Gedenken an die ersten Deportationen jüdischer Deutscher Vor 75 Jahren wurden über 1000 jüdische Pommern abtransportiert

Von Pastor Irmfried Garbe

Stolperstein für die Greifswalderin Elise Rosenberg, die am 12. Februar 1940 aus der heutigen Löfflerstraße deportiert wurde.

Foto: M. Tuve

11.02.2015 · Greifswald. Bei klirrender Kälte mussten die Betroffenen im Februar 1940 ihre Wohnungen verlassen, Hab, Gut und Heimat aufgeben. Darunter auch fünf Greifswalder. Gestapo-Beamte ließen sie ins hunderte Kilometer entfernte Lublin karren. Die ersten Reisenden starben schon im Zug.

In der zweiten Februarwoche 1940 herrschten Tiefkühltemperaturen in Pommern. In den Abendstunden des 12.2. startete im Regierungsbezirk Stettin die reichsweit erste Deportation von jüdischen Deutschen. Nach genau vorgegebenem Zeitplan wurden die Betroffenen überfallartig von zwei bis drei Geheimpolizei-Beamten aufgesucht. Sie verlasen ein von der Gestapo-Leitstelle Stettin ausgestelltes Schreiben. Darin heißt es: „Es wird Ihnen hiermit eröffnet, dass Sie innerhalb von 7 Stunden Ihre Wohnung zu verlassen haben.“ Sämtliche Schlüssel, auch die der Schränke und Schubfächer, waren den Beamten kenntlich zu machen bzw. auszuhändigen.

Für den Transport durfte nur Handgepäck vorbereitet werden. Zur Bekleidung hieß es unheilvoll: „es können auch zwei Mäntel und doppelte Unterwäsche angezogen werden“. Strikt untersagt wurde die Mitnahme von Geld, Wertpapieren, Devisen, Sparkassenbüchern und Wertsachen aller Art, ausgenommen war nur der Ehering. In den verbleibenden Stunden war die Vermögenssituation auf den Pfennig genau aufzulisten. Als Identifikationsmittel sollten Ausweis oder Kennkarte eingesteckt werden. „Außerdem haben Sie sich selbst ein Schild um den Hals zu hängen, auf dem Ihr Name und Geburtstag angegeben sind.“ Das Schreiben endete mit einer Drohung: „Allen Anordnungen derjenigen, die Ihnen diese Verfügung bekanntgeben, haben Sie unbedingt und ohne Widerspruch Folge zu leisten und jede geforderte Auskunft zu erteilen, andernfalls können Sie mit schwersten Strafen belegt werden.“

Laut einer im Deportationsgebiet Lublin angelegten Liste wurden 1124 Deutsche aus der Provinz Pommern von dieser Aktion betroffen. Darunter waren auch vier Schwangere, die ihre Kinder erst am Deportationsort entbanden. Die meisten Betroffenen standen jedoch in höherem Alter. Es gab aber auch ganze Familien wie die Saulmanns mit drei schulpflichtigen Kindern aus Heringsdorf. Aus Greifswald waren fünf ältere Personen betroffen: Else Burchard aus der Kuhstraße 7, Georg und Friederike Feldmann aus der Gützkower Str. 39, Elise Rosenberg aus der Langefuhrstr. 3 (heute Löfflerstr.) und schließlich die 77jährige Johanna Joel, die schon im Zug verstarb. Erfasst wurden von dieser Deportation alle transportfähigen „Juden“  („Juden“ im Sinne der NS-Gesetzgebung) des Stettiner Regierungsbezirkes, namentlich also Personen aus den Kreisen Franzburg-Barth, Stralsund, Rügen, Grimmen, Greifswald, Greifswald-Land, Usedom-Wollin, Demmin, Anklam, Ueckermünde, Greifenhagen, Pyritz, Stargard, Saatzig, Naugard und Cammin. Die meisten der Betroffenen - vier von fünf - aber waren in der Metropole Stettin gemeldet.

Die internationale Presse berichtete

Die Menschen wurden in Omnibussen zum Hauptgüterbahnhof in Stettin gebracht. Nach einer schlaflos verbrachten Nacht, entwürdigenden Kontroll-Prozeduren und der abgezwungenen Erklärung, die Unterzeichneten schlössen sich „freiwillig“ diesem Transport an, startete der Deportationszug in den Mittagsstunden des 13. Februar bei klirrendem Frost. Die Fahrt dauerte dreieinhalb Tage und vollzog sich unter unsäglichsten Bedingungen. Bereits unterwegs gab es Tote. Die internationale Presse wurde von mutigen Menschen informiert und berichtete über das Geschehen noch bevor der ca. 740 km entfernte Zielbahnhof Lublin im Generalgouvernement erreicht war. Die Deportierten wurden im Landkreis Lublin auf die drei Kleinstädte Piaski, Głusk und Bełżyce aufgeteilt. Der einheimischen jüdischen Bevölkerung wurden sie als Zwangseinquartierung aufgenötigt.

Zu denen, die von den Deportationsorten durch intensiven Briefwechsel berichteten, gehörten Max und Martha Bauchwitz aus Stettin. Max Bauchwitz versuchte als Arzt zu helfen, solange es ging. Die hinterlassenen Dokumente geben ein erschütterndes Bild von den Verhältnissen am Deportationsort. 10 % der Deportierten starben bereits im ersten Monat. Die Lebensspur der letzten endet 1942/43. Nur von höchstens 19 Personen ist das Überleben des Zweiten Weltkrieges bekannt.

Es gehört für uns in Pommern zu den Notwendigkeiten, an diese reichsweit erste Deportation zu erinnern. In Stettin werden am 13. Februar zwei Veranstaltungen mit deutsch-polnischer Beteiligung daran erinnern. Die Greifswalder Arbeitskreis Kirche und Judentum entzündet am Abend des 12. Februar Lichter an den fünf Stolpersteinen der Greifswalder Deportierten. Mögen ihre Namen nie vergessen werden!

Autor Irmfried Garbe ist promovierter Kirchengeschichtler, Pastor bei Greifswald und Mitglied im Arbeitskreis Kirche und Judentum des Pommerschen Kirchenkreises.


Veranstaltungen

Am Donnerstag (12. Februar) ist in Greifswald ein Gedenkweg vorgesehen. Er soll um 17 Uhr in der Mühlenstraße an der Gedenktafel des ehemaligen jüdischen Gebetshauses beginnen und an den Stolpersteinen der fünf namentlich bekannten Greifswalder Juden entlang führen, die zu den ersten Deportierten gehörten (Elise Rosenberg - Knopfstr., Else Burchard - Kuhstr. 7, Ehepaar Friederike und Georg Feldmann - Gützkowerstr. 39, Johanna Joel - Langen Str. 79). An jedem Stein soll eine Kerze entzündet und eine Rose abgelegt werden. Zu dem Gedenkweg lädt der Arbeitskreis Kirche und Judentum des Pommerschen Evangelischen Kirchenkreises ein.

Am Freitag (13. Februar, 11 Uhr) gibt es in Szczecin ein Gedenken an der Stelle der 1938 zerstörten jüdischen Synagoge. Daran nehmen auch die Schweriner Landtagsvizepräsidentin Beate Schlupp (CDU) und der Schweriner Energieminister Christian Pegel (SPD) teil. Nachmittags ist eine historische Konferenz in der Pommerschen Bibliothek in Szczecin geplant. Es ist das erste Mal, dass Polen und Deutsche auf heutigem polnischen Boden gemeinsam an diese Deportation erinnern.

epd/kmv