Interview "Wem gehört das Heilige Land?" - Bischof Abromeit zur Friedensfrage in Israel und Palästina

Bischof Abromeit hält Sommervorträge zur Friedensfrage in Israel und Palästina in Gemeinden

Foto: kirche-mv.de/D. Vogel

30.07.2016 · Greifswald. „Wem gehört das Heilige Land?“ Um diese brisante Frage drehen sich die Sommervorträge von Dr. Hans-Jürgen Abromeit in diesem Jahr. Im Interview erläutert der Greifswalder Bischofs die Hintergründe des Nahostkonflikts:

Anfang der 1980er Jahre waren Sie als Vikar in Jerusalem. Inwiefern haben Ihre Zeit dort und spätere Besuche Ihr Bild auf den Israel-Palästina-Konflikt verändert?

Bischof Abromeit: Ich bin nach Jerusalem gegangen mit der festen Vorstellung, dass die Juden das Volk Gottes seien und der Staat Israel gottgewollt. Als dann nach wenigen Wochen die arabischen Angestellten in unserer Kirchengemeinde von willkürlichen Häusersprengungen der israelischen Armee in ihrer Nachbarschaft sprachen, habe ich das anfangs gar nicht geglaubt. Doch umso länger ich dort lebte, umso mehr veränderte sich meine Sicht auf den Konflikt. Besonders hilfreich waren dabei für mich die Gedanken von Uri Avnery, den ich später auch kennenlernen durfte, ein aus Deutschland stammender israelischer Journalist. Dieser Friedensaktivist macht sich seit Jahrzehnten für eine Trennung von Staat und Religion stark und hat bereits Ende der 1960er Jahre eine Zwei-Staaten-Lösung gefordert.

Uri Avnery propagiert ja ein „Israel ohne Zionismus“. Sie sprechen in Ihrem Vortrag von einem „grundlegenden Missverständnis“ als Wurzel der heutigen Konflikte.

Bischof Abromeit:
Das Grundproblem der modernen jüdischen Wiederbesiedlung liegt darin, dass die dort lebenden Araber nicht als eigenständige autochthone Bevölkerung wahrgenommen wurden. Entweder sie galten lediglich als zu Hindernis bei der Landergreifung oder wurden – gerade von enthusiastischen Zionisten zu Anfang des letzten Jahrhunderts – schlicht ausgeblendet. Dabei lebten 1948, bei der Gründung Israels, dort immerhin rund 1,2 Millionen Palästinenser. Gegen diese zionistische Sicht hat übrigens auch der große Philosoph Martin Buber protestiert, der sich für einen jüdisch-arabischen Dialog einsetzte und einen binationalen Staat mit dem gleichen Recht für alle gefordert hat.

Inwiefern ist Israel das Heilige Land, und wo lauern die Gefahren solch einer Bezeichnung?

Bischof Abromeit: Die Bezeichnung Heiliges Land stammt erst aus christlicher Zeit. Im 4. Jahrhundert erwachte bei den Christen ein Interesse an den – heute würde man sagen – Originalschauplätzen der Bibel, und bis heute unternehmen Christen ja Pilgerreisen dorthin. Allerdings gibt es im Neuen Testament keine theologische Qualifizierung des Landes. Im Gegenteil: Es wird betont, dass Gott überall angebetet werden kann. Nicht das Land ist heilig, sondern die Menschen, die sich in seinen Dienst stellen. Auch nach unserem demokratischen Verständnis darf ein Staat sich nicht religiös begründen. Denn das bedeutet immer – wie wir es zugespitzt in einer Theokratie wie dem Iran sehen - dass eben nicht gleiches Recht für alle herrscht.

Meiner Meinung nach gibt es keine religiöse Begründung für einen jüdischen Staat, sehr wohl aber menschenrechtliche und politische Gründe für den Staat Israel.

Worin liegt Ihrer Meinung nach die Wurzel des Konflikts und inwiefern müssen auch die Europäer dafür Verantwortung übernehmen?

Bischof Abromeit: Der Nahostkonflikt ist zu einem erheblichen Teil Resultat kolonialen Erbes. Die von den europäischen Mächten nach dem Zerfall des osmanischen Reichs vorgenommene Grenzziehung hat die einheimischen Verhältnisse nicht berücksichtigt, sondern wurde auf dem Reißbrett vorgenommen. Die Briten als Mandatsmacht versprachen sowohl den Juden als auch den Arabern einen eigenen Staat. Wir Deutschen sind erheblich in den Konflikt verwickelt, weil wir natürlich Verantwortung für die Verfolgung und Vernichtung von Millionen Juden übernehmen müssen und weil nur durch die damalige Judenverfolgung die Einwanderung nach Palästina so groß geworden ist, dass dort ein eigener Staat entstehen konnte. Wir dürfen aber diese Verantwortung nicht zu Lasten des anderen, im gleichen Land lebenden Volkes, der Palästinenser wahrnehmen.

Welche Rolle spielen die Religionen in dem Konflikt?

Bischof Abromeit: Es gibt bei allen drei Religionen ebenso Traditionen, die zum Frieden beitragen wie Traditionen und Vorstellungen, die Konflikte verschärfen. Es kommt darauf an, die friedensfördernden Anteile der jeweiligen Religion stark zu machen. Hier gibt es auch eine Art von Solidarität unter den Friedenswilligen.  Das sind aber immer einzelne private Initiativen, leider gibt es keine größere Bewegung in dieser Hinsicht. Ich nenne als Beispiel Rabbis for Human Rights auf der jüdischen Seite und auf der palästinensischen Seite vor allem die Christen, die sich für Bildung und Frieden einsetzen.

Quelle: Bischofskanzlei Greifswald


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