass sich die Gräber an öffentlich zugänglichen Orten befinden. Ein Grab im privaten Garten, selbst bei Einhalt der Hygenievorschriften, lehnt er darum ab. Denn sonst könnte es geschehen, dass Menschen, die trauern, aber nicht zu den direkten Angehörigen gehören, keinen Zutritt zum Grab haben. Doch „Trauer braucht einen Ort“ ist eine seiner ständigen Mahnungen.

Zudem ist Klie davon überzeugt, dass die meisten der Verfügungen, anonym bestattet zu werden, aus einer falschen Rücksichtnahme gegenüber den Nachfahren geschieht, denen man nicht die Last der Grabpflege aufbürden möchte. Doch selbst wenn keine Angehörigen mehr da oder in der Nähe sind, gibt es Alternativen zur anonymen Bestattung. So haben bereits etliche Friedhöfe Urnengemeinschaftsgräber angelegt, bei denen eine kleine Platte im Rasen, den der Friedhofsgärtner pflegt, anzeigt, wessen Asche darunterliegt. Auch in den derzeit in Mode kommenden Friedwäldern zeigen kleine Tafeln am Baum an, wessen Überreste zwischen den Wurzeln ruhen. Doch schon bei Seebestattungen, bei denen es vorgeschrieben ist, die Koordinaten der Urnenversenkung zu vermerken, fehlt dann ein jederzeit aufsuchbarer Ort für die Trauer, ebenso bei der Rostocker Aschestreuwiese.

Um die Friedhofs- und Trauerkultur auch in einem sich wandelnden kulturellen Umfeld zu erhalten, empfiehlt Thomas Klie den Trägern der Friedhöfe, in ihren Ordnungen mehr Freiräume zur Gestaltung der Gräber zu geben – ebenso den Pastoren, bei den Trauerfeiern mehr auf die Wünsche der Angehörigen einzugehen.

Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 47/2016