Der Kampf der Konfessionen Religion und Politik bei Konflikten zwischen Sunniten und Schiiten eng verwoben

Von Wiebke Rannenberg

Die Macht der Ajatollahs: Im schiitischen Iran hängt in jeder geistlichen Schule und an vielen Plätzen das Bild von Chomeni als Vorbild.

Foto: Tilman Baier

17.01.2016 · Frankfurt a.M. Sunniten und Schiiten liefern sich im Nahen Osten erbitterte Kämpfe. Manches erinnert an den Dreißigjährigen Krieg in Europa. Auch damals ging es nur bedingt um das Ringen der Konfessionen, sondern auch um die Vorherrschaft von Staaten.

Die heutigen Konflikte zwischen Sunniten und Schiiten haben nach Ansicht vieler Experten nichts mit religiösen Fragen zu tun, sondern mit politischen. So sagte der Politikwissenschaftler und Friedensforscher Jochen Hippler vom Institut für Entwicklung und Frieden der Universität Duisburg-Essen am Montag im Deutschlandradio Kultur, der Konflikt zwischen Saudi- Arabien und dem Iran habe einen politischen Kern: die Vormachtstellung am Persischen Golf. Die Religion werde von den Regierungen vor allem als „Spielball“ eingesetzt.

Die Journalistin und Islamwissenschaftlerin Katajun Amirpur hat in ihrem Buch „Der schiitische Islam“ unter anderem die Rolle der Religion im Konflikt zwischen Saudi-Arabien und dem Iran untersucht. Sie sieht schon vor 1300 Jahren eher politische Gründe: Entstanden sei die Konfession der Schia durch einen Konflikt „dessen Ursprung eher politisch denn religiös ist“, schreibt Amirpur. Dennoch sei es in den aktuellen politischen Konflikten „schwer zu sagen und auseinanderzuhalten, was wen beeinflusst und ausmacht beziehungsweise was das Ausschlaggebende ist: Politik oder Religion“.

Die Spaltung im Islam zwischen der großen Mehrheit der Sunniten und der Minderheit der Schiiten geht auf die Diskussion über die legitime Nachfolge des Propheten Mohammed nach dessen Tod im siebten Jahrhundert zurück. Die späteren Sunniten waren der Ansicht, Mohammed habe keinen Nachfolger benannt und wollten diesen wählen. Ihr Name leitet sich von „Sunna“ (arabisch für „Brauch“) ab.

Die späteren Schiiten hingegen forderten, der neue Kalif oder Imam müsse aus der Familie des Propheten stammen. Ihrer Ansicht nach hatte der Prophet das ebenso gesehen und seinen Vetter und Schwiegersohn Ali benannt. Aus ihrem Namen „Schiat Ali“, Partei Alis, entwickelte sich die Bezeichnung Schiiten.

Streitfrage um legitime Propheten-Nachfolge

In dieser ersten Auseinandersetzung gewannen die Sunniten, sie wählten Abu Bakr, Schwiegervater von Mohammed, zum ersten Kalifen. Heute wird der Anteil der Sunniten unter den weltweit rund 1,6 Milliarden Muslimen auf 85 bis 90 Prozent geschätzt. Es gibt aber einige Ländern, in denen die Schiiten in der Mehrheit sind, dazu gehören der Iran und der Irak.

Die Islamwissenschaftlerin Najla Al-Amin vom Institut für Islamische Theologie an der Universität Osnabrück spricht von Konfessionen: Im Glauben und in der religiösen Praxis seien sich Sunniten und Schiiten heutzutage „zu etwa 95 Prozent gleich“, sagt sie. Ein Unterschied sei die Stellung und Bedeutung des Propheten Mohammeds und seiner Nachkommen, der zwölf Imame.

Im Laufe der Jahrhunderte entstanden in den islamischen Konfessionen Sondergemeinschaften. Dazu gehört bei den Sunniten der Wahabismus, Staatsreligion in Saudi-Arabien. Die Wahabiten betrachten die Schiiten als Ungläubige, sehen aber auch die Sunniten als Abweichler. Auch der Salafismus, dem die Terrororganisation „Islamischer Staat“ anhängt, ist aus sunnitischen Ansichten hervorgegangen.

Das sei aber eine „rein religionsgeschichtliche Betrachtung“, betont Al-Amin. Die extremem Formen des Islam, der Wahabismus und der Salafismus, seien „keine sunnitische Lehre“. In Deutschland gibt es nach der Einschätzung von Al-Amin keine Konflikte zwischen der sunnitischen Mehrheit und der schiitischen Minderheit. Sie lebten eher nebeneinander her, sagt die Islamwissenschaftlerin und fordert einen „stärkeren innermuslimischen Dialog“.

Quelle: epd