10 Jahre Missionsforschung an der Uni Greifswald Mission ja – aber wie?

Wie kann Kirche im ländlichen Raum fortbestehen? Unter anderem das wird am Institut zur Erforschung von Evangelisation und Gemeindeentwicklung untersucht.

Foto: T. Baier

15.06.2014 · Greifswald.

„Was muss passieren, damit mehr Menschen das Evangelium hören?“ Für den Greifswalder Theologieprofessor Michael Herbst ist das die entscheidende Frage der evangelischen Kirche in Deutschland. Oder eher: Sie müsste es sein. Bisher beschäftige sich die Kirche in ihren Reformen leider viel zu sehr mit Finanzen, Fusionen und Streichungen, immer in dem Versuch, die bestehenden Strukturen trotz sinkender Mitgliederzahlen aufrecht zu erhalten, kritisiert der 59-Jährige. Seine Befürchtung: So drückt sich die Christenheit vor einer Auseinandersetzung mit ihrem eigentlichen Problem. „Die Kirche steckt in einer Krise“, sagt Michael Herbst. Statt kleinteiliger Reformen brauche man Visionen.

Herbst ist inzwischen deutschlandweit bekannt für solche Thesen. Zusammen mit dem Theologen Jörg Ohlemacher hatte er 2004 an der Universität Greifswald das Institut zur Erforschung von Evangelisation und Gemeindeentwicklung (IEEG) gegründet: das erste Uni-Institut in Deutschland, das systematisch Fragen von Mission und Gemeindeaufbau auslotet und unter anderem zu den Schwerpunkten Kirche im ländlichen Raum, evangelistisch predigen, Glaubenskurse und Bedeutung des Ehrenamts forscht. An diesem Wochenende wird in Greifswald das zehnjährige Bestehen gefeiert.

Zehn Jahre IEEG – eine Erfolgsgeschichte? Ja und nein. Immer wieder ist es dem Team um Professor Herbst gelungen, von der Evangelischen Kirche Deutschland (EKD), verschiedenen Landeskirchen und Stiftungen Mittel für Stellen einzuwerben. 35 Bücher zu missionarischen Themen wurden veröffentlicht, zwölf Dissertationen betreut, neun internationale Tagungen sowie sechs empirische Untersuchungen durchgeführt. Eine Studie untersuchte etwa, unter welchen Bedingungen erwachsene Menschen zum Glauben kommen. In einer anderen Arbeit sammelte der wissenschaftliche Mitarbeiter Thomas Schlegel 100 innovative Projekte aus Dorfgemeinden, die zeigen, wo und wie heute Gemeinden auf dem Land wachsen. Demnächst soll untersucht werden, wie sich Glaubenskurse langfristig auf Kirchengemeinden auswirken.

Alles Themen, die in Zeiten schwindender Kirchenzugehörigkeit wichtige Impulse geben könnten. Das tun sie auch, sagt Professor Herbst, der früher als Gemeindepastor in Westphalen arbeitete. „Uns erreichen viele positive und dankbare Rückmeldungen von Studierenden, von Pfarrerinnen und Pfarrern im aktiven Dienst und von Verantwortungsträgern in der Kirche.“ Aber natürlich – das sei ja bekannt – habe das Institut auch mit Widerständen zu kämpfen. Vor allem in der eigenen Region.

Kritik von einzelnen Gemeinden aus MV

Während aus ganz Deutschland und dem Ausland Studenten und Pastoren herpilgern, um von Herbst und seinen Mitarbeitern zu lernen, kam von einzelnen Gemeinden aus Mecklenburg- Vorpommern von Anfang an Kritik an der Arbeit. Persönliche Verletzungen sollen dahinter stecken, unter anderem das Gefühl: Hier fliegt einer von Außen ein, der uns zeigen will, wie Kirche „richtig“ geht. Die Thesen der Institutsmitarbeiter seien auch gar nicht passend für die hiesige Mentalität und Frömmigkeit, heißt es außerdem.

Pastor Matthias Jehsert aus Retzin im Süden des Pommerschen Kirchenkreises erklärt die Skepsis so: „Schwierig ist für die Gemeinden die unklare Unterscheidung zwischen ‚Mission‘ als einem Thema, das zum Selbstverständnis jeder Gemeinde gehört – und den sogenannten ‚missionarischen‘ Ansätzen oder Praktiken, die auf eine recht spezielle Auffassung von Glaube und Gemeinde hinauslaufen.“ Kurz gesagt: Mission will jeder, die Frage ist nur wie. Viele fürchteten, vom IEEG missionarisch vereinnahmt, theologisch in eine bestimmte Richtung gedrängt zu werden, sagt der pommersche Pastor. Auch persönliche Begegnungen mit Institutsmitarbeitern hätten diese Sorge nicht genommen. Dass das Thema Mission und Evangelisation EKDweit von Interesse ist und dass mit dem IEEG in Greifswald ein Forschungszweig von überregionaler Bedeutung entstand, bezweifle aber niemand, sagt Matthias Jehsert.

Derweil müssen Michael Herbst und seine Mitarbeiter um Gelder kämpfen, die den Fortbestand des Instituts sichern. Die Drittmittel reichen derzeit nur für sechs Mitarbeiter, in den Hoch- Zeiten des Instituts waren es elf. „Da will ich wieder hin“, sagt Herbst. In einer neuen Fundraising-Aktion wirbt das Institut daher um 80 Gemeinden oder Einzelförderer, die vier Jahre lang jeweils 1 000 Euro spenden.

Zu forschen gäbe es mit den Geldern wohl genug. Die Säkularisierung schreitet fort, die Gemeinschaft der Gläubigen muss reagieren. Wie könnte die Kirche der Zukunft aussehen? „Das kirchliche Leben unserer Kinder und Enkelkinder wird sich deutlich von unserem unterscheiden“, glaubt Professor Herbst. „Die Gemeinden werden kleiner, profilierter und vielfältiger sein. Es wird neue Gemeindeformen geben, die wir heute noch mit großer Vorsicht anschauen.“

Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 24/2014