Flüchtlingshilfe und Fremdenangst Der Riss durch die Gesellschaft fordert auch die Kirchen heraus

Von Tilman Baier

Unscheinbar, aber wirksam: In vielen Kirchengemeinden engagieren sich Menschen für die ankommenden Flüchtlinge.

Foto: T. Baier

28.02.2016 · Schwerin. Warum tut Kirche soviel für die Flüchtlinge und wettert so viel gegen Pegida, fragen manche. Warum wettert die Kirche so wenig gegen Pegida und tut so wenig für die Flüchtlinge, fragen andere. Kirche steckt bei dem gegenwärtigen dominierenden Thema zwischen Baum und Borke.

Schon wieder Flüchtlinge auf der Seite 1 der Kirchenzeitung. Muss das sein? Auch in den kommenden Tagen werden uns wieder Anrufe wie neulich dieser erreichen: „Nun bestelle ich die Kirchenzeitung ab“, hatte da eine ältere Frauenstimme erklärt. „Schauen Sie sich doch bloß mal das Foto auf der Seite 9 in der Ausgabe 5 an, wie selbstbewusst der eine von den Flüchtlingen grinst.“ Es werden uns wieder Briefe erreichen wie dieser: „Wir sind viele Jahre Leser der Kirchenzeitung. Allerdings findet sich seit längerem zu sehr der Mainstream mit seiner Russlandhetze, den ‚Flüchtlings‘- und Genderismus- Lobliedern, und was sich die Atlantiker sonst noch ausdenken, wieder. Das alles kommt auch in den Verlautbarungen unserer Kirchenfunktionäre zum Ausdruck. Wir lassen es deshalb erst einmal.“

Die Kritik, die leitenden Kirchenfunktionäre hätten sich mit ihren wohlwollenden Erklärungen zur Flüchtlingspolitik weit von der Kirchenbasis entfernt, hören wir seit dem Herbst 2015 öfter am Redaktionstelefon. Es sind einzelne fast bösartige Stimmen dabei, doch die Mehrzahl dieser Stimmen klingen enttäuscht, alleingelassen mit ihren Ängsten. Es mehren sich diejenigen, die nicht mehr klarkommen mit den apodiktischen Erklärungen „von oben“ aus der Landeskirche oder von den Kanzeln, dass man als Christ alle Flüchtlinge mit offenen Armen zu empfangen habe, gleich welcher Religion und aus welchem Kulturkreis.

Nun gibt es viele gut biblische Gründe, als Christ Flüchtlinge ohne eine definierte Obergrenze aufzunehmen. Und es gibt etliche pragmatische Gründe, besorgt zu fragen, ob diese Gesellschaft die Integration schaffen wird, ohne aus den Fugen zu geraten.

Nötig: Gespräche über Ängste ohne Tabus

Bedenklich ist, dass zu diesen Fragen unter uns kaum eine echte Meinungsbildung stattgefunden hat. Das lag es auch an dem Druck, unter dem die Soforthilfe organisiert werden musste. So war kaum Zeit und Raum, auch über Ängste zu sprechen. Schon sagen Gemeindegliedern hinter vorgehaltener Hand: „Wir trauen uns nicht, über unsere Angst zu reden, weil wir sonst in die rechte Ecke gestellt werden.“ Hier ist Seelsorge untereinander gefragt. Denn bösartige Scharfmacher warten nur darauf, diese Ängste zu bestätigen und für ihre Ziele einzusetzen.

Doch es gibt auch Grenzen, die Kirche, also wir alle, ziehen müssen. Kein Christ ist, wer diesen Menschen, die bei uns Hilfe suchen, von vornherein die Hilfe verweigert, von Schusswaffengebrauch gegen Flüchtlinge schwafelt oder Beifall klatscht, wenn der Mob unter den Ankommenden Angst verbreitet oder mordlüstern zündelt.

Wie dringlich beides ist, das Gespräch ohne Tabus untereinander und die Abgrenzung gegenüber dem Hass auf alles Fremde, zeigt Sachsen. Dort hat es die Kirchenleitung bisher vermieden, klare Worte gegen die Pegida-Bewegung zu setzen – sind doch unter deren Anhängern etliche Kirchenglieder. Doch nun, nach den fremdenfeindlichen Exessen von Bautzen und Clausnitz, ist die Ratlosigkeit groß. Schon heißt aus der Politik: „Warum stellen sich so wenige Menschen Pegida entgegen? Wo sind die Kirchen, die Gewerkschaften, die Unternehmer und Künstler?“ Dass diese Frage ausgerechnet der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich in der aktuellen Spiegel-Ausgabe stellt, ist allerdings scheinheilig.

Es bleibt dabei: Klare Worte in die Gesellschaft hinein gegen den Fremdenhass sind ebenso nötig wie das Gespräch in den eigenen Reihen über Ängste vor dem Fremden; professionelle Hilfe für die, die kommen, ebenso wie die Pflege einer Willkommenskultur im Alltag. Das Gute ist: Dies alles geschieht in und durch die Kirche. Also durch uns.

Quelle: Mecklenburgische und Pommersche Kirchenzeitung Nr. 09/2016