Gedenken an Rüganer Dichterpfarrer Kosegarten in Altenkirchen Häuschen für einen Hippie

Von Christine Senkbeil

Direkt vor der Kirche am Nordzipfel Rügens befindet sich das Altenkirchener Kosegartenhaus.

Foto: C. Senkbeil

13.09.2015 · Altenkirchen. Mit den Uferpredigten machte er sich einen Namen: der dichtende Pastor auf Rügen. Seit drei Jahren nun ist ihm das Kosegartenhaus gewidmet.

„Er war der Hippie unter den Romantikern“, sagt Pastor Christian Ohm aus Altenkirchen auf der Insel Rügen über seinen Amtsvorgänger von vor 200 Jahren. Ludwig Gotthard Kosegarten (1758-1818), so meint Ohm, fiel auf. Ein laxer Typ, unkonventionell gekleidet und ungewöhnlich locker, wohl auch in seiner Art zu predigen. Einfach draußen, mitten in der Natur. „Gott wohnt nicht in Tempeln“, erklärte er den einfachen Fischern, die sich dicht am Hafen zu den später berühmt gewordenen „Uferpredigten“ in Vitt einfanden. „Wir leben in ihm.“ In der Natur sei Gott zu finden, in ihrer Schönheit offenbare er sich.

Für diese Schönheit hatte Kosegarten ein ganz besonderes Auge. Für die „Abendsonnenglut“ zum Beispiel. Dieser Begriff wurde dank ihm in Grimms „Deutsches Wörterbuch“ aufgenommen. „Er ist ja praktisch der poetische Entdecker Rügens“, sagt Ohm. Denn niemand vor ihm wusste die Lichtstimmungen der Insel so zu preisen wie der Dichterpfarrer. Seit drei Jahren nun erinnert in Altenkirchen das „Kosegartenhaus“ an sein Leben und Werk.

Gemeinsam mit der Kommune hat die Kirchengemeinde das alte Feuerwehrhäuschen zur Ausstellungs- und Veranstaltungsfläche umgebaut. 116 000 Euro aus Stiftungen, Förder- und Gemeindegeldern flossen in das Projekt. Auf zirka 80 Quadratmetern kann der Besucher nun mit allen Sinnen Kosegarten und seiner Zeit näherkommen. Außerdem lädt der Garten um die angrenzende Kirche zu einem Poesie-Spaziergang ein.

Es ist eine gut durchdachte und inspirierte Exposition. Weder erschlagen endlose Texttafeln den Besucher, noch verbreiten sterile Glaskästen diese etwas verstaubte Bitte-nicht-berühren- Atmosphäre. Ein alter Dichter, seine Gedichte, seine Biografie werden aufs modernste präsentiert, könnte man sagen. Oder nicht? Pastor Ohm lächelt ein wenig verschmitzt. Denn irgendwie stecken in dieser Art der Präsentation alle Zeiten und Künste. „Wir haben uns da aus dem breiten Repertoire an Erfindungen aus der Mechanik und der Optik seit 1800 bedient“, sagt er.

Bühnenbildner Paul Zöller aus Berlin und Künstlerin Juliane Ebener stellten dabei echten Erfindungsreichtum unter Beweis. „Zu dritt haben wir diese Ideen entwickelt und schnell umgesetzt“, sagt Ohm. „Wie Kosegarten es getan hätte: ‚flugs die Feder her und raus aus dem Herzen.‘“ Caspar David Friedrichs Gemälde „Arkona bei aufgehendem Mond“ empfängt den Besucher als wandgroßes Leuchtbild. Kleine Guckkästen wie früher auf dem Jahrmarkt sind hier und da versteckt, Schiebe-Elemente und Klappen überall. Die „Zwitschermaschine“ von Paul Klee etwa wurde um 1920 der letzte Schrei: eine Mechanik, die durch Kurbeln Vogelgezwitscher imitierte.

Gedichte aus dem Kaugummi-Automaten

Ihr nachempfunden entstand im Garten nun ein „Poesieautomat“, der statt Kaugummis Romantik-Gedichte im Überraschungsei herauslässt. Auf dem Automaten steht ein dreidimensionales „Schiebebild“ Kosegartens aus scheinbar ungeordneten Drähten. Aber überraschend ergibt sich dann doch ein Gesicht. Und zwar, wenn der Betrachter es aus dem richtigen Blickwinkel zu entdecken weiß. Spannend!

In der Dauerausstellung stammen die Texte von den Greifswalder Wissenschaftlern Birte Frenssen und Dirk Alvermann. Die theologischen Beiträge sind von Ohm selbst. Auf Klappen und Drehscheiben ist alles thematisch übersichtlich angeordnet. Und der besondere Bonbon: „Die ganze Ausstellung lässt sich in einer Viertelstunde zusammenklappen und zur Seite schieben“, erläutert der Pastor. Denn der Raum befindet sich praktisch in Dauernutzung, auch von der Kommune. Die Gemeindvertreter tagen hier, der Chor probt. Vorträge, Lesungen, Diskussionen, Filmabende organisiert Ohm für die „Sommerkirche Nordrügen“. Gäste mit Namen wie Christoph Hein, Joachim Gauck, Reiner Kunze kamen dank der weitreichenden Kontakte des Pastors nach Altenkirchen. In seiner Jugendzeit gehörte er zu den Initiatoren der Friedensgebete der Berliner Gethsemanekirche. „Ich sammle aber keine Promis, sondern es geht um die Themen“, sagt Ohm entschieden. So sprach Angela Merkel im vergangenen Jahr über politisches Handeln in christlicher Verantwortung, Altbischof Huber über den Frieden. Ein Heft mit den Vorträgen von 2014 hat Ohm soeben herausgegeben.

Über 60 Veranstaltungen liefen bzw. laufen 2015 noch. Neben Altenkirchen sind in das Programm auch Kirchen und Kapellen in Wiek, Bobbin, Vitt und Dranske eingebunden. Am 25. September beispielsweise hält Historiker Dirk Alvermann um 15 Uhr in der Pfarrkirche einen Vortrag über Kosegartens Jahr 1815.

Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 37/2015