Gespräch zum 80. Geburtstag Gauck besorgt über Akzeptanz der liberalen Demokratie

24.01.2020 · Berlin.

Altbundespräsident Joachim Gauck äußert sich besorgt über die Zustimmung der Bürger zur Demokratie. Es gebe eine "fragilere Haltung" großer Bevölkerungsschichten gegenüber der Ordnung, in der sie leben, sagte Gauck dem Evangelischen Pressedienst (epd). Das gelte auch für die Akzeptanz der liberalen Demokratie.

"Viele europäische Länder sind geprägt von Erfolgen nationalpopulistischer Gruppierungen", erklärte Gauck, der am heutigen Freitag 80 Jahre alt wird. Es existiere eine Neigung, "Politik möge bitte einfacher sein". Dazu gebe es eine "Melange von Ängsten, die Leute in der aktuellen Situation geprägt von Europäisierung, Globalisierung und rasanter technologischer Innovation miteinander teilen", sagte er.

Der Erfolg von Populismus und "Retro-Politik" sei bei Vielen als Sehnsucht nach Überschaubarkeit und Beheimatung im Vertrauten zu erklären, sagte der frühere Bundespräsident. Er selbst schätze die Lage im Land als gut ein. "Das Land sollte gelegentlich in seine Geschichte schauen, sich die Höhen und Tiefen anschauen und sich dann fragen, warum es sich nicht besser fühlt", sagte er und ergänzte: "Die Deutschen neigen zu einer gewissen Verdrießlichkeit."

Gauck warnte auch davor, den Prozess der Wiedervereinigung von Ost und West vor 30 Jahren schlecht zu reden. Bei genauem Hinsehen sei zum Beispiel die Arbeit der Treuhand nicht so kritikwürdig wie von manchen dargestellt, sagte Gauck, der nach der Einheit erster Bundesbeauftragter für die Stasi-Unterlagen war.

"Das Tempo des Vereinigungsprozesses hat manches Problem gebracht", räumte er ein. Die Menschen in der DDR seien aber aus verständlichen Gründen ungeduldig gewesen und hätten schnelle Veränderungen gewollt. "Wenn man bei all dem ehrlich ist, wird man sehen, dass unter diesem Zeitdruck das meiste so entschieden wurde, wie es die Mehrheit wollte - und so, dass eine Mehrheit der Betroffenen auf lange Sicht ganz gut klargekommen ist", resümierte Gauck.

Der Altbundespräsident äußerte auch Sympathie für die jungen Klimaaktivisten. "Sie zeigen eine sehr wichtige Haltung für eine lebendige, offene Demokratie, nämlich ein Wir-sind-zuständig", sagte er. Es sei erlaubt, radikale Forderungen zu stellen. "In der Praxis muss der Klimaschutz aber zusammengebracht werden mit anderen Themen unserer Gesellschaft", ergänzte Gauck. Wer weiter in Wohlstand und sozialer Sicherheit leben wolle, werde eine starke Wirtschaft brauchen. Gerade die Volksparteien müssten diese unterschiedlichen Interessen abwägen. "Das dauert dann manchmal länger, aber ohne solche Kompromisse bleibt unsere Gesellschaft nicht zusammen", sagte er.

Quelle: epd