Die Vision des Volker Wolter Hamburger Lehrer hat mit Schülern die Kirche Müsselmow wieder aufgebaut

Von Marion Wulf-Nixdorf

Die wieder aufgebaute Kirche in Müsselmow bei Brüel, umgeben von einem gepflegten Friedhof.

Marion Wulf-Nixdorf

16.08.2016 · Hamburg / Müsselmow. Volker Wolter in Hamburg hatte eine Vision: Die verfallene Kirche in Müsselmow in Mecklenburg sollte mit Hilfe seiner Schüler wieder nutzbar werden. Dafür engagiert er sich seit Mitte der 1990er-Jahre. Mindestens 1500 Schüler waren in den knapp 20 Jahren dabei. Am 22. Juli wurde ihm in Hamburg das Bundesverdienstkreuz am Bande für sein Lebenswerk, den Wiederaufbau der Kirche in Müsselmow und weitere Aktivitäten überreicht.

Es ist eine der besonderen Geschichten in Mecklenburg: Der Wiederaufbau der Kirche in Müsselmow. Eine Kirche, die im einst sozialistischen Dorf aus dem öffentlichen Leben ausgegrenzt wurde, in dem es die wenigen Christen nicht schafften, sie mit Leben zu füllen und zu erhalten. Der letzte Gottesdienst wurde in den 1950er-Jahren gefeiert, 1968 war die Kirche ausgeräumt worden.

Nach der friedlichen Revolution kam es zu einer ungewöhnlichen Anfrage eines Hamburger Gymnasiallehrers: Volker Wolter fragte im Oberkirchenrat in Schwerin nach, ob man ihm eine ruinöse Kirche in der Landeskirche benennen könne, die er mit seinen Schülern vom Grootmoor Gymnasium wieder aufbauen könne.

Neue Bekrönung kommt am 18. August

Ihm wurde die Kirche in Müsselmow vorgeschlagen, in der man nichts mehr falsch machen könne, so ruinös sei ihr Zustand. Aber ihm wurde auch ehrlich gesagt, dass er keine finanzielle Unterstützung erwarten könne. Wolter ließ sich nicht abschrecken.

Die Idee zu dieser ungewöhnlichen Anfrage war ihm bei einer Fahrt in die Toscana gekommen, wo er Schüler kennenlernte, die alte Gebäude restaurierten. Zufällig sah er dann den Dokumentarfilm „Dorfkirchen in Not“, in dem von 148 Kirchen in MV berichtet wurde, die nicht mehr genutzt werden konnten.

Im Advent 1996 fuhr er das erste Mal mit Frau und Schwiegermutter nach Müsselmow. Es muss ein trostloser Anblick gewesen sein: Der Efeu auf dem Kirchendach hatte einen Meter erreicht. Immerhin war 1992 dank der Hilfe der bayerischen Partnerkirche ein Traggerüst eingebaut worden, mit dem der marode Dachstuhl und das dicke Efeudach abgestützt worden waren. Der Friedhof an der Kirche war komplett zugewachsen.

So schlimm, wie es aussah: Volker Wolter hatte eine Vision: Diese Kirche solle einmal ein Jugendbegegnungszentrum werden. Im Frühjahr wurde die „Patenschaft Müsselmower Kirche e. V.“ unter Vorsitz von Volker Wolter gegründet.

Im Sommer 1997 fuhr er mit seinen Schülern zu Arbeitseinsätzen auf den Friedhof. Wildwuchs wurde beseitigt, die noch vorhandenen Grabsteine wieder aufgestellt. Die Schüler wohnten in Hütten, die Schüler einer Hamburger Gewerbeschule für das Projekt gebaut hatten.

Nachdem der Friedhof wieder als solcher erkennbar war, begannen sie mit den Arbeiten an der Kirche. Die mecklenburgische Landeskirche stellte Wohncontainer zur Unterbringung zur Verfügung. Wolter versuchte, so viele Informationen über die Kirche zu bekommen wie möglich. So bekam er heraus, dass die letzte Müsselmower Glocke, die den Einschmelzaktionen im Zweiten Weltkrieg entgangen war, in den 1970ern eine katholische Kirchengemeinde in Mecklenburg verkauft worden war. „Sie sollte dort in einen in Planung befindlichen Kirchturm eingebaut werden. Da dieser dann doch nicht gebaut wurde, lag die Bronzeglocke jahrelang im Pfarrgarten“, berichtet Wolter von seinen Recherchen. Der Förderverein hat dann 2001 diese in der seltenen Bienenkorbform gestaltete Bronzeglocke zurückgekauft. Der LIONS-Club Hamburg-Walddörfer hat sie aufwändig restaurieren lassen und so kam die Glocke 2002 an ihren Platz im Läutewerk zurück.

Bundesverdienstkreuz für Volker Wolter

Volker Wolter erweiterte den Kreis der Schüler aus seinen Leistungsklassen. Er begeisterte auch andere Fachlehrer. Zeitweise konnte er weitere Gymnasien mit einbeziehen wie das in Crivitz und aus der Nähe von Riga. Hinzu kamen Schüler und Lehrer der Hamburger Gewerbeschule 8.

Eine Berufsschule, an der Zimmerer ausgebildet wurden, konnte er für den Bau des Dachstuhls gewinnen , für die Finanzierung von Holz und Dachsteinen fand Wolter Sponsoren. Dazu kamen in jedem Jahr neu Fragen der Versorgung, Versicherung, des Transportes und Termine zu klären.

Es seien viele Kompromisse zu verhandeln gewesen, zum Beispiel hatte das Landesamt für Denkmalpflege in Schwerin trotz der abgängigen Holzkonstruktion des Dachstuhls eine Sanierung gefordert. Die Berufsausbildung erlaubte aber nur einen Neubau. Man einigte sich: Es war alles so kaputt, dass es zu einem Neubau kam.

Am Tag der Deutschen Einheit 1999 konnte nach Abschluss der Außenarbeiten der erste Gottesdienst nach mehr als 40 Jahren in der Kirche gefeiert werden. Die Schüler und einige Eltern kamen mit Bussen aus Hamburg
Eine eigene Hymne, komponiert von Musikschülern des Gymnasiums Grootmoor, wurde aufgeführt.

2002 erfolgte der Aufbau der bereits 1982 abgetragenen Sakristei für die spätere Nutzung als Teeküche, Heizraum und Toilette. Ab 2003 fand Wolter für mehrere Jahre Unterstützung von angehenden Restauratoren aus Hildesheim. Zeitweise standen bis zu 30 Studenten auf den Gerüsten, um die noch vorhandenen Wandmalereien zu sichern. Ab 2007 schaffte Wolter mit Unterstützung von Klaus-Peter Gauer, damals Baubeauftragter für den Kirchenkreis Wismar, Kontakte zum Ausbildungszweig Glaser an der Berufsschule Lübeck-Travemünde zu knüpfen, die die Fenster fertigten. Mit den Leistungsklassen Kunst seines Gymnasiums erarbeitete er Entwürfe für die Gestaltung der Fenster zum Thema „Vom Chaos zum Kosmos“ Der ausgewählte Entwurf wurde von den Berufsschülern umgesetzt.

Beim Innenausbau kamen internationale Schülergruppen den Gymnasiasten und Berufsvorbereitungsschülern zur Hilfe. In den Fußboden wurde eine Tragschicht mit Felsen und Lehm eingebracht, der Lehmfußboden gestampft, Steine und Platten verlegt, die Gruft saniert. Auf das Dach kam eine Solaranlage. Die Solarzellen wurden gesponsert.

Der Turm ist außen saniert, am 18. August um 12 Uhr bekommt er seine neue Bekrönung. Zurzeit geht es um die Planung der Altarrestaurierung.

Volker Wolter, inzwischen Schulleiter am Gymnasium Rahlstedt, ließ sich nie entmutigen, „für uns beispielhaft und ein Vorbild“, sagte Kirchenbaurat Karl-Heinz Schwarz aus Schwerin im Hamburger Rathaus vor drei Wochen bei der Verleihung des Bundesverdienstordens.

Ties Rabe, Senator für Schule und Berufsbildung in Hamburg, fügte hinzu
Wolter habe unzähligen Schülern zu abenteuerlichen Sommern verholfen, ihnen sinnvolle Tätigkeit geboten, ihnen Selbständigkeit und jede Menge Selbstwertgefühl gegeben.

Gottesdienste finden nur anlassbezogen in Müsselmow, zugehörig zur Kirchengemeinde Brüel, statt. Den Kirchenschlüssel kann man in der Gaststätte gegenüber ausleihen.


Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 33/2016