Friedenstagung der Nagelkreuz-Gemeinschaft auf Hiddensee Im Krieg gibt es keine Gerechtigkeit

Von Thomas Jeutner

Friedensstele vor der Kirche in Kloster auf Hiddensee. Die Gemeinde gehört zur weltweiten Gemeinschaft des Nagelkreuzes von Coventry. Paul Oestreicher, von 1985 bis 1997 Domkapitular der Kathedrale von Conventry und Leiter des dortigen Internationalen Versöhnungszentrums, kommt seit etlichen Jahren als Kurprediger auf die Insel. Er und Gemeindepastor Dr. Konrad Glöckner hatten nun zu einem Friedensseminar seine Weggefährten eingeladen.

Foto: U. Gau

12.10.2014 · Hiddensee. Eine deutlich „freundlichere Aufnahme von Flüchtlingen“ aus kriegsbedrohten Ländern hat die Nagelkreuzgemeinschaft Deutschland gefordert. Rund 40 Vertreter der kirchlichen Friedensarbeit, vor allem aus Kirchengemeinden, die dieser Gemeinschaft angehören, hatten sich am vergangenen langen Wochenende auf Hiddensee getroffen, um über das christliche Friedenszeichen in den Zeiten von IS und Boko Haram zu beraten.

Die Bomben fallen auf alle, und treffen die ganze Bevölkerung“, sagt Paul Oestreicher in die tiefe Stille hinein. Und fügt hinzu: „Im Krieg gibt es keine Gerechtigkeit.“ Die Truppen des „Islamischen Staates“ (IS) mit Waffengewalt zu stoppen werde auch Unschuldige treffen, warnt der 83-jährige Politologe und ehemalige Domkapitular der Kathedrale von Coventry in seiner Sonntagspredigt in der voll besetzten Inselkirche von Kloster auf Hiddensee. Das Ringen Abrahams mit Gott in der zur Zerstörung verurteilten Stadt Gomorra (1. Mose 18) bringt Oestreicher zusammen mit dem heutigen Ringen nach Antworten auf das militärische Vordringen der IS in Syrien und im Irak.

Zehn Unschuldige, zehn Gerechte in Gomorra hätten genügt, um die Ermordung der ganzen Bevölkerung abzuwenden. „Die weltliche Gerechtigkeit“, macht Oestreicher deutlich, unterscheide jedoch nicht. Wie die Alliierten einst Hamburg und Dresden in Schutt und Asche legten und den zehntausendfachen Tod von Alten, Frauen und Kindern einrechneten, so seien auch im aktuellen Krieg gegen die IS zivile Opfer unvermeidlich.

Wie sich die biblische Botschaft von der Feindesliebe und der jesuanische Weg der Gewaltfreiheit in heutige Politik umsetzen ließe, darum rangen rund 40 Teilnehmende einer Friedenstagung vom 2. bis 5. Oktober in Kloster auf Hiddensee. Dazu hatten Paul Oestreicher und seine Frau, Barbara Einhorn, zusammen mit Inselpastor Konrad Glöckner unter dem Motto „Herausforderungen christlicher Friedensarbeit heute“ eingeladen. Unter dem Dach der „Nagelkreuzgemeinschaft Deutschland e.V.“ waren Vertreter der Friedensarbeit aus den westlichen und östlichen Landeskirchen auf die Insel gereist. Unter ihnen Weggefährten des im englischen Seebad Brighton lebenden Ehepaares Einhorn-Oestreicher wie Elisabeth und Konrad Raiser (Berlin), Heino Falcke (Erfurt), Almuth Berger (Berlin), Maria Jepsen (Husum), Curt Stauss (Halle) und die Ehepaare Ruth und Hans Misselwitz und Gudrun und Gerhard Rein (Berlin).

Zehn Vertreter von Nagelkreuz-Zentren kamen aus Stralsund, Hamburg und Hannover, Potsdam und Berlin. Auch die Kulturreferentin aus Oestreichers Geburtsstadt Meiningen, Dana Kern, und die Schülergruppe einer 11. Klasse aus Flensburg nahmen an der Tagung teil und Mitglieder der Religiösen Gesellschaft der Freunde (Quäker).

Ohnmacht angesichts des brutalen Vorgehens der IS-Milizen im Irak und in Syrien war bei dem viertägigen Treffen in allen Gesprächsgruppen zu spüren. Die Verwicklung und Mitschuld des Westens auch in anderen Konflikten wie dem Krieg in Israel und Palästina und in der Ost-Ukraine machten einfache, holzschnittartige Antworten der Friedensbewegung unmöglich, hieß es. Etliche Teilnehmende gestanden ein, dass rein pazifistische Wege zur Friedenssicherung das derzeitige Ermorden ganzer Bevölkerungsgruppen nicht stoppen könnten.

Zugleich beklagten sie, dass interessengeleitete Wirtschaftspolitik und kommerzieller Waffenhandel mit Staaten im Nahen- und Mittleren Osten die Region erst militarisiert und destabilisiert hätten. Statt jedoch einfachen militärischen Verzweiflungs-Antworten wie dem „Ausradieren“ des IS zu vertrauen, sollte das Grundrecht auf Leben neu durchbuchstabiert werden. In jedem Krieg werde die Würde des Menschen verletzt, hieß es.

Die Mitverantwortung für das Töten in den aktuellen Konflikten fordere gerade christliche Kirchen und Gemeinden zu konkreten Versöhnungsschritten heraus, waren sich die Tagungsteilnehmer einig. „Dringend sollten wir uns mit Militärs und Vertretern der Zivilgesellschaft an einen Tisch setzen“, forderte Oestreicher. Alle Tagungsteilnehmer forderten verstärkte diplomatische Bemühungen sowie den Einsatz einer internationalen Polizeitruppe in Form von UN-Blauhelm-Einsätzen.

Nachhaltige Wege ziviler und gewaltfreier Konfliktbewältigung seien von der Bundesregierung zwar angekündigt, aber keineswegs umgesetzt worden, kritisierte die Tagung. Sichtbare Zeichen der Verbundenheit zwischen Moschee-Gemeinden, Kirchen und säkularen Orten der Zivilgesellschaft könnten etwa Runde Tische, Friedenswege und Menschenketten sein. Unabdingbar sei eine deutlich freundlichere Aufnahme von Flüchtlingen aus den kriegsbedrohten Ländern. „Wenn wir vom Tode bedrohten Menschen im Irak und Syrien schon nicht selbst beistehen können, haben wir die Pflicht, Flüchtlinge aus diesen Ländern in Deutschland aufzunehmen“, hieß es.

Ein öffentliches Kommunique, gar ein „Friedensruf von Hiddensee“ wurde nicht verabschiedet. Zu sehr stand die Ratlosigkeit in den Gesprächen im Mittelpunkt, als dass sie zu vollmundigen Erklärungen geführt hätten. Trotz allem Zweifeln über die richtigen Antworten bleibe die eine große Aufgabe bestehen, betonte Paul Oestreicher in seiner Abschlusspredigt am Sonntag: „Wir müssen Entfeindung wagen. Macht und Liebe brauchen nicht in getrennten Welten zu sein.“ Es müssten nicht Massen werden, die dafür arbeiten, betonte der Theologe. „Es reicht, wenn ein paar es machen“, fügte er im Blick auf die zehn Gerechten von Gomorra hinzu.

Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 41/2014