Debatte um Rechtfertigungslehre von Luther Kirchenhistoriker: EKD-Papier erinnert an "Geschichtspolitik der DDR"

27.07.2014 · Berlin.

Der Göttinger Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann hat das Papier "Rechtfertigung und Freiheit" der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) erneut scharf angegriffen. Mit dem Text habe sich die EKD "handstreichartig zur zentralen historisch-theologischen Deutungsagentur des Protestantismus gemausert", schreibt er in einem Beitrag für die evangelische Monatszeitschrift "zeitzeichen" (August). Vergleichbares sei ihm bisher vor allem aus der Geschichtspolitik der DDR bekannt gewesen.

Das 112-seitige Dokument war von einer EKD-Kommission erarbeitet worden. Es beleuchtet mit Blick auf das Reformationsjubiläum 2017 die Grundlagen der Theologie von Martin Luther (1483-1546), in deren Zentrum die Rechtfertigungslehre steht. Dabei geht es um die Frage, wie der Mensch Gnade vor Gott findet. Nach evangelischer Auffassung ist der Mensch unabhängig von eigenen guten Werken ganz auf die rettende Gnade Gottes angewiesen.

Der EKD-Text dokumentiere den "definitiven Sieg der dogmatischen über die historische Methode in der Interpretation der Reformation", schreibt Kaufmann. Die Autoren arbeiteten mit unklaren Begriffen. Die Reformation werde als Phänomen der Gegenwart und Zukunft beansprucht und zugleich "exklusiv religiös definiert". Der Kirchenhistoriker sieht eine "Instrumentalisierung der Reformation zugunsten bestimmter kirchenpolitischer Ziele".

Nach Einschätzung Kaufmanns überzeichnet der Text die Bedeutung der Rechtfertigungslehre für die Entwicklung der Reformation und macht sich das System der sogenannten Exklusivpartikel ("solus") zu eigen, das aus der Dogmatik des 19. Jahrhunderts stamme. Kaufmann kritisiert, das EKD-Papier blende die sozialen Bedingungen, kommunikativen Interaktionen und politischen Interessen der Reformatoren vollständig aus. Damit erreichten die Autoren "die von ihnen beabsichtigte Gegenwartsbedeutung der Reformation um den Preis ihrer Geschichtslosigkeit".

Das im Mai veröffentlichte Dokument hatte eine teils heftige Debatte ausgelöst. Zahlreiche Fachleute stellten sich hinter das Papier, so der bayerische Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm, der Tübinger Kirchenhistoriker Volker Leppin und dessen Heidelberger Fachkollege Christoph Strohm. Strohm nannte den Vorwurf, die EKD vertrete eine "Lutherideologie", undiskutabel und herabsetzend. Aufgabe des Textes sei eine innerprotestantische Verständigung über die Frage gewesen, welche Gegenwartsbedeutung die reformatorische Theologie haben könne.

Quelle: epd