Fachtag zum Umgang mit Flüchtlingen in Züssow Historiker Andreas Kossert: "Flüchtlingsschweine und Polacken schimpfte man sie“

Von Christine Senkbeil

Nach den Referaten diskutierten die Gäste des Fachtages in kleinen Gesprächsrunden.

Fotos: C. Senkbeil

22.05.2015 · Züssow. Mit den Nachwirkungen von Flucht und Vertreibung durch den Zweiten Weltkrieg auf die Flüchtlingsgeneration und ihre Nachfahren beschäftigte sich am Donnerstag (21. Mai) ein kirchlicher Fachtag in Züssow bei Greifswald. Zirka 70 Gäste kamen ins Bio-Tagungshotel Wichernhaus nach Züssow, noch mehr, als die Veranstalter erwartet hatten.

„Die große Nachfrage zeigt, wie wichtig dieses Thema ist“, sagte Jürgen Kehnscherper vom Kirchliche Dienst in der Arbeitswelt MV (KDA), der gemeinsam mit dem Regionalzentrum kirchlicher Dienste in Greifswald und der Propstei Demmin zu diesem Treffen eingeladen hatten. „Ich hoffe, dies ist ein Auftakt, für eine Reihe von weiterführenden Veranstaltungen.“ Zwei Referenten offerierten jeweils aus ihrem Blickwinkel die Erbschaften der Vergangenheit in anschaulichen Vorträgen: der Historiker Andreas Kossert aus Berlin und die Lübecker Psychotherapeutin Bettina Alberti.

„Kalte Heimat“ heißt das Buch, in dem Andreas Kossert als Autor ungeschminkt die Geschichte der deutschen Vertriebenen nach 1945 beschreibt. „Damals herrschte alles andere als eine Willkommenskultur“, betont er während seines Vortrags: „Manchmal ließ man die Hunde von der Kette. „Flüchtlingsschweine“ und „Polacken“ schimpfte man sie“. Einen kritischen Blick wirft der Historiker auf die allgemein gelobte materielle Integration der Flüchtlinge im Westen. „Viele von ihnen konnten den Heimatverlust nicht verkraften und zerbrachen regelrecht daran, seelisch und körperlich. Heimweh als Todesursache.“

Bettina Alberti verfasste das Buch "Seelische Trümmer. Die Nachkriegsgeneration im Schatten des Kriegstraumas". Ihre Schilderungen machten deutlich, wie tiefgehend auch die Generation der heute um die 50-Jährigen noch von den Erlebnissen der Eltern (also der Kriegskinder), geprägt wurde. „Unsere Eltern räumten die Häuser-Trümmer mit den Händen weg, wir, die nächste Generation, sind noch mit dem Aufräumen der seelischen Trümmer beschäftigt“, zitiert Alberti eine 52-Jährige Frau. Und schließlich sind es auch die die in der NS-Zeit zur Normalität erhoben Moralvorstellungen, die als Erbschaft der Vergangenheit weiterleben.

In den folgenden Diskussionsrunden mit dem Auditorium wurde der Bogen bis ins Heute gespannt: Wie kann es gelingen, die damals gemachten Erfahrungen für den Aufbau einer Willkommenskultur für Flüchtlinge heute zu nutzen? Ein Prozess, der jedoch gerade erst beginnt, meinen die Referenten. Und der damit anfängt, dass die Geschichten der Vergangenheit endlich erzählt werden.