„Kulturelle und religiöse Unterschiede aushalten“ Jahresempfang der beiden evangelischen Kirchen in Wismar

31.10.2010 | Wismar (cme). Rund 260 Gäste aus Politik, Wirtschaft, Kultur und den Kirchen begrüßten die Bischöfe der Pommerschen Evangelischen Kirche und der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs, Dr. Hans-Jürgen Abromeit und Dr. Andreas von Maltzahn, am gestrigen Reformationstag (31. Oktober 2010) in der St. Georgen Kirche zu Wismar. In der Andacht zum Jahresempfang fragte Landesbischof von Maltzahn, was uns in unserem Zusammenleben leitet und worauf wir unser Miteinander gründen? Er bezog sich dabei zum einen auf das Thema des Abends „Kirche und Kultur“ und zum anderen auf die aktuelle politische Debatte mit der Frage, ob es in Deutschland eine christliche Leitkultur gibt.

 

„Die unantastbare Würde jedes einzelnen Menschen ist eine Säule des Miteinanders unserer Gesellschaft“, stellte der Landesbischof heraus. Dem liege die jüdisch-christliche Überzeugung zugrunde, „dass jeder Frau und jedem Mann in gleicher Weise vor aller eigenen Leistung Lebensrecht und Ansehen in den Augen Gottes zukommen.“ In Bezug auf den Reformator Martin Luther, der in inneren und äußeren Konflikten wieder entdeckte, was Katholiken und Protestanten heute gemeinsam bekennen, sprach der Theologe von der guten Nachricht, dass wir „unser Daseinsrecht nicht erst erkämpfen“ müssen. „Unser Wert, unsere Würde hängen nicht ab von Leistung und Nützlichkeit. Darum gibt es auch kein lebensunwertes Leben. Darum dürfen Menschen auch niemals scheinbar höheren Zwecken geopfert werden. ,Die Würde des Menschen ist unantastbar.’ Er ist Ebenbild Gottes.“

 

Diese fundamentale Überzeugung ist nach den Worten von Dr. Andreas von Maltzahn ebenso biblisch gespeist wie die moderne Freiheitsidee und wie viele andere Menschenrechte es sind. Maltzahn wörtlich: „Trotzdem sind diese Ideen Menschen anderen Glaubens oder anderer Weltanschauung zugänglich. Weil sie dem Leben, dem achtsamen Miteinander dienen.“

 

Vor diesem Hintergrund sei er zurückhaltend, „von einer christlichen Leitkultur zu sprechen“, sagte der Landesbischof. Zum einen, weil dies ein Begriff sei, der bewusst oder unbewusst andere Kulturen herabsetze, zum anderen, weil er die große Bedeutung der Aufklärung für das Zusammenleben in unserem Gemeinwesen unterschlage.

 

Zugleich stellte der Landesbischof heraus, dass es trotzdem der deutschen Gesellschaft gut tut, „sich der jüdisch-christlichen Prägung ihres Grundgesetzes bewusst zu sein“. Denn die Frage nach Gott und sein Ja ohne Vorbedingung, lasse Vertrauen fassen in die Möglichkeiten, menschlich zu leben, und in die Fähigkeiten, der Verantwortung gerecht zu werden. Von Maltzahn wörtlich: „Menschen, die aus solchem Vertrauen leben, die ihrer Freiheit und Würde bewusst sind, haben die Kraft, kulturelle und religiöse Unterschiede auszuhalten und die Zukunft unserer Gesellschaft verantwortlich zu gestalten.“

 

Landesregierung würdigt Bedeutung der Kirchen

Grußworte sprachen Bürgermeister Thomas Beyer (SPD) für die Hansestadt Wismar, Weihbischof Norbert Werbs für die Katholische Kirche und Bildungsminister Henry Tesch (CDU) für die Landesregierung. Letztgenannter hob die Bedeutung der Kirchen für eine breitgefächerte Bildung und Kultur hervor. Es gebe bis heute kaum einen bekannten Maler, Bildhauer, Schriftsteller oder Komponisten, der sich nicht ernsthaft mit religiösen Themen auseinandergesetzt hat. Deshalb sei es wichtig, immer wieder über die jüdisch-christlichen Wurzeln der Gesellschaft zu reden, sie zu lehren und zu lernen. Ohne dieses religiöse Grundwissen gehe auch das Verständnis für Kunst und Kultur in ganz wesentlichen Bereichen verloren.

 

In einem Impuls zum Thema „Religion als Kult und Kultus“ stellte Theologieprofessor Thomas Klie dar, wie eng Kirche und Kultur zusammen gehören. Die St. Georgen Kirche zu Wismar ist nach seinen Worten „ein Filetstück des mecklenburgischen Kulturbetriebs. Und sie ist ein Filetstück der mecklenburgischen Kirchengeschichte – eine Geschichte, die ja bis auf den heutigen Tag fortgeschrieben wird“, so der Rostocker. Seine These: „Es gibt keine kirchliche Religion ohne Kultur.“ Religion löse sich nämlich nicht in der so genannten säkularen Kultur auf wie Nescafe im heißen Wasser. Deshalb gibt laut Thomas Klie „nicht die vermeintlich große Zahl der Religionsverweigerer oder die gelegentlich beängstigend geringe Zahl religiöser Menschen“ dabei den Ausschlag, sondern die Wahrheit, die sie repräsentieren.“ Professor Klie wörtlich: „In einer Demokratie mögen Mehrheiten maßgeblich sein – in einer Kultur jedoch sind es die Gewissheiten, die sie selbst nicht herstellen kann.“ Kultur lebe auf, wenn die christliche Religion, wenn der kirchliche Kulturbetrieb ausatmet. „Wenn aber die Religionskultur in Atemnot gebracht wird, verliert die sich von ihr emanzipierende Kultur ihre Obertöne.“