Die Kirchencomics von Glewitz Jahrhundertealte Malereien in einer Kirche nahe Grimmen entdeckt

Sybille Marx

Die Legende der Märtyrerin Margarethe wird in 31 Szenen an den Wänden der Glewitzer Kirche erzählt. Im Mittelalter war sie so bekannt, dass die Betrachter die Bilder ohne Erklärungen verstanden.

Rolf Kneißl

08.08.2015 · Glewitz. Jeden Sommer feiert die Glewitzer Gemeinde das Margarethenfest und erinnert daran, wie Restauratoren 1995 in ihrer Kirche auf eine Heiligenlegende stießen. Der Fund wurde zum Segen für das ganze Gebäude.

Eigentlich ging es nur um die Fenster, als vor 20 Jahren ein Restaurator die Dorfkirche Glewitz bei Grimmen betrat. „Das Gebäude hatte damals ein feuchtes, muffi ges Klima“, erzählt Rolf Kneißl, seit 23 Jahren Pastor in der Gemeinde. Trist und dunkel wie ein Keller habe der Raum gewirkt, zwei der Fenster waren mit Lehm verschlossen. „Die wollten wir öff nen.“ Aber vorher sollte ein Fachmann noch prüfen, ob unter der graugrünen Wandfarbe alte Malereien schlummerten, die es zu retten gälte.

Das Ergebnis verblüffte. „Ein paar Jahre vorher hieß es noch, in der Kirche gebe es sowas nicht“, erzählt Rolf Kneißl. Diesmal wurde Restaurator Reinhard Labs aus Stralsund fündig. An einem Probestück unter den Fenstern brachte er mittelalterliche Bilder zum Vorschein, skizzenhaft gemalt, hier ein Pferderücken, da ein Gesicht... Labs legte weitere Probefl ächen frei, immer auf Höhe der Fensterunterkante. Diese Bilder, die er entdeckte, schienen eine Geschichte zu erzählen, fast wie ein Comic. „Wir wussten nur nicht, welche Geschichte“, sagt Kneißl. Dann habe sich der Greifswalder Kunst- und Kirchenhistoriker Professor Hans Georg Tümmel alles angesehen und erklärt: „Das ist die Legende von der heiligen Margarethe.“ (Siehe unten) Wie sich in den nächsten Jahren bestätigte, hatte der Theologe Recht.

Bis heute feiert die Gemeinde Glewitz jeden Sommer diese Entdeckung; gerade wieder gab es am 20. Juli, dem Tag der Heiligen Margarethe, ein Fest mit rund 100 Besuchern. „Dass unsere Kirche heute in einem relativ guten Zustand ist, haben wir ja den Wandmalereien zu verdanken“, erklärt Kneißl. Lange Zeit habe man vorher vergeblich versucht, Fördermittel zu bekommen, um die feuchten Mauern des rund 700 Jahre alten Gotteshauses trocken zu legen, das Dach zu reparieren. Doch erst, als Experten sicher waren, dass unter dem Putz reiche mittelalterliche Malereien lägen, öff neten sich Fördertöpfe, allen voran der Leader-II-Topf der EU. „Das waren circa 250 000 DM, die wir bekamen“, erzählt der Pastor. Und die Deutsche Stift ung Denkmalschutz gebe bis heute Fördermittel.

„Acht Farbschichten lagen drüber“


Nicht alle in der Gemeinde erkannten gleich den Wert des Fundes. „Viele hätten den Raum am liebsten weiß getüncht“, erinnert sich Kneißl. Stattdessen legten Restauratoren nun über fünf Jahre Zentimeter um Zentimeter der über 600 Jahre alten Malereien frei. „Da lagen teilweise acht Farbschichten drüber“, erzählt Kneißl. „Aber wir hatten das Glück, dass nichts Bildliches etwa aus dem Barock oder der Renaissancezeit dabei war.“ Sonst hätte die Gemeinde wohl mit dem Denkmalschutz beschließen müssen, die jüngeren Malereien freizulegen, die mittelalterlichen verborgen zu lassen.

„Heute gilt Glewitz als schöne Kirche“

Heute finden Besucher in der Glewitzer Kirche an allen Wänden Malereien vor, die erkennbar aus einer Hand stammen. Kirchenführer können ihnen erzählen, dass der Maler um 1370 hier gestanden und in die feuchte und trockene Kalkschlemme hinein gemalt haben muss. Skizzenhaft e, detailreiche Bilder warf er an die Wand. „Sie erinnern vom Typ an böhmische Buchmalerei aus dem 14. Jahrhundert“, erklärt Kneißl. Aber noch etwas sei besonders: „Dass sie fast vollständig erhalten sind.“ Weil bei der Restaurierung nichts ergänzt wurde, hat man heute fast die ursprüngliche Malerei vor sich. Wie Silke Hauff im Buch „Kirchen an Trebel und Ibitz“ schreibt, gehören die Glewitzer Bilder damit zu den bedeutendsten hochmittelalterlichen Wandmalereien von MV.

Allein 31 Einzelbilder hat der Maler der heiligen Margarethe von Antiochien gewidmet. Aber auch zig andere Heilige, Legenden und biblische Geschichten hinterließ er an den Wänden, etwa die Verkündigung der Maria, die Anbetung der Könige, das Pfingstgeschehen, viele Passionszenen und die Legende von den Drei Lebenden und den Drei Toten. Im 14. Jahrhundert, vermutet Kneißl, konnten die Gläubigen alles noch lesen wie eine Bildergeschichte. „Heute braucht man Erklärungen dazu.“ Selbst die Fachleute hätten nicht immer gleich zuordnen können, wer oder was gemeint sei. Etwa bei der Erasmus-Darstellung im Chor. „Wir dachten lange, man würde einen Ziehbrunnen erkennen“, erinnert sich Rolf Kneißl. Bis wieder mal ein neuer Kunsthistoriker die Kirche betrat und schon von der Tür aus sah: „Das ist ja eine Erasmus-Darstellung.“ Der vermeintliche Brunnen war eine Seilwinde, mit der dem heiligen Erasmus die Gedärme aus dem Leib gezogen wurden.

Für moderne Ohren mögen Bilder wie diese verstörend klingen, trotzdem: „Glewitz wird heute als atmosphärisch schöne Kirche wahrgenommen“, sagt Kneißl. Wegen der vielen Bilder, aber auch, weil der Raum seit der Sanierung hell und weit wirkt, nicht mehr wie ein Keller.

Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 32/2015