Eine Richtigstellung von Gert Haendler, Theologieprofessor im Ruhestand Joachim Gaucks Examen 1965 war rechtens

Von Gert Haendler

Bundespräsident Joachim Gauck

© kirche-mv.de/D. Vogel

02.02.2014 · Bad Doberan. Wir veröffentlichen normalerweise keine Bücherverrisse, sondern nutzen den Platz lieber für Empfehlungen. Doch zu dem neuen Buch „Joachim Gauck – Der richtige Mann“ von Klaus Blessing und Manfred Manteuffel hat sich der Kirchengeschichtler Gert Haendler mit einer Richtigstellung zu Wort gemeldet:

An Manfred Manteuffel, den Referenten für Kirchenfragen beim Rat der Stadt Rostock 1984-90, dürften die älteren Pastoren in Rostock mit gemischten Gefühlen denken: Pastor i.R. Arvid Schnauer hat Stasi- Berichte, in denen Manteuffel als „IM Scheler“ ihn belastete. Jetzt möchte Manteuffel den damaligen Pastor und heutigen Bundespräsidenten Joachim Gauck schlecht machen. Manteuffel nennt Gaucks Vater, der 1951 „abgeholt“ wurde und erst 1955 aus Sibirien wieder nach Hause kam, einen rechtskräftig verurteilten Verbrecher.

Näheres verspricht er unter der Überschrift „Die Wahrheit aus russischen Archiven“. Er muss freilich zugeben, dass er aus russischen Archiven keine Auskunft bekommen hat. Ältere Zeitgenossen wissen um die Willkür der damaligen Urteile, für die sich russische Gerichte nach 1990 in vielen Fällen entschuldigt haben. Manteuffel zitiert Sekundärliteratur und spricht von einer „verbrecherischen Verbindung“, die das Urteil gegen Vater Gauck rechtfertigten. Nach dieser Behauptung wollte ich das Buch beiseite legen, weil mich dieses Gemisch von Dokumenten, Fehldeutungen und Lügen anwiderte.

Lügen von Stasi-Zuträgern

Aber an einer Stelle fühle ich mich persönlich betroffen: Es geht um Gaucks Examen 1965 an der Theologischen Fakultät Rostock. Der damalige Assistent Wendelborn behauptet, Gauck habe sein Examen nur geschafft, weil wir nachträglich eine Studienarbeit als Examensarbeit anerkannt hätten. Wendelborn sagt dazu: „Das ist mir in den 30 Jahren meiner wissenschaftlichen Tätigkeit auch nur dieses einzige Mal passiert.“ Die Darstellung ist falsch. Die Prüfungskommission der Fakultät legte im Herbst 1964 fest, dass ich Herrn Gauck ein Examensthema geben sollte und ich habe das getan. Der Ablieferungstermin wurde dann zwei Mal verlängert. Vom 3. Februar 1965 ist mein Votum datiert, ein Durchschlag befindet sich in meinen Akten. Es ging bestimmt nicht um eine frühere Arbeit: Grundlage des Themas war eine gerade neu erschienene Edition einer mittelalterlichen Chronik. Manteuffel stellt seinen Zuträger vor: „Der heute emeritierte Professor Gert Wendelborn“. Auch das stimmt nicht. 1992 wurde Herr Wendelborn entlassen wegen umfangreicher Stasitätigkeit, die er bis zuletzt abgestritten hatte. Er hat auch uns Kollegen der Fakultät noch im Juni 1991 angelogen.

Ich habe ihm damals geglaubt und mich geschämt über mein jahrelanges Misstrauen. Dann kam die Wahrheit ans Licht. Wendelborn beschrieb 1997 die Wende: „1990 war ich wirklich noch Theologieprofessor. Schon seit April 1992 bin ich es nicht mehr, durfte nur den Titel behalten, und auch das stand in Mecklenburg-Vorpommern kurze Zeit zur Diskussion.“ Er sprach von einer „Stasi-Hysterie“. Die Akten liegen vor, ich habe seine handschriftliche Stasi-Verpflichtungserklärung vom 12.08.1959 gesehen. 30 Jahre lang traf er sich als „IM Heinz Graf“ in jedem Monat mit einem Stasi-Offizier, der darüber Protokoll schrieb. Von einer Emeritierung kann keine Rede sein.

Gauck selbst nennt offen die Probleme des Jahres 1965 in seinem Buch „Winter im Sommer, Frühling im Herbst“: Das Examen türmte sich „wie eine unüberwindliche Barriere vor mir auf. Tatsächlich schaffte ich den Abschluss erst mit Mühe und nach zweimaliger Studienverlängerung“. Das ist eine ehrliche Selbstkritik eines Menschen, der freilich heute über diesen Ereignissen steht, die fast ein halbes Jahrhundert zurückliegen. Gaucks Erinnerungen unterscheiden sich deutlich von den offenkundigen Lügen, die seine alten Rostocker Gegner, die Stasimitarbeiter „Scheler“ (Manteuffel) und „Heinz Graf“ (Wendelborn) noch heute (bzw. heute wieder!) über ihn verbreiten wollen.

Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 05/2014